Da ist sie wieder, die Zeit fokussierter Unintelligenz, wie der Wiener Altbürgermeister Michael Häupl Wahlkampfzeiten nannte. Nun wird in Oberösterreich gewählt, und die verkehrswirtschaftlich fragwürdige Maßnahme 1-2-3-Ticket wird ausgerollt. Zwar gibt es für die Mehrheit der Pendlerinnen und Pendler in der Ostregion noch keine Lösung in Sachen Netzkarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel, aber das kümmert Leonore Gewessler von den Grünen nicht.

Das vielgepriesene 365-Euro-Ticket wird über weite Strecken eine Fiktion bleiben.
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Der Verkehrsministerin geht es offensichtlich um einen schnellen Erfolg. Da nimmt man auf Struktur- und Finanzierungsprobleme in den für den Öffi-Verkehr zuständigen Ländern und Gemeinden keine Rücksicht. Als hätten die Gebietskörperschaften ihre Corona-bedingten Mindereinnahmen längst verdaut, gibt es auf den bisher geplanten Dumpingpreis von 1095 Euro für eine Jahresnetzkarte für sämtliche Öffis in ganz Österreich auch noch einen Rabatt.

Die Not bei den Grünen muss sehr groß sein, endlich einen Erfolg zu landen und vom Versagen in der Asylpolitik (Stichwort Abschiebungen nach Afghanistan) oder beim Ibiza-Untersuchungsausschuss (auf Wunsch der ÖVP abgedreht) abzulenken. Für den wahlkämpfenden oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) ist das ein Geschenk, er profitiert von dem Schnellschuss, bei dem die größte Nahverkehrs- und Pendlerregion Österreichs bewusst zurückgelassen wird.

Keine durchdachte Lösung

Mag sein, dass die frühere Kampagnen-Managerin Gewessler – viel mehr als Spenden sammeln war bei der Umweltschutzorganisation Global 2000 nicht ihre Aufgabe – mit dem Start am Nationalfeiertag die im Verkehrsverbund Ostregion (VOR) vereinten Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland unter Zugzwang setzen will. Einer durchdachten und vor allem finanzierbaren Lösung im hochkomplexen Dschungel der Nahverkehrsfinanzierung in Österreich zuträglich ist dies wohl nicht. Auf die paar Wochen bis zum Fahrplanwechsel im Dezember wäre es nicht angekommen, bis dahin hätte man sich schon zusammengerauft.

Fest steht auch ohne Einigung in der Ostregion, dass das vielgepriesene 365-Euro-Ticket über weite Strecken eine Fiktion bleiben wird. Ein Bundesland um einen Euro pro Tag, das ist nur für die Öffis in Städten und Kommunen sinnvoll. Aus Sicht der tatsächlichen Pendlerströme hingegen ist es insbesondere in Flächenbundesländern eine Steuergeldverschwendung der Sonderklasse. Kaum jemand fährt täglich mit Zug oder Bus von Wiener Neustadt nach Amstetten oder von Semmering nach Spielfeld. Zugegeben, das sind exponierte Beispiele, aber sie spiegeln das Grundproblem wider. Der Großteil der Pendler fährt zur Arbeit in Nachbargemeinde oder -bezirk, aber nicht quer durchs Bundesland wie in Wien.

Um zu einer guten Lösung in einem inhomogenen Gebilde wie der Ostregion zu kommen, braucht es nicht nur Vorarbeit und guten Willen, wie die Klimaschutzministerin meint, sondern vor allem Geld, das fair verteilt wird. Wenn das Geld nach dem Bevölkerungsschlüssel verteilt wird statt nach der Zahl der Pendler, deren Umstieg aufs Klimaticket bei den Bereitstellern von Bus und Bahn die Einnahmen erodieren lässt, dann fördert dies Ungleichheit, die am wenigsten den Öffi-Benützern nützt. Sie brauchen keine politischen Spielchen, sondern Taktverkehr. Das ist teuer genug. (Luise Ungerboeck, 18.8.2021)