Werner Kogler (hier auf einem Archivbild mit Kanzler Sebastian Kurz) blieb zum Themenkomplex Afghanistan recht vage, der Bundespräsident fand da klarere Worte.

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Die Grünen sind auf Tauchstation. Einige hat DER STANDARD dieser Tage auf Bundes-, Landes und Bezirksebene zu erreichen versucht, um sie zu fragen, wie sie zum Kurs Österreichs und der Grünen im Besonderen in der Afghanistan-Frage stehen. Doch so richtig reden wollen nur Einzelne.

Auf Twitter war da schon mehr zu lesen. Etwa von Gebi Mair, dem Tiroler Grünen-Abgeordneten: "Wer jetzt noch findet, man soll Menschen nach Afghanistan abschieben, statt sie von dort zu retten, dem fehlt es entweder an Herz oder Hirn oder beidem." Allerdings: Selbstkritik ist das nicht. Anders klingt da Viktoria Spielmann, grüne Sozial- und Frauensprecherin im Wiener Gemeinderat: Sie "verstehe einfach nicht, warum man als Grüne nicht selbstbewusst zur eigenen Position stehen und inhaltlich sachlich widersprechen kann", hieß es von ihrer Seite.

Das thematisiert auch eine bekennende Grünwählerin: In der Bundesregierung würden die Grünen unter einem "kommunikativen Stockholm-Syndrom" leiden, Kritik gebe es zwar, "aber zu schwach und immer mit einem 'Ja aber' versehen". Sie vermisse "klare Kante".

Vereinzelt Kritik

Was sie – und Spielmann – zu dieser Äußerung bewog, war der TV-Auftritt des grünen Parteichefs am Abend zuvor im ORF-"Sommergespräch". Werner Kogler, Vizekanzler der türkis-grünen Regierung, drückte sich da auffällig vor Kritik am Koalitionspartner. Er sehe es "durchaus problematisch", dass die ÖVP am Sonntagmittag noch an Abschiebungen nach Afghanistan festgehalten hatte. Aber wichtig sei schlussendlich das Ergebnis. "Und das Ergebnis ist: Es wird nicht abgeschoben."

Was TV-Zusehern mitunter schwurbelig vorkommen konnte, kommt allerdings für politische Beobachterinnen nicht überraschend: Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle etwa beurteilt das Vorgehen als "strategisch gar nicht so falsch", immerhin gehe es darum, bei der nächsten Wahl zu zeigen, was im Klimaschutz und in Transparenzfragen weitergegangen sei. Also würden die Grünen "versuchen, das durchzutauchen, wohl wissend, dass sie gegen die ÖVP keine Chance haben, eine Richtungsänderung zu bewirken".

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Vorvorvorgänger von Kogler, war am Dienstag um einiges deutlicher: Abschiebungen nach Afghanistan seien nicht nur falsch, sondern auch rechtswidrig, stellte er klar.

Harter Kurs

Genaugenommen hatte sich die ÖVP in Form von Innenminister Karl Nehammer am Montag ja auch nur eingestanden, dass Abschiebungen nach Afghanistan wegen der Menschenrechtskonvention derzeit nicht möglich seien. Dass aus türkiser Sicht weiterhin Afghaninnen und Afghanen abgeschoben werden sollen, ist aber klar – immerhin fordert die ÖVP Abschiebezentren in Afghanistans Nachbarschaft. Auf diesen Unterschied ging Kogler im Interview nicht ein.

Zu Nehammer, der also konsequent die Parteilinie weiterverfolgt, sagt Stainer-Hämmerle, als Minister habe man eine andere Verantwortung, als nur auf die Wählerstimmen zu schauen: "Da vertritt man auch die Republik unabhängig der Partei. Da muss man schauen, auf wessen Seite man sich innerhalb der EU stellt." In Österreich, so Stainer-Hämmerle, "einem Land, das die Menschenrechte zu verteidigen hat", wären da "schon ein bisschen deutlichere Worte von Außen- und Innenminister" gefordert.

"Strukturen vor Ort unterstützen"

Doch zurück zu den Grünen. Kogler lieferte im "Sommergespräch" einen weiteren Grund zur Enttäuschung bei manchen Grünen, indem er recht vage blieb in der Frage, ob denn nun Frauen und Kinder aus Afghanistan evakuiert und nach Österreich gebracht sollten. Das könne er nicht sagen, "weil wir bekannterweise ja nicht alleine regieren", hieß es da. Er halte es jedenfalls für "hilfreich und unterstützungswürdig", verwies dann aber darauf, dass es nun darum gehe, "die entsprechenden Strukturen vor Ort zu unterstützen".

Wie solle denn eine Hilfe vor Ort aussehen, fragte Tristan Ammerer, Grünen-Bezirksvorsitzender aus Graz, Werner Kogler im Anschluss an das ORF-"Sommergespräch" via Twitter: "Den Taliban Geld schicken? Ich geniere mich einfach nur mehr." Im STANDARD-Gespräch meint Ammerer, er habe sich aus den Reihen der Grünen mehr Reaktionen erwartet, es sei "überhaupt schockierend, dass es in Österreich offenbar keine Parteien mehr gibt, die öffentlich für eine Hilfe, für ein Asyl für Flüchtlinge aufstehen. Und jetzt eben auch die Grünen nicht mehr."

"Schlimmeres verhindern"

So dezidierte Kritik will Olga Voglauer, Kärntner Grünen-Chefin, nicht äußern. Aber: "Es steht nichts dagegen, Schutzbedürftige, vor allem Frauen und Kinder, aus Afghanistan bei uns aufzunehmen. Aber es liegt nicht an uns, sondern an der ÖVP. Und es zeigt sich, wie unmenschlich die ÖVP ist", sagt sie. "Was wäre die Alternative zu dieser Koalition?", fragt Voglauer, um gleich die Antwort zu geben: "Türkis-Blau." Die Grünen könnten zumindest Schlimmeres verhindern.

Rückenstärkung für Werner Kogler, aber eine klare Forderung, Kinder und Frauen in Österreich aufzunehmen, kommt auch von der steirischen Grünen-Chefin Sandra Krautwaschl. "Werner Kogler hat unsere Position deutlich klargestellt. Und es bleibt für uns bei der Forderung, zumindest Frauen und Kinder, die jetzt unter Lebensgefahr in Afghanistan leben, nach Österreich zu holen", sagt Krautwaschl. Nachsatz: "Die Durchsetzbarkeit mit der ÖVP ist natürlich etwas anderes."

Nehammer hält an Abschiebungen fest

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hält hingegen an den Abschiebungen fest. Wenn man erkläre, dass ein Staatsbürger aus einem bestimmten Land jedenfalls in einem Land bleiben könne, egal wie die Asylentscheidung ausfalle, "dann kann ich gleich die Genfer Flüchtlingskonvention de facto aushebeln", sagt Schallenberg.

Auch Nehammer will weiter Menschen abschieben. Seinen EU-Kollegen will er in den Beratungen am Mittwoch die Einrichtung von Abschiebezentren in der Region rund um Afghanistan vorschlagen, um so die Grenzen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu umgehen. "Es gibt keinen Grund, warum ein Afghane jetzt nach Österreich kommen sollte", sagte er der deutschen Zeitung "Welt" vor den Beratungen der EU-Innenminister am Mittwoch.

Am Dienstag gab das Innenministerium die Abschiebung von vier Afghanen bekannt. Nicht nach Afghanistan allerdings, sondern in einen sicheren Drittstaat: nach Rumänien. (Lara Hagen, Walter Müller, Gabriele Scherndl, 17.8.2021)