Das Team aus Herat jubelte im Oktober über die Meisterschaft. Zuletzt gab es im Land rund 5.000 Fußballerinnen.

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Die Initiativen von Khalida Popal stärkten unzählige Mädchen.

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Popal, einst Verteidigerin und Kapitänin im Nationalteam, deckte Missbrauchsfälle im afghanischen Fußballverband auf.

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Mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hört der Ball auf zu rollen. Fußballerinnen werden verfolgt, weil sie in der Vergangenheit für Frauenrechte eintraten. Khalida Popal startete vor 15 Jahren eine Bewegung, die den Frauenfußball und damit auch Spielerinnen förderte. Bei den ersten Länderspielen stand sie noch als Kapitänin auf dem Platz, später wurde sie als Finanzdirektorin die erste Frau, die vom afghanischen Fußballverband angestellt wurde. 2016 erhielt sie in Dänemark Asyl, dort erreichte sie DER STANDARD.

STANDARD: Stehen Sie aktuell in Kontakt mit Menschen in Afghanistan?

Popal: Ich spreche mit Fußballerinnen, aber auch mit Frauen- und Menschenrechtlerinnen vor Ort. Die Situation ist unfassbar traurig und hoffnungslos. Jene Frauen, die sich jahrelang gegen die Taliban wehrten, befinden sich nun in großer Gefahr, fürchten um ihr Leben. Sie haben Angst und sind auf sich allein gestellt. Sie fühlen sich betrogen von der Politik des Landes und im Stich gelassen von der ganzen Welt. Es schmerzt, das mitzubekommen.

STANDARD: Frauen, die Fußball spielten, droht nun Gefahr?

Popal: Wir haben den Frauenfußball aufgebaut und das Nationalteam gegründet, um gegen die Ideologie der Taliban aufzubegehren. Wir erhoben unsere Stimme, damit Frauen auch den Zugang zu einem aktiven Sozialleben bekommen, darunter eben auch der Vereinssport. Der Fußball war unser Werkzeug des Aktivismus.

STANDARD: Wogegen richtete sich Ihr Protest?

Popal: Dass uns Rechte genommen wurden, Bildungschancen, politische Beteiligung, letztlich die Freiheit. Wir haben die Taliban offen als unsere Feinde bezeichnet, weil sie gegen Frauenrechte eintreten. Das Problem war: Die Taliban waren nie weg. Selbst als die internationalen Militäreinsätze im Land begonnen haben, übten sie große Macht aus – hauptsächlich in ländlichen Gebieten. Sie haben Frauen und Kinder vergewaltigt, gesteinigt und misshandelt. Wir waren in sichereren Teilen des Landes, von dort aus wollten wir auf diese Taten hinweisen. Unser Zeichen war klar: Wir akzeptieren das Regime der Taliban nicht. Egal, wie viele von uns sie auch töten mögen.

STANDARD: Was sagen Sie Ihren Spielerinnen jetzt?

Popal: Ich möchte ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Ich weiß nicht, was mit ihnen passieren wird. Sie blicken aus ihren Fenstern und sehen, wie die Taliban durch die Straßen ziehen und die Häuser durchsuchen. Ich versuche es in etwa so: "Bleibe stark, verstecke dich, suche Schutz und erhebe ja nicht deine Stimme." Das schmerzt irrsinnig. Ich rate ihnen dazu, ihre Trikots zu verbrennen, damit niemand herausfindet, dass sie Nationalspielerinnen sind. Sie sollten auch alle Fotos, Videos und Accounts in sozialen Netzwerken löschen.

STANDARD: Wie kam es dazu, dass Sie Fußballteams für Frauen gründeten?

Popal: Der Fußball ist auf der ganzen Welt bekannt. Allerdings fast ausschließlich als Männersport. Unsere Fußballteams lenkten die Aufmerksamkeit auf Frauen aus Afghanistan. Wir wollten ein neues Gesicht präsentieren, jenes einer neuen Generation, die Frieden und Freiheit sucht und dankbar ist für all die Soldaten, die ins Land kamen und ihr Leben riskierten. Wir waren voller Hoffnung, auch wegen all der Versprechen der internationalen Streitkräfte. Jetzt sprechen sie nur noch darüber, ihre eigenen Leute aus dem Land zu holen. Es gibt kein Interesse mehr an Afghanistan.

STANDARD: Wie hat Ihr Projekt begonnen?

Popal: Mit einer Handvoll Mädchen. Die weibliche Bevölkerung kannte das Gefühl einer Sportkultur nicht wirklich. Durch Kampagnen sammelten wir Geld und holten mehr Frauen und Mädchen dazu. Jede von ihnen ist in Wahrheit eine Aktivistin. Der Fußball war nie nur zum Spaß da, es war eine Bewegung. Ich bin eine sehr laute Person, die gerne ihre Meinung sagt. Das hat mir eine Unzahl an Morddrohungen eingebracht. Ich kann es mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es jetzt sein muss.

STANDARD: Welche Erinnerungen haben Sie an das erste Match der Nationalmannschaft?

Popal: Es war ein großartiges Erlebnis. Wir waren stolz, unter der afghanischen Flagge zu spielen und Frauen aus dem Land repräsentieren zu dürfen. Es war unser eigenes Gefühl davon, eine Weltmeisterschaft zu gewinnen.

STANDARD: Wie steht es um den restlichen Spitzensport in Afghanistan?

Popal: Es hat sich etwas getan. Inzwischen gab es auch Frauen in der Leichtathletik, im Basketball oder Volleyball. Kamia Yousufi nahm über die 100 Meter bei den Olympischen Spielen in Tokio teil und lief dort einen neuen Landesrekord.

STANDARD: Mit der Organisation Girl Power waren Sie in den vergangenen Jahren häufig in Afghanistan. Was haben Sie dort gemacht?

Popal: Girl Power nutzt den Sport dazu, für informelle Bildung zu sorgen. Einige Mädchen entwickeln etwa eine Führungspersönlichkeit. Damit sollen Frauen und Mädchen ermutigt werden, auch im restlichen Leben aktiver am sozialen Alltag teilzunehmen. Wir gingen in ländliche Regionen, wo es so gut wie kein Freizeitangebot gab. Das Projekt lief über die letzten drei Jahre, wir bauten unser eigenes Team an Trainerinnen und Betreuerinnen auf. Am Ende hatten wir mehr als 5.000 Fußballerinnen. Jetzt wird ihre Arbeit untergraben.

STANDARD: Wie geht es weiter?

Popal: Jetzt stehen die Taliban vor der Kamera und lügen allen vor, dass es Frauenrechte geben soll. Aber eben nur unter den Gesetzen der Scharia. Jeder weiß, was das bedeutet: keine Teilnahme am Sozialleben. Ja, es soll Bildungsangebote für Frauen geben. Aber nur nach der Vorstellung der Taliban. (Lukas Zahrer, 18.8.2021)