Roland Weißmann ist der neue Generaldirektor des ORF, und seit seiner Bestellung dreht sich die Diskussion darum, wie sehr er das Unternehmen im Sinne seines Gönners Sebastian Kurz türkis einfärben wird. Das ist auch berechtigt. Aber was soll der neue Mann eigentlich inhaltlich bewerkstelligen?

Eine der Schwachstellen des Mediums, die Aufmerksamkeit brauchen würden, ist die Auslandsberichterstattung. Erst wenn, wie derzeit in Afghanistan, eine wirkliche internationale Krise ausbricht, zeigt sich plötzlich, was der Sender immer noch draufhat.

Seit längerer Zeit, und besonders seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, ist der ORF zusehends provinzieller geworden. Der Horizont ist geschrumpft. Das kleine Österreich scheint der Nabel der Welt zu sein. In den Hörfunkjournalen auf Ö1, einst vielbewunderte Leuchttürme im Programm, gibt es Moderatoren und Moderatorinnen, die es fertigbringen, eine ganze Sendung – wenn man von Berichten über Tests und Impfungen absieht – ohne einen einzigen Auslandsbeitrag zu gestalten. Gerd Bacher, schau abi.

Das liegt nicht an den Auslandskorrespondenten. Diese sind fast alle gut, aber sie kommen meist nicht gebührend zum Zug. Eine der großen Errungenschaften der Rundfunkreform von 1967 war es, Österreich für die Welt zu öffnen. Gerd Bacher – der letzte Journalist an der Spitze des Unternehmens – schickte zuerst Hugo Portisch als rasenden Reporter durch die Welt und etablierte dann in den wichtigsten Hauptstädten eigene Korrespondentenbüros.

Respekt vor Qualität

Bacher war, wie Weißmann, der Kandidat der ÖVP, ein Stockkonservativer und Sozialistenfresser von Gnaden, aber er hatte Respekt vor Qualität. Die damaligen Korrespondenten waren fast alle Linke oder Liberale, aber sie verstanden ihr Handwerk und wurden deshalb vom Generalintendanten geschätzt und gefördert. Um parteipolitische Interventionen scherte sich der "Tiger" ohnehin nicht.

Seither ist die Globalisierung noch weiter fortgeschritten. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verschiedener Länder und verschiedener Kontinente hängen noch enger miteinander zusammen als damals. Österreich verstehen und dessen Stellung in der Welt verstehen ist unmöglich ohne den Blick über den Tellerrand hinaus. Kein anderes Medium im Lande hat das Geld und die Möglichkeiten, diese Aufgabe besser zu bewerkstelligen als der ORF. Weiß der neue Generalintendant das?

Es ist gut und richtig, dass die Öffentlichkeit sich vor allem für das Beibehalten der Unabhängigkeit des Leitmediums ORF in der neuen Ära interessiert. Unabhängigkeit ist das A und O jeder journalistischen Tätigkeit. Aber darüber hinaus sind eben auch Inhalte wichtig, Qualität, Weltoffenheit, ein großer Horizont und eine journalistische Neugier, die über das tägliche Klein-Klein der innenpolitischen Streitereien im Lande hinausgeht.

Dabei hilft die Tatsache, dass es in den Redaktionen ein großes Reservoir an talentierten, motivierten und gut ausgebildeten jungen Leuten gibt, die ein hervorragendes Programm machen könnten. Der neue Generaldirektor muss ihnen nur die Möglichkeit dazu geben.(Barbara Coudenhove-Kalergi, 19.8.2021)