Ein Telefonservicecenter und 50 zusätzliche Mitarbeiter sollen nun den Missständen bei der MA 35 entgegenwirken.

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Es ist wie ein Schwarzes Loch, sagt Florian Karlsreiter und spricht damit die Postfächer der für Einwanderung und Staatsbürgerschaft zuständigen Magistratsabteilung der Stadt Wien an. An diese musste sich im Herbst 2020 seine aus Deutschland stammende Frau Manuela Karlsreiter wegen eines Antrags auf Kindergeld wenden: Staatsbürgerschaftsnachweis, Geburtsurkunden, Heiratsurkunde und Kontoauszüge – sie dachte, sie habe all diese dafür notwendigen Dokumente ordnungsgemäß eingereicht. Sie musste davon ausgehen, dass es passt, denn: "Weder telefonisch noch per E-Mail erhielten wir Auskunft", sagt der mittlerweile als "Vollzeitpapa" tätige Karlsreiter.

In "Verstoß geraten"

Sechs Monate später, nach dem Ablauf der Bearbeitungsfrist, lag immer noch keine Antwort vor. Sie schalteten die Volksanwaltschaft ein. Erst durch diese erfuhren sie, dass die Unterlagen "bedauerlicherweise in Verstoß geraten waren". Am selben Tag bekamen sie ein Schreiben der MA 35. Weil der Kontoauszug nicht datiert gewesen sei, demnach nicht als Einkommensnachweis zähle, prüfe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nun eine Abschiebung. Ihre zwei Kinder haben sowohl die deutsche als auch die österreichische Staatsbürgerschaft.

Der Fall der zweifachen Mutter und Journalistin aus Deutschland ist kein Einzelfall: Erst am Dienstag ließ ein MA-35-Mitarbeiter im Ö1-"Morgenjournal" aufhorchen. Obwohl man sich eigentlich ab 13 Uhr telefonisch beim zuständigen Referenten erkundigen könne, gehe niemand ans Telefon. "Die Telefone läuten bei uns den ganzen Tag." Abgehoben werde nur, wenn – auf dem Display ersichtlich – es eine interne Nummer oder ein Vorgesetzter sei, "ansonsten wird das Telefon ignoriert", schilderte der Mitarbeiter, der lieber anonym bleiben wollte. Zu sehr fürchte man bei der MA 35 einen Dominoeffekt, also dass es die Runde mache, dass die Menschen telefonisch Auskunft erhalten würden.

Unerreichbarkeit kein Geheimnis

Was skurril anmuten mag, ist laut einer MA-35-Sprecherin gar kein Geheimnis: Vor Corona haben, so sagt sie, die 474 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter täglich 3.400 persönliche Kundenkontakte erledigt. Die Pandemie verlagerte diesen Verkehr an die Telefonhörer und in die Postfächer. "Wenn man den ganzen Tag das Telefon abhebt, dann bleibt keine Zeit, die Anträge zu bearbeiten." Dafür würden schlichtweg die Ressourcen fehlen. Außerdem sieht die Sprecherin das Problem in der Bundesgesetzgebung. Allein etwa die Überprüfung der 22 unterschiedlichen Aufenthaltszwecke in Österreich drossele den Prozess.

In den Alltag der Magistratsbeamten gab der anonyme Mitarbeiter einen Einblick: Es komme vor, dass in der Früh 450 neue E-Mails im Postfach warten. "Wenn Sie einen guten Tag haben, können Sie 120 abarbeiten." Da passiere es, dass manche Anträge nicht registriert würden. Oder, wie im Fall der Familie Karlsreiter, durchrutschen.

Da es in den meisten Fällen um die Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen geht, hat diese Nichtbearbeitungspraxis weitreichende Konsequenzen: Menschen ohne Visum können ihre Jobs verlieren, weder Geld vom AMS noch Kindergeld oder Familienbeihilfe beziehen. Wie viele betroffen sind, lässt sich schwer feststellen: Denn die meisten fürchten Nachteile beim Verfahren, sollten sie diese öffentlich machen, wie der freiheitliche Volksanwalt Walter Rosenkranz festhält. 400 Beschwerden liegen der Volksanwaltschaft derzeit vor.

Telefonservicecenter kommt

Der für die MA 35 zuständige Neos-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr will diesen Missstand nun erkannt haben und kündigt an, die Abteilung um weitere 25 Mitarbeiter – 25 wurden schon eingestellt – aufstocken zu wollen. Außerdem werde gerade ein Telefonservicecenter eingerichtet.

Der rechtliche Schwebezustand und der so entstandene psychische Druck haben das Familienleben der Karlsreiters auf den Kopf gestellt: "Eigentlich wollte meine Frau noch länger bei unserem elf Monate alten Sohn sein", nun hat sie eine Vollzeitstelle angetreten. "Dabei gehören wir zu den Privilegierten", sagt Karlsreiter; er will sich nicht vorstellen, was Menschen aus Drittstaaten durchstehen müssen. Das Kindergeld haben sie auch nach neun Monaten noch nicht erhalten. (Elisa Tomaselli, 18.8.2021)