Auch der Jamtalferner-Gletscher in Tirol befindet sich auf dem Rückzug.

Foto: Daniel Hinterramskogler/ÖAW

Die Gletscher der Alpen befinden sich auf dem Rückzug. Forscher schätzen, dass im besten Fall etwa die Hälfte des heutigen Gletschervolumens bis zum Ende des Jahrhunderts verloren gehen wird, im schlechtesten Fall weitaus mehr. Auch in Österreich schreitet der Gletscherschwund stetig voran, wenngleich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Ein Forscherteam hat nun im Detail untersucht, wie sich das Abschmelzen der heimischen Eismassen mit der Zeit verändert hat. Eine Gemeinsamkeit der meisten Gletscher ist demnach, dass sie längst aus dem Gleichgewicht zwischen Eisverlust im Sommer und Zuwachs im Winter geraten sind, berichten die Wissenschafter im "Journal of Glaciology".

"Der Gletscherschwund ist ein großräumiger übergeordneter Trend, aber einzelne Gletscher unterscheiden sich mitunter deutlich voneinander in der Art und Weise, wie und wie schnell sie schmelzen", sagte Lea Hartl vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Für die aktuelle Studie haben Hartl und Kollegen eine Bestandsaufnahme der Gletscher dreier Gebirgsgruppen in Vorarlberg und Tirol vorgenommen. Anhand von Höhenmodellen aller Gletscher der Ötztaler Alpen, der Stubaier Alpen und dem österreichischen Teil der Silvretta wurden sogenannte Verteilungskurven der Höhenänderung erstellt.

Zerfallene Zungen

An den Kurven lässt sich erkennen, ob ein Gletscher über seine gesamte Fläche gleichmäßig Eis verliert, ob die Verluste sehr unregelmäßig sind, oder ob es Bereiche mit einer Eiszunahme gibt. Mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen konnten die Forscher die Entwicklung der Gletscher für die vergangenen fünf Jahrzehnte rekonstruieren. Das Ergebnis: "Die Verluste haben nicht nur zugenommen, die Verteilung über die Gletscherfläche hat sich auch verändert", sagte Hartl.

Zunächst sei der Eisschwund noch relativ gleichmäßig gewesen, da die Fließbewegung des Eises von oben nach unten das Abschmelzen an den Zungen zumindest teilweise ausgleichen konnte. "Das ist immer weniger der Fall", sagte die Glaziologin, "manche Gletscherzungen zerfallen regelrecht."

Wenige Ausnahmen

Immer mehr Seitenarme würden zudem die Verbindung zu den Hauptzungen verlieren, Gletschertore und andere unterspülte Bereiche würden einstürzen. Dadurch geraten Gletscher immer mehr aus dem Gleichgewicht, wo sie die im Sommer verlorene Masse in der kalten Jahreszeit wieder dazugewinnen. "Nur einige wenige, sehr kleine Gletscher, die kaum noch als solche zu erkennen sind, haben sich wieder etwas mehr einem Gleichgewicht angenähert", berichtete Hartl. Das wären aber Ausnahmefälle durch günstige lokale Gegebenheiten, etwa häufige Lawinenabgänge. Selbst diese Gletscher würden weiterhin Masse verlieren, aber langsamer.

Die Ergebnisse würden sich in das Gesamtbild der weltweit rapiden Gletscherveränderungen einreihen, schreiben Hartl und Kollegen in ihrer Studie. Weil die Gletscher verzögert auf Klimaveränderungen reagieren, könnte sich ein neues Gleichgewicht – wenn überhaupt – nur mit Verzögerung einstellen, wenn die Erwärmung denn zeitnah begrenzt werden würde. (dare, 18.8.2021)