Die Kampagne #LinzIstLinz brachte Oberösterreichs Landeshauptstadt in aller Munde – weil ein Bild von Linz gezeigt wird, das von der traditionellen Sichtweise abweicht.

Foto: APA/Gindl

Warum werden in einem Tourismusfilm Baustellen gezeigt? Eine junge Frau, die sich mit Senf anpatzt? Oder ein alter Mann, der rumpöbelt? Das ist man so gar nicht gewöhnt – erwartet man sich doch ein glattgebügeltes Bild einer Stadt, wie es sonst bei solchen Aufnahmen der Fall ist. Es empfiehlt sich, den neuen Imagespot über Linz zwei-, drei- oder vielleicht sogar viermal anzuschauen. Vor allem, wenn man skeptisch ist, offensichtlich nicht zur Zielgruppe gehört oder genauer wissen will, was der Hintergrund des Videos ist, das in den vergangenen Wochen für polarisierende Reaktionen gesorgt hat.

Visit Linz

Auf den ersten Blick wirkt das Video in den Augen vieler plump. Manche, inklusive Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ), meinen sogar, es beleidige Oberösterreichs Landeshauptstadt oder könne nur Menschen erreichen, die über Insiderwissen verfügen. Andere jubeln und feiern: Endlich fühlen sie sich abgeholt und die Stadt so dargestellt, wie sie sie wahrnehmen.

Kampagnenerfolg im Netz

Eines ist den Kampagnenmachern jedenfalls gelungen: Selten war die Stadt an der Donau so sehr in aller Munde wie diesen August. Der Imagefilm Linz ist Linz wurde bereits 330.000-mal angeklickt. Mit dem Erfolg, und als solchen muss man die Kampagne in Zeiten allgegenwärtiger digitaler Kommunikation bereits bezeichnen, haben selbst die Macher des Films (Forafilm) und der Auftraggeber Linz Tourismus nicht gerechnet. Die "kühnsten Erwartungen" seien übertroffen worden, heißt es.

Doch was erzählen sie, die versteckten Botschaften, die manche lustig finden, andere, etwa nicht Ortskundige, gar nicht verstehen? Der Biss in die Leberkäsesemmel würdigt das Imbisslokal Leberkaspepi unweit des Linzer Hauptplatzes. An anderer Stelle schwenkt die Kamera auf den Schriftzug "Linz stinkt" – eine Anspielung auf die Industriegeschichte der Stadt. Immer noch zählt die Voest zu den größten Arbeitgebern in der Region. Und wer sind die erwähnten Underdogs, die immer schon willkommen gewesen sein sollen? Die Band Nirvana trat 1989 im Lokal Kapu auf.

Das Timing des Videos war ebenfalls gut gewählt. Die Veröffentlichung fiel mitten ins Sommerloch, wo sonst nicht viel passierte. Für einen weiteren Turbo sorgte die empörte Reaktion des im Urlaub verweilenden Bürgermeisters, der das Video mit den Worten ablehnte, das sei nicht sein Linz, das da gezeigt werde. Tourismusdirektor Georg Steiner bestätigt im Gespräch mit dem STANDARD, dass ein Termin mit Klaus Luger nicht mehr zustande gekommen sei. Es sei aber auch nicht üblich, Kampagnen absegnen zu lassen. Für die Öffentlichkeit jedenfalls eine Entwicklung, die für weiteres Amüsement sorgte.

Tourismus ins Stocken geraten

Dabei ist der Hintergrund der Kampagne ein durchaus ernster. Die Nächtigungszahlen sind in den vergangenen zwei Jahren eingebrochen. Es gilt, neue Zielgruppen anzusprechen. Denn in den vergangenen Jahren hatte Linz von zwei Gruppen profitiert: einerseits Geschäftsreisenden, die zu Kongressen oder Firmenmeetings kamen. Zum anderen gab es im letzten Jahrzehnt einen kontinuierlichen Zuwachs an Gästen aus China oder den USA, die noch länger ausbleiben werden.

Wie hart die Pandemie zuschlägt, zeigt ein Blick in die Statistik. 2019 übernachteten noch 935.000 Touristen in Linz, 2020 waren es 403.000. Auch 2021 kann nicht an die Zeit vor Corona angeschlossen werden, es ist aber ein leichter Aufwärtstrend erkennbar. Im Juni übernachteten 46.000 Menschen hier, 2019 waren es in diesem Monat 88.000 gewesen, 2020 aber nur 28.000.

Geschäftstourismus neu denken

Tourismusexpertin Eva Brucker von der FH Salzburg bestätigt den Trend, dass Gäste aus Übersee noch länger ausbleiben werden. Derzeit gehe man davon aus, dass der Tourismus frühestens ab 2023/2024 wieder wie in Vorpandemiezeiten über die Bühne gehen werde. In Sachen Geschäftstourismus müsse Vorsorge getroffen werden, hybride Modelle anbieten zu können. Die Hotels und Konferenzorte müssten sich dafür entsprechend rüsten.

Die Studiengangsleiterin für Innovation und Management im Tourismus sieht aber auch Chancen in der momentanen Situation. Sie biete die Möglichkeit, zusätzliche Zielgruppen anzusprechen, etwa Familien oder jüngere Menschen. Allgemein gehe es in Zukunft darum, erdgebundenes Reisen, also die Anreise mit dem Zug oder Auto, zu forcieren und Rückzugsmöglichkeiten für Besucherinnen und Besucher zu schaffen. Der Wunsch nach beidem habe sich durch die Erfahrungen mit der Pandemie verfestigt. Den Linzer Imagefilm bezeichnet sie als mutig, es gelinge, die Leute aufmerksam und neugierig zu machen.

"Gierig nach Neuem"

"Die Neugierigen" – das ist genau jene Gruppe, die Tourismusdirektor Steiner künftig ansprechen will. "Wir wenden uns an Leute, die im Sinne des ursprünglichen Reisegedankens Orte, die sie noch nicht kennen, suchen. Wir suchen diejenigen, die gierig nach Neuem sind." Er stellt klar, dass nicht ins Blaue hinein ein aktionistisches Video produziert wurde, vielmehr stehe der Imagespot für eine "Tourismusphilosophie", die man lebe.

Die Überraschtheit des Bürgermeisters überrascht wiederum ihn. Das Video sei schon im Jänner öffentlich angekündigt worden. Tatsächlich findet man im Tourismuskonzept für 2021 einen exakten Plan der Kampagne. Sie wird im Printbereich fortgesetzt – mit einer "positiven Auflösung", wie es heißt. "Entspannung ist jetzt angesagt", findet Steiner. Sogar mehr als das. Ob der gewaltigen Resonanz "erwarte ich mir, dass Lob kommt".

Ein Gespräch mit dem Bürgermeister hat bis dato noch nicht stattgefunden, ist aber für nächste Woche angesagt. Der Landtagsabgeordnete Peter Binder stellt in der Zwischenzeit im Gespräch mit dem STANDARD klar, warum das Video seitens des Bürgermeisterbüros auf Ablehnung gestoßen ist. Man fokussiere zu stark auf eine neue Zielgruppe, dabei müsse es das Ziel sein, bisherige Linz-Besucher zu halten. Auch um in Zukunft ähnliche Umsätze bei den Nächtigungen zu erzielen wie in der Vergangenheit, als Vier- und Fünf-Sterne-Hotels dominierten. "Da werden sich die Jungen schwertun, das zu bezahlen", sagt Binder.

Passagierschiffe stören

Aufholbedarf sieht der SPÖ-Politiker im Umgang mit dem Schiffstourismus. Hier habe man sich vom Tourismusverband bessere Konzepte erwartet. Meist sind es Schiffe, die in Linz haltmachen, um die Passagiere dann in Bussen nach Hallstatt oder Salzburg zu bringen. Abends kehren die Passagiere zurück und übernachten am Schiff. Viele stoßen sich daran, dass die Touristengruppen zu wenig Zeit in Linz selbst verbringen, sich maximal ein Eis vom Hauptplatz holen, ehe sie wieder weitergeschifft werden.

Auch am Tag des STANDARD-Lokalaugenscheins in Linz reiht sich vor dem Museum Lentos ein Passagierschiff an das andere. Dreht man den Kopf weiter Richtung Brucknerhaus, sieht man sie dann aber: die Vertreter des jungen, urbanen Linz, die der Zielgruppe des Videos schon eher entsprechen.

Container gegen Müll

Das Bier oder den Wein bringen die meisten selbst mit, oder sie holen noch ein Getränk in der angrenzenden Sandburg, einer Art Strandlokal, ehe sie sich auf der Wiese der Donaulände niederlassen. Es ist später Freitagnachmittag, ein schwül heißer Sommertag. Es gilt, das beginnende Wochenende zu zelebrieren. Große schwarze Müllcontainer, die alle paar Meter platziert sind, lassen erahnen, wie viel hier heute Abend noch los sein wird. Die Stadt hat vorgesorgt: Die mitgebrachten Getränke sollen nicht zu Müllbergen werden. Linz stinkt ja nicht. (Rosa Winkler-Hermaden, 19.8.2021)