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Barbara Engelking wurde vom Gericht nun doch entlastet.

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Barbara Engelking und Jan Grabowski, zwei renommierte Holocaustforscher in Polen, können aufatmen. Ein Berufungsgericht in Warschau sprach sie vom Vorwurf der Verleumdung frei. "Ein Gerichtssaal ist nicht der richtige Ort für eine historische Debatte", begründete die Richterin die Aufhebung des Urteils aus erster Instanz. "Wir nehmen das Urteil mit großer Freude und Genugtuung an", schrieben Engelking und Grabowski in einer gemeinsamen Erklärung auf Facebook. "Dies umso mehr, als das Ergebnis unseres Prozesses von grundlegender Bedeutung für die gesamte polnische Forschungsgemeinschaft ist, insbesondere aber für Historiker und Historikerinnen, die sich mit der Erforschung des Holocaust beschäftigen."

Mitte Juni 2019 hatte Filomena Leszczyńska, die Nichte des ehemaligen Dorfschulzen Edward Malinowski im ostpolnischen Malinowo, eine Verleumdungsklage bei einem Warschauer Bezirksgericht eingereicht. Sie beanstandete eine kurze Passage und zwei Fußnoten in dem von Engelking und Grabowski herausgegebenen und über 1.600 Seiten starken Werk "Dalej jest noc. Losy Zydów w wybranych powiatach okupowanej Polski" ("Und immer noch ist Nacht. Die Schicksale von Juden in ausgewählten Landkreisen des besetzten Polen"). Die Textstelle, so Leszczyńska, beleidige ihren Nationalstolz als Polin, die Ehre, einem Volk von Judenrettern anzugehören, und insbesondere die Ehre, Nichte des Kriegshelden und Judenretters Edward Malinowski zu sein. Finanziell und juristisch unterstützt wurde die Dorfbewohnerin aus Ostpolen von der rechtsnationalen Stiftung "Reduta – Festung des guten Namens" in Warschau.

Penible Forschungsarbeit

Das Buch "Dalej jest noc" schildert am Beispiel von neun Landkreisen und zehntausenden Einzelschicksalen, welche Überlebenschancen Jüdinnen und Juden hatten, denen es gelungen war, aus Ghettos und KZs im nazideutsch besetzten Polen zu fliehen. Manche katholisch-polnische Bauernfamilie bot Schutz und Hilfe an, doch viele Landsleute der polnischen Juden lehnten jegliche Hilfe aus Angst vor den deutschen Besatzern und polnischen "Schmalzowniks" ab, die Juden (und ihre Beschützer) nur gegen Schutzgeld nicht an Gestapo oder SS verrieten, dies aber doch taten, sobald kein Geld mehr floss.

Engelking hatte die Situation von Juden im Landkreis Bielski in der Wojewodschaft Podlachien erforscht. Dazu analysierte sie historische Quellen wie Zeitzeugenberichte, amtliche Bekanntmachungen, Berichte des polnischen Untergrunds, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1939 bis 1945 sowie Nachkriegsgerichtsverfahren in Polen und Videoaufzeichnungen jüdischer Überlebender in den USA.

Leszczyńska zufolge hatte Engelking aber einen Teil der Biografie von Malinowski "erfunden", wie es in der Klageschrift heißt. Ihr Vorwurf: Onkel Edward sei ein Judenretter gewesen, nicht aber ein Judenverräter und Nazikollaborateur.

"Historische Wahrheit"

Den Forschungen Engelkings zufolge war der Dorfschulze Malinowski aber beides: Mal rettete er Juden, mal verriet er sie an die Deutschen, was ihr sicheres Todesurteil bedeutete. Während das Gericht erster Instanz noch der Argumentation der Klägerin folgte, gab das Berufungsgericht den Historikern recht. Sie hatten zuvor für Wissenschaftsfreiheit und eine offene Debatte plädiert. In der Urteilsbegründung hieß es unter anderem: "In einer Demokratie ist die Suche nach der historischen Wahrheit ein wünschenswertes Gut." (Gabriele Lesser aus Warschau, 17.8.2021)