"Einkaufen findet auf der großen Wiese statt", ärgert sich Stadtplaner Reinhard Seiß. Im Rahmen einer Online-Diskussionsrunde des Forums Wissenschaft und Umwelt zeigte er am Dienstag ein Foto des G3, eines großen Shoppingcenters an der nördlichen Wiener Stadtgrenze auf dem Gemeindegebiet von Gerasdorf. Erst vor wenigen Jahren errichtet, werde der Kundenverkehr zu hundert Prozent mit dem Auto absolviert. Für Seiß alles andere als zeitgemäß. Er stellt auch die Instrumente der Raumplanung infrage, da das Einkaufszentrum mit seinem riesigen Parkplatz einer Umweltverträglichkeitsprüfung standgehalten habe.

Hier soll die neue Schnellstraße durchführen und laut Asfinag für eine Entlastung des innerstädtischen Verkehrs sorgen.
Foto: APA/Techt

Gebäude wie dieses tragen laut Seiß dazu bei, dass eine "Entleerung des ländlichen Raumes" stattfinde. Die Dorfkerne sterben aus, weil Infrastruktur in der Nähe von Kreisverkehren geschaffen werde – oder wie im Fall des G3 an der Autobahnausfahrt. Für die Warenanlieferung natürlich ein Vorteil, aber nicht im Sinne der Menschen, so Seiß.

Aussterben der Dorfzentren

Der Raumplaner befürchtet, dass die Errichtung weiterer Straßen, wie sie mit dem Bau des Lobautunnels geplant ist, immer stärkere Auswirkungen auf die Ortschaften und Dörfer im Weinviertel haben werde. "Man bringt Menschen weg von dort, wo bereits wenig ist", fasst er zusammen. Die Handelsstrukturen in den kleinen Ortschaften würden leiden, obwohl Geschäfte dort zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar wären.

Der Bau der Nordautobahn (A5) Richtung Tschechien habe gezeigt, dass im Bezirk Mistelbach Baugründe an den Ortsrändern angepriesen worden seien – bei gleichzeitigem Aussterben der Dorfzentren.

Der Regionenring umfasst rund 200 Kilometer und führt bis nach St. Pölten.
Foto: wikipedia

Auch der Verkehrsplaner Hermann Knoflacher sieht den Bau weiterer Straßen für das Wiener Umland kritisch. Er stellt das Vorhaben des Regionenrings infrage – der bis auf den Teilabschnitt der S1 inklusive Lobautunnel bereits fertiggestellt ist. Der Regionenring ist als Autobahnring rund um Wien gedacht, der im Westen bis nach St. Pölten reicht. Im Endausbau umfasst er rund 200 Kilometer, wobei circa 175 Kilometer bereits fertiggestellt sind.

Mit dem Bau der Außenring-Schnellstraße wurde noch nicht begonnen.
Grafik: STANDARD

Knoflacher zufolge braucht es den letzten Abschnitt der S1 (siehe Grafik) gar nicht mehr, und damit auch nicht den Bau des Lobautunnels. Der Ring sei jetzt schon geschlossen – wenn man die A23 (Südosttangente) und die A22 (Donauuferautobahn) einbeziehe, die durchs Stadtgebiet führen.

Mehr Straßen, mehr Autos

Ziel des Regionenrings ist es laut Asfinag zwar, den Durchzugsverkehr von den Wiener Stadtautobahnen auf den Autobahnring zu verlagern. Knoflacher befürchtet aber das Gegenteil: dass mehr Straßen noch mehr Autos anziehen. (Rosa Winkler-Hermaden, 18.8.2021)