Um Makuladegeneration schneller zu behandeln, sollen lernfähige Algorithmen die Diagnosearbeit übernehmen.

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Künstliche Intelligenz übernimmt in der modernen Medizin laufend neue Aufgaben. Die Auswertung von großen Datenmengen zum Beispiel schafft sie schneller und mit konstanterer Qualität als Ärzte.

In der Augenheilkunde verwenden Mediziner Scans der Netzhaut, um Veränderungen zu erkennen. Zwischen Diagnose, Patientengespräch und Behandlung bleibt aber in einer älter werdenden Gesellschaft mit Ärztemangel immer weniger Zeit für die einzelnen Patienten.

Das neu eröffnete Christian-Doppler-Labor "Künstliche Intelligenz in der Netzhaut" an der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie der Medizinischen Universität Wien soll helfen, die Informationsflut zu sortieren und zur Diagnose aufzubereiten.

"Mit dem neuen Labor können Netzhautspezialisten und Computerwissenschafter nebeneinander an Modellen arbeiten, die die klinische Praxis effizienter gestalten", sagt Hrvoje Bogunović, Leiter des Labors.

Ähnlich dem Ultraschall

Die Bilder der Netzhaut werden mithilfe der sogenannten optischen Kohärenztomografie (OCT) angefertigt. Diese Technik funktioniert so ähnlich wie eine Ultraschalluntersuchung, verwendet jedoch Licht anstelle von Schall. Dabei wird Licht auf die Netzhaut gestrahlt und von dieser abgelenkt und reflektiert.

Es trifft also später auf den Messpunkt als Licht, das gleichzeitig an einem Spiegel reflektiert wurde. Daraus können die vom Licht zurückgelegte Strecke und die Position des getroffenen Punktes in der Netzhaut berechnet werden. Tastet der Laser systematisch das Auge ab, kann ein dreidimensionales Bild der Netzhaut erstellt werden.

Sie ist aus mehreren Schichten aufgebaut, die verschiedene Aufgaben erfüllen und entsprechend Nervenzellen oder Photorezeptoren enthalten. Zu den Photorezeptorzellen zählen die bekannten Zapfen und Stäbchen, die für das Farb- bzw. Hell-Dunkel-Sehen zuständig sind.

Im Zentrum der Netzhaut liegt der gelbe Fleck. Darin befindet sich die Sehgrube oder Fovea centralis, die fast ausschließlich Zapfen enthält und den Punkt des schärfsten Sehens bildet.

Häufigkeit steigt

Eine der häufigsten Krankheiten, die das Team von Bogunović anhand der charakteristischen Netzhautveränderungen nachweist, ist die altersbedingte Makuladegeneration. Dabei bilden sich Protein-Fett-Abbauprodukte, die sich in den Unterstützungsstrukturen am gelben Fleck ansammeln und diese schwächen.

Das allmähliche Absterben der betroffenen Zellen zerstört auch die darüber befindlichen Photorezeptorzellen, und das Sehvermögen nimmt ab – was bis zur Erblindung gehen kann.

Die Häufigkeit von Netzhauterkrankungen steigt. Die Behandlung muss schnell erfolgen. Hier greifen die entwickelten Algorithmen ein, die die Diagnose selbstständig stellen. Da sie mithilfe großer Mengen früherer Diagnosebilder trainiert wurden und aktuelle Scans anhand ihrer "Erfahrungen" beurteilen, können die Programme objektivere und schnellere Entscheidungen treffen. Die KI-Auswertungen helfen, die Prognose der Patienten einzuschätzen oder die Frequenz von Kontrollterminen zu empfehlen.

"Man kann sich diese Algorithmen als Programme vorstellen, die sich selbst programmieren", erklärt Bogunović. Dementsprechend spricht er lieber von Deep oder Machine-Learning statt von künstlicher Intelligenz: "Früher schrieben wir Programme mit bestimmten Vorgaben, was wann zu tun ist. Die heutigen Technologien dagegen basieren auf künstlichen neuronalen Netzwerken, die trainiert werden und dann unabhängig arbeiten. Wir zeigen ihnen eine Vielzahl an Beispielen, davon lernen sie und beurteilen neue Patientenbilder danach."

Das System wird besser

Die Algorithmen können diese Routinearbeiten also nicht nur schneller und konstanter erledigen, sie werden dabei sogar mit jedem Mal besser.

So bleibt den Ärzten mehr Zeit für die Betreuung der Patienten. Die Wissenschafter am Christian-Doppler-Labor versuchen währenddessen, die künstliche Intelligenz noch intelligenter zu machen. Die Aufgaben, die die Programme bewältigen können, sind relativ eng gesteckt, und es braucht weiterhin Menschen für das große Ganze.

Die Software kann zwar bestimmte vorgegebene Muster bereits gut erkennen, aber es ist weiterhin die Expertise der Mediziner gefragt, um andere, gleichzeitig vorhandene Krankheiten zu entdecken oder sonstige Auffälligkeiten zu interpretieren.

Ein erstes Ziel der Forscher ist, das System so robust wie möglich zu gestalten. Derzeit sind die Set-ups oft noch zu instabil und funktionieren nicht mehr, wenn Teile der Hardware ausgetauscht werden. Später soll versucht werden, den Programmen beizubringen, ihre Ergebnisse und Lösungswege selbst zu begründen.

Gleichzeitig gilt es die Praxistauglichkeit laufend zu kontrollieren. "Wir wollen auf der einen Seite den Stand der Technik voranbringen und auf der anderen Seite die Anwendbarkeit für die Augenärzte verbessern", sagt Bogunović über die Ziele des neuen Labors. (Markus Plank, 23.8.2021)