Wie lange geht das noch? Wie viel Türkis vertragen die Grünen noch, ehe sie ihre Farbe ganz verlieren? Der Auftritt des Vizekanzlers Werner Kogler im ORF-Sommergespräch hat bemerkenswert vor Augen geführt, dass die Grünen mittlerweile politisch kaum noch schmerzempfindlich sind. So kann man sich durchaus schon die Frage stellen, wie weit eigentlich noch das Hauptargument der Grünen gilt, dass sie sich in dieser Koalition mit der türkisen ÖVP für die Republik aufopfern, um eine Rechtskoalition aus ÖVP und FPÖ zu verhindern. Wo doch das Ergebnis, wie die Regierung etwa die Verweigerung einer Aufnahme bedrohter afghanischer Frauen argumentiert, wohl nur marginal anders wäre. Was wäre in der Regierungs-Asylpolitik in der Sache so anders mit den Blauen?

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) im ORF-Sommergespräch am Montag.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Österreich steht in Europa mittlerweile isoliert da. Keinem anderen Land ist eingefallen, jetzt überhaupt noch das Thema Abschiebungen aufs Tapet zu bringen, während sich die Menschen in Afghanistan kaum noch auf die Straße wagen und Frauen um ihr Leben bangen. Hamburg will 200 Gerettete aus Afghanistan "sofort, unmittelbar und unbürokratisch" aufnehmen. Auch andere europäische Länder wie Frankreich haben in diesem Sinne bereits Hilfe angeboten.

Konkrete Forderung

Die österreichischen Grünen haben bis jetzt offiziell nicht einmal eine konkrete Forderung formuliert. Ob auch Österreich Hilfesuchende aufnehmen sollte, erklärt Kogler, das könne er noch nicht sagen. Jetzt gehe es einmal darum, "dass wir vor Ort hier die entsprechenden Strukturen unterstützen. Jetzt ist es wichtig, dass dort etwas geschieht." Kogler bewegt sich hier auch rhetorisch auf der türkisen Argumentationslinie. In diesem einen Punkt der Flüchtlings-, Migrations- und Asylfrage ist es de facto egal, ob sich die ÖVP die Grünen oder die FPÖ in die Regierung geholt hätte.

Was Werner Kogler und die Grünen jetzt in der heiklen Afghanistan-Thematik an eigenem Politikverständnis offenlegen, ist letztlich nur eine logische Fortsetzung ihrer bisherigen Koalitionspolitik. Sie wollen unter allen Umständen in dieser Regierung bleiben. Werner Kogler wird der Letzte sein, der vom Tisch aufsteht. Es gibt keine realistische Alternative, als sitzen zu bleiben. Und das weiß natürlich auch der türkise Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Die Grünen werden die ÖVP nicht ändern können, sie hoffen, bei den nächsten Wahlen einige grüne Projekte, die sie den Türkisen abgetrotzt haben, vorzeigen zu können. Als Argument, es habe sich gelohnt, in diese Koalition zu gehen.

Das sind dann eben nicht mehr die Grünen, die sich streitbar für die Menschenrechte, gegen Korruption und für Transparenz ins Zeug geschmissen haben. Es sind jetzt Grüne, die den süßen Duft des Pragmatismus gerochen haben, der sie in eine stinknormale Partei verwandelt hat.

Die roten Linien, die sie einmal für sich gezogen haben, lassen sich verschieben. Sie sind nicht mehr substanziell. Diese Koalition kann daher noch von langer Dauer sein. (Walter Müller, 17.8.2021)