Ungewohnt fühle es sich an, mit "Herr Generaldirektor" angesprochen zu werden, sagt Roland Weißmann (53). Seit 24 vor allem türkise und grüne Stiftungsräte am 10. August für den bisherigen Vize-Finanzdirektor des ORF gestimmt haben, ist er fix der nächste Generaldirektor des ORF ab 2022.

Im STANDARD-Interview räumt Weißmann ein, dass er der Kandidat der entscheidenden türkisen Mehrheit im Stiftungsrat ist. Sie hat geschlossen für ihn gestimmt – neben Grünen, einem Blauen und Unabhängigen, wie er betont. Dass damit auch Erwartungen verbunden sind, etwa in Bezug auf genehme Besetzungen und Berichterstattung, weist er zurück.

Der bis Jahresende amtierende ORF-Chef Alexander Wrabetz hat angekündigt, er wolle noch Weichen stellen, damit Weißmann in ihn gesetzte politische Erwartungen nicht erfüllen müsse. Etwa indem Wrabetz die ab 2022 gemeinsame Chefredaktion von TV, Radio und Online noch selbst bestellt. Weißmann wollte damit bis zu seinem Dienstantritt warten. Nun betont der nächste ORF-Chef die Abstimmung mit Wrabetz in Sachen Newsroom und GIS-Erhöhung.

STANDARD: Sie sind seit 10. August zum nächsten ORF-Generaldirektor bestellt – aber erst ab 1. Jänner 2022. Wie spricht man Sie jetzt an?

Weißmann: Wie bisher, Roland Weißmann.

STANDARD: Aber Sie werden vermutlich schon ständig als "Herr Generaldirektor" begrüßt. Wie fühlt sich das an?

Weißmann: Ungewohnt.

STANDARD: Wie viele Menschen haben sich denn schon angemeldet, die etwas wollen vom künftigen Generaldirektor? Terminkalender schon voll bis 31. Dezember?

Weißmann: Ich habe viele Glückwünsche bekommen, und damit ist auch der eine oder andere Gesprächswunsch verknüpft. Im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich das machen – wie in der Vergangenheit schon. Durch das Reden kommen die Leute zusammen.

STANDARD: Seit wann haben Sie denn Ihre Bewerbung zum ORF-General vorbereitet?

Weißmann: Natürlich beschäftigt man sich länger mit der Frage. Entschieden habe ich es am Ende des Tages für mich ganz alleine, wenige Wochen, bevor ich die Bewerbung öffentlich gemacht habe.

"Der Rauch hat sich verzogen, es gibt keine Diskrepanz" mit dem amtierenden ORF-Chef Alexander Wrabetz, sagt sein Nachfolger Roland Weißmann.
Foto: APA / Georg Hochmuth

STANDARD: Aber so ein Bewerbungskonzept schreibt man nicht in ein paar Tagen, wenn man ein paar andere Jobs hat.

Weißmann: Ideen hat man natürlich schon vorher gesammelt. Wenn man sich für ein Antreten entscheidet, muss man sich auch der Konsequenzen bewusst sein. Man kann es ja auch nicht werden.

STANDARD: Und wann haben Sie gewusst, dass Sie's werden?

Weißmann: Ehrlicherweise am 10. August gegen 15 Uhr. Es ist die Entscheidung von unabhängigen Stiftungsrätinnen und Stiftungsräten. Fix ist es, wenn es fix ist.

STANDARD: Wie verlaufen die letzten Stunden vor der Bestellung? Man telefoniert noch mit Stiftungsräten, ob man sich eh auf ihre Stimme verlassen kann? Mit jedenfalls einem ORF-Landesdirektor, den man darauf hinweist, dass er sich einen neuen Job suchen kann, wenn der ORF-Stiftungsrat dieses Bundeslandes für jemand anderen stimmt? Oder mit dem Kärntner Stiftungsrat, um ihn noch umzustimmen?

Weißmann: Nein. Am Dienstag selbst habe ich mich ausschließlich auf meine Präsentation vor dem Stiftungsrat und eine intensive Fragerunde fokussiert.

STANDARD: Das heißt, die Telefonate haben alle schon vor dem 10. August stattgefunden?

Weißmann: So ist es. Natürlich gibt es Gespräche. Aber stets auf professioneller Ebene über mein Konzept und selbstverständlich nie mit den von Ihnen skizzierten Inhalten.

STANDARD: Wie wird man eigentlich ORF-Generaldirektor?

Weißmann: Indem man sich rechtzeitig bewirbt, die entsprechenden Unterlagen abgibt, zum Hearing eingeladen wird und von mindestens 18 Stiftungsräten gewählt wird. Man bewirbt sich natürlich mit einem Konzept, einer Vision, mit Maßnahmen, die man künftig setzen will, Ideen, wie man dieses tolle Unternehmen weiterentwickeln will.

STANDARD: Ich habe als Antwort erwartet: Man ist über viele Jahre regelmäßiger, quasi Dauergast von Sitzungen der ÖVP-nahen Stiftungsräte, tauscht sich sehr intensiv mit dem Sprecher dieses türkisen Freundeskreises aus, spielt mit ihm und dem vorigen ÖVP-Kandidaten regelmäßig Tarock ...

Weißmann: Ich treffe Stiftungsräte, auch in Gruppen Freundeskreise, würde aber nicht sagen regelmäßig, ich führe Gespräche mit Stakeholdern aller Couleurs, tatsächlich habe ich schon lange nicht mehr Tarock gespielt. Durch Corona gab es in den vergangenen Jahren relativ wenige Gelegenheiten.

STANDARD: Es gab zumindest schon einen ORF-General, der gerne Tarock spielte – Gerhard Weis spielte etwa lange mit Andreas Khol, bis der 2001 maßgeblich zu Weis' vorzeitiger Ablöse beitrug. Was macht den Reiz von Tarock für ORF-Chefs aus?

Weißmann: "Ich gehe davon aus, dass man mir die nötige Umverteilung der Ressourcen zum Digitalen zutraut."
Foto: STANDARD, Corn

Weißmann: Ich spiele gerne, aber nicht gut. Es ist tatsächlich ein interessantes und komplexes Spiel. Manchmal spielt man alleine, manchmal mit Partner. Man muss antizipieren, was die Mit- oder Gegenspieler – je nachdem, welches Spiel man spielt – in den Karten haben. Man muss sich relativ viel merken. Es gibt eine fixe Zahl von Karten, die immer stechen.

STANDARD: Sie haben sich vielfach dagegen verwahrt, als türkiser Kandidat eingeordnet zu werden. Aber tatsächlich werden Sie nächster ORF-Generaldirektor, weil die entscheidende Mehrheit der ÖVP-nahen Stiftungsräte geschlossen für Sie gestimmt hat.

Weißmann: Das stimmt. Plus sechs andere. Ich stelle mich gerne kritischen Fragen und werde das auch weiter tun. Wir stehen als öffentlich-rechtlicher Sender mit Gebührenfinanzierung immer unter Beobachtung, und das ist auch gut so. Was dabei aber immer übersehen wird: Es geht um ein Unternehmen mit einer Milliarde Euro Umsatz und rund 4.000 Mitarbeitern. Es braucht auch unternehmerisches Geschick, diesen ORF zu führen. Mir geht es um die Verantwortung für diese 4.000 Mitarbeiter, für drei Millionen Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler, unser Publikum. Ich habe jetzt elf Jahre die Fernsehfinanzen gemanagt. Ein Unternehmen wirtschaftlich zu führen ist nicht ganz einfach.

STANDARD: Warum hat Sie die entscheidende Mehrheit im Stiftungsrat so einhellig gewählt? Was sind die Erwartungen in Sie?

Weißmann: Ich glaube, es gibt mehr als ein Argument dafür. Der ORF steht ja gut da, hat die Herausforderungen der vergangenen Jahre – von der weltweiten Finanzkrise bis Corona, Wettbewerbsdruck, immer teurere Sportrechte – gut gemeistert. Wir werden die erfolgreichen linearen Produkte mit unseren erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterführen. Aber was dazukommt: Ich beschäftige mich mit dem ORF-Player seit mehr als einem Jahr sehr intensiv mit Digitalisierung – das funktioniert nach völlig anderen Regeln als das Lineare. Ich gehe davon aus, dass man mir die in den kommenden Jahren nötige Ressourcenumverteilung zutraut. Wir haben die Fernsehfinanzen in den vergangenen Jahren um fast 20 Prozent reduziert – mit gleichbleibendem Quotenerfolg. Mit diesen Mitteln haben wir in Wahrheit ORF 3 und ORF Sport Plus finanziert.

STANDARD: Nun sagt der noch amtierende Generaldirektor, er müsse Sie und Ihr Team noch gut auf die Aufgabe vorbereiten, weil Sie eigentlich nicht die nötige Führungserfahrung hätten. Klingt nach einem Traineeprogramm für Sie.

Weißmann: Ich hatte vorige Woche ein mehr als zweistündiges, sehr gutes Gespräch mit dem Generaldirektor. Wir haben ein gemeinsames Ziel: die gute Entwicklung des ORF. Ich bin froh, dass wir die gemeinsame Zeit nutzen. Er hat das Unternehmen 15 Jahre erfolgreich geführt. Ich bin dankbar, wenn er mir noch viel mitgibt. Ich bin froh über jeden Ratschlag.

STANDARD: Nach der Bestellung hat Wrabetz einiges angekündigt, was er vor seinem Abschied noch selbst regeln will. Beginnen wir mit dem GIS-Antrag, der im Herbst ansteht. Seit April 2017, der letzten Erhöhung, sind die Verbraucherpreise um 8,2 Prozent gestiegen. Ist das der Wert für den Antrag auf GIS-Anpassung?

Weißmann: Ich würde das nicht auf das Jahr 2017 einschränken, sondern noch weiter zurückschauen: Tatsächlich haben die Valorisierungen schon über einen langen Zeitraum nie die Inflation abgedeckt, der ORF hat also real immer weniger Gebührenmittel. Wir finanzieren mit den Gebühren die Lieblingsprogramme der Menschen in Österreich künftig auch digital. Und wir schaffen es schon seit vielen Jahren, mit weniger und weniger Fernsehbudgets auszukommen.

STANDARD: Das heißt: Doch lieber zehn Prozent GIS-Erhöhung als acht?

Weißmann: Kein Kommentar zu den Zahlen, die stehen dann im Gebührenantrag. Niemand zahlt gerne, aber wenn wir einen guten Gegenwert bieten ...

STANDARD: Muss der ORF seinem Publikum noch verständlicher machen, was es für die GIS-Gebühren bekommt? Werden Sie als ORF-General durch die Länder touren und den Menschen das erklären – es gab schon die Idee zu Townhall-Meetings mit dem Publikum.

Weißmann: Grundsätzlich gibt es eine breite Akzeptanz der Gebühren – In unserer letzten Befragung von Dezember 2020 fanden 62 Prozent die Höhe der Gebühren angemessen. Das ist ein Höchstwert seit 2005. Ich erkläre das gerne und sehr oft – und gerne auch noch öfter. Vielleicht sollten wir in Zukunft noch häufiger darauf hinweisen, was die Menschen für die GIS bekommen.

"Das Publikum steht im Fokus all unserer Überlegungen. Das war immer so und wird auch so bleiben."
Foto: APA / Georg Hochmuth

STANDARD: Der amtierende Generaldirektor erstellt noch den Finanzplan für 2022, mit dem Sie arbeiten müssen.

Weißmann: Wir haben den Finanzplan 2022 in Wahrheit im April, Mai grundsätzlich fertiggehabt.

STANDARD: Welche GIS-Erhöhung ist da einkalkuliert?

Weißmann: Wie gesagt – warten wir den Antrag ab.

STANDARD: Alexander Wrabetz hat für September Gespräche mit den Verlegern über ein neues ORF-Gesetz angekündigt. Gehen Wrabetz und Weißmann in die Gespräche nun gemeinsam?

Weißmann: Wir hatten schon in der Vergangenheit eine gemeinsame Linie, die der amtierende General eingeschlagen hat, und die verfolgen wir weiterhin. Teils führen wir die Gespräche gemeinsam.

STANDARD: Der ORF will Formate alleine fürs Web produzieren dürfen, länger als sieben Tage online anbieten, Userdaten nutzen, Targeting, digital mehr Regionales ... Aus der Beobachtung österreichischer Medienpolitik der vergangenen Jahrzehnte drängt sich die Frage auf: Was bekommen die privaten Medienhäuser im Gegenzug dafür?

Weißmann: Es gibt ein gemeinsames Verständnis des Medienstandorts Österreich. Der ORF will nur, was andere schon dürfen, wir wollen keine Extrawürste, aber digitale Bewegungsfreiheit, um den ORF so relevant zu halten, wie er heute ist. Dafür müssen die digitalen Fesseln aufgeschnürt werden. Zugleich muss der Medienstandort im Fokus bleiben.

STANDARD: Und da haben die privaten Medienhäuser so ihre Erwartungen.

Weißmann: Gespräche über Kooperationsmöglichkeiten mit privaten Medienhäusern gibt es schon länger. Der ORF hat nichts zu verschenken, aber vielleicht gibt es Win-win-Situationen für alle. Ich erinnere an die Videoplattform über die APA. Wir müssen überlegen, was können wir künftig miteinander, nicht gegeneinander tun. Das kann gemeinsamer Rechteeinkauf sein, Content-Austausch, gegenseitige Verlinkung. Und zugleich müssen wir europäische Zusammenarbeit forcieren, etwa für mehr europäische Fiction als Versuch eines Gegenpols zu Netflix. Ich hätte den ORF da von Beginn an gern federführend an Bord.

STANDARD: Also eine Produktionsallianz und dazu vermutlich eine Zusammenarbeit, Abstimmung der Mediatheken.

Weißmann: Ja, darüber hat Alexander Wrabetz bereits Gespräche begonnen, es braucht dafür auch gesetzliche Änderungen.

STANDARD: In Österreich soll es aber einen ORF-Player und andere geben, die aufeinander abgestimmt, verlinkt sind, aber keine gesamtösterreichische Streamingplattform – "Ötube" war 2017 so eine Idee aus dem türkisen Medienministerium.

Weißmann: Die Idee gab es, aber der Weg Richtung ORF-Player wurde schon vor zwei, drei Jahren eingeschlagen – aber natürlich mit der Idee der Kooperation.

STANDARD: Wann kommt dieser ORF-Player jetzt endlich, und was wird er eigentlich sein?

Weißmann: Wir starten Anfang September mit einem Nachrichtenportal namens "Newsroom". Die Module "Sound" – Radio- und Audioangebote – und "Live" – Livestreams der bestehenden linearen Kanäle – kommen noch 2021. Im Endausbau ist es eine Plattform, eine App für alle Devices vom Smart-TV bis zum Smartphone, über die man mit einem Click die ORF-Welt mit allen Angeboten betritt und für die wir in allen Genres produzieren dürfen – Information, Sport, Kultur, Unterhaltung. Als ich 2020 als Projektmanager begonnen habe, sah es nach einer raschen Digitalnovelle aus, und so haben wir zu planen begonnen. Sie kam nicht, also müssen wir uns herantasten, was nach dem geltenden Gesetz möglich ist.

STANDARD: Wie jeder Staatsbürger. Ein digitaler Sportkanal ging nach Ansicht der Medienbehörde zu weit. Wann kommt denn nun das neue ORF-Gesetz? Zuletzt sprach der Medienbeauftragte des Bundeskanzlers von Herbst 2022.

Weißmann: Ich hoffe früher, ich hoffe, sehr bald. Aber das ist Sache des Gesetzgebers.

STANDARD: Größte Fraktion dort, nicht ganz so groß wie im Stiftungsrat allerdings, ist die ÖVP. Führen Sie dazu Gespräche, wie sieht's aus?

Weißmann: Ich habe Gespräche geführt und führe laufend Gespräche.

STANDARD: Die ORF-Redaktionen von TV, Radio, Online ziehen 2022 in einem großen gemeinsamen Newsroom zusammen. Alexander Wrabetz will noch die Chefredaktion und die Ressortleitungen selbst ausschreiben und bestellen – und kann das rechtlich ganz alleine. Sie wollten erst beziehen und dann die Führung – selbst – bestellen. Wie geht sich das aus nach Ihrem Gespräch vorige Woche?

Weißmann: Wir werden das abarbeiten. Das ist eine wirklich große Veränderung im heikelsten Ressort. Das werden wir mit entsprechendem Fingerspitzengefühl angehen. In der Konstruktion haben wir ähnliche Vorstellungen: Die Generaldirektion steckt den Rahmen ab für eine weisungsfreie Chefredaktion und die weisungsfreien Redaktionen. Wir werden so rasch wie möglich an der Umsetzung arbeiten, aber wenn nötig auch entsprechend Zeit vorsehen.

STANDARD: Also wird Wrabetz noch ausschreiben und bestellen – er meinte nach Ihrer Bestellung: so, dass Sie sich leichter tun, die vielen Erwartungen, die an Sie gerichtet werden, nicht zu erfüllen.

"Der Generaldirektor und ich haben uns darauf verständigt, dass wir die vielen Entscheidungen, auch zum Newsroom, gemeinsam abarbeiten werden, im Sinne des Unternehmens."
Foto: APA, Schlager

Weißmann: Der Rauch hat sich verzogen, es gibt da keine Diskrepanz. Wir sind in guten Gesprächen. Die Basis ist eine neue Organisationsanweisung, an der gearbeitet wird. Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich möchte das ja auch rasch umsetzen. Die Eckpfeiler sind ganz klar: Unabhängigkeit, Objektivität und Binnenpluralismus. Dafür gilt es die bestmöglichen Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, da sind wir einer Meinung, und unsere Konzepte unterscheiden sich da nicht.

STANDARD: Kann ein Newsroom-Chefredakteur oder eine Newsroom-Chefredakteurin parallel auch Sendungen moderieren?

Weißmann: Mir fällt kein Grund ein, warum das nicht sein sollte.

STANDARD: Sie haben von den Rahmenbedingungen für den Newsroom gesprochen, aber eigentlich geht es ja um die Personen, die ihn führen sollen, und ihre Bestellung. Wrabetz hat Armin Wolf, Gabi Waldner und Matthias Schrom als geeignet genannt. Was halten Sie von diesen dreien – vielleicht plus einer Digitalchefredakteurin?

Weißmann: Ich halte alle genannten Personen für ausgezeichnete Journalistinnen und Journalisten. Ich würde begrüßen, wenn sie sich bewerben. Aber es gibt transparente und objektive Auswahlkriterien im ORF, und ich würde keiner Ausschreibung vorgreifen wollen.

STANDARD: Und wenn Alexander Wrabetz Radio-Innenpolitikchef Edgar Weinzettel zum Ressortleiter einer multimedialen Innenpolitik bestellt – und nicht den derzeit im TV zuständigen Hans Bürger?

Weißmann: Ich bin für einen transparenten Ausschreibungsprozess, dem will ich nicht vorgreifen.

STANDARD: Solche ORF-Assessments finden meist mehrere geeignete Kandidaten und Kandidatinnen, die Entscheidung liegt dann beim ORF-General als Alleingeschäftsführer.

Weißmann: Es muss einen Entscheider geben, dazu muss man dann auch stehen.

STANDARD: Und wenn Wrabetz all diese Newsroom-Führungsfunktionen noch selbst besetzt – könnten Sie das nach dem 1. Jänner 2022 wieder rückgängig machen beziehungsweise ändern?

Weißmann: Der Generaldirektor und ich haben uns darauf verständigt, dass wir die vielen Entscheidungen, auch zum Newsroom, gemeinsam abarbeiten werden, im Sinne des Unternehmens.

STANDARD: Als Nächstes müssen Sie dem ORF-Stiftungsrat bis zu vier Direktorinnen und Direktoren für die Zentrale und neun Landesdirektoren, -direktorinnen vorschlagen. Warum haben Sie bei den Zentraldirektoren eigentlich jene Struktur gewählt, die laut Ihrem eigenen Bewerbungskonzept nicht so wirklich gut funktioniert hat?

Weißmann: Man kann Strukturen auch weiterentwickeln, das ist ein Fokus in meiner Bewerbung. Die nächsten zwei Jahre werden für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses von großem Wandel geprägt sein. Die Besiedelung des Standorts Küniglberg – Radio aus dem Funkhaus, Ö3 aus Heiligenstadt – wird uns die nächsten eineinhalb Jahre beschäftigen. Und die digitale Transformation wird uns die nächsten fünf Jahre beschäftigen. Ich habe mich bewusst entschieden, mit den bestehenden Strukturen in diese Jahre der Veränderung hineinzugehen, um eine Stabilität zu vermitteln.

STANDARD: Und während der fünf Jahre regulärer Amtszeit sollen die Direktoren womöglich neue Aufgaben bekommen. Funktioniert das über Klauseln in den Verträgen – oder sind das Veränderungen mit einem neuen ORF-Gesetz, etwa vom Alleingeschäftsführer zu einem Vorstand?

Weißmann: Veränderungen der Aufgaben von Direktionen gab es schon in der aktuellen Führung.

STANDARD: Die Informationsagenden kamen von der Programmdirektion zur Generaldirektion.

Weißmann: Wenn die Besiedelung umgesetzt ist, will ich gemeinsam mit meinem Team überlegen: Bleiben wir in den bestehenden Strukturen oder wollen wir aktiv etwas ändern? Ich will einen Kulturwandel mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schaffen.

STANDARD: Und wer kann das alles? Im Gespräch sind jetzt etwa Georg Spatt (bisher Ö3) für eine Programmdirektion, Eva Schindlauer (ORF 3) für die Finanzen, Harald Kräuter (GIS) oder Matthias Settele (TV Markiza) für Technik/Digitales ... Klingt das nach dem von Ihnen angekündigten Team der besten Köpfe?

Weißmann: Das können wir am 16. September final besprechen.

STANDARD: Da bestellt der Stiftungsrat die Direktorinnen und Direktoren. Könnte ein bisschen spät sein, das zu besprechen.

Weißmann: Natürlich gibt es Ideen, ich führe natürlich Gespräche, und wir haben zum Glück tolle Kolleginnen und Kollegen im Haus. Wichtig ist mir als Teamplayer, dass diese Kolleginnen und Kollegen die viel beschriebenen Herausforderungen verstehen und auch die notwendigen Veränderungen managen können. Ich bin zuversichtlich, dass ich da eine gute Mischung von männlichen und weiblichen Profis zusammenbekomme für einen gemeinsamen Weg in den nächsten Jahren.

STANDARD: Wie viele Landesdirektorinnen unter den neun wird es künftig geben? Bisher sind es zwei – und neun Männer in den Landes-Chefredaktionen.

Weißmann: Mein Ziel ist, auch in meinem Bewerbungskonzept so festgehalten, ein höherer Frauenanteil. An dem wird gearbeitet. Natürlich soll es eine Verbesserung zum Status quo geben.

STANDARD: Channel-Manager für ORF 1 und ORF 2 sind derzeit Lisa Totzauer und Alexander Hofer – sollen sie das bleiben unter General Roland Weißmann?

Weißmann: Gespräche der nächsten Wochen werden zeigen, wie es da weitergeht.

STANDARD: Wie wird denn das Publikum 2022 merken, dass Roland Weißmann ORF-Generaldirektor ist?

Weißmann: Das Publikum steht im Fokus aller unserer Überlegungen. Das war es schon immer und wird auch so bleiben Wir wollen weiterhin das beste Programm im Radio, Fernsehen und online anbieten – und mittelfristig auch im digitalen Bereich. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir unsere heutige Relevanz, unsere hohe Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in unsere Information behalten – auch im digitalen Bereich. Und dass wir Quoten und Marktanteile verteidigen können, das wird ohnehin schwierig. Zum Glück ist uns das in den vergangenen Monaten und Jahren gelungen, allerdings mit einer außergewöhnlichen Nachrichtenlage, von Ibiza bis Corona.

STANDARD: Sie haben gegenüber Stiftungsräten auch vom "Mut zur Lücke" gesprochen, O-Ton: "Wir werden nicht alles behalten können, über kurz oder lang werden wir uns von Angeboten trennen müssen. Wir brauchen Mut, auch einmal Inhalte, mit denen wir nicht zufrieden sind, einfach zu ändern oder einzustellen." Wovon wollen Sie sich denn verabschieden?

Weißmann: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren die TV-Produktionskosten um knapp 20 Prozent gesenkt, das Geld haben wir investiert, und so wird das weitergehen. Wenn das Budget immer weniger wird, die Inflation nicht abgegolten wird und Sportrechte wie andere Rechte immer teurer werden, wenn es sich nicht mehr anders ausgeht, müssen wir überlegen, etwas nicht mehr zu machen. Also etwa, als Beispiel, TV-Mittel im Hauptabend konzentrieren und weniger in den Vorabend investieren. Wir haben, ein weiteres Beispiel, die Trainingszeiten bei "Dancing Stars" stark optimiert. Wir haben mit Proben zwei Tage vor der Show begonnen – und beginnen heute Freitagfrüh für die Liveshow am Freitagabend. Viel mehr kann man da nicht mehr einsparen: Die Probe während der Livesendung wollen wir natürlich nicht.

"Ich gehe mit Respekt und Demut an die Aufgabe heran und höre mir sehr genau an, was mir erfahrene Menschen mitgeben. Wenn ich die Ratschläge für gut und sinnvoll erachte, setze ich sie auch um."
Foto: APA / Georg Hochmuth

STANDARD: Aber nach fünf Jahren Weißmann soll es weiter vier TV-Kanäle und zwölf Radioprogramme geben?

Weißmann: Absolut! Der ORF soll nicht schrumpfen, im Gegenteil. Ich habe angekündigt, dass ich mir die Flottenstrategie der bestehenden TV- und Radioprogramme auch im Zusammenspiel mit den digitalen Möglichkeiten sehr genau ansehen will, die Kanäle sehr präzise voneinander abgrenzen und Überschneidungen vermeiden will.

STANDARD: Wer ist eigentlich der Mensch Roland Weißmann, der da ab 2022 das größte Medienunternehmen des Landes führt?

Weißmann: Jemand mit Handschlagqualität, der seinen Beruf mit großem Engagement und großer Liebe betreibt. Es ist in Wahrheit mehr als ein Beruf für mich, ehrlicherweise. Einer, der den ORF weiterbringen will. Einer, der dem ORF in den vergangenen 25 Jahren sehr viel zu verdanken hat und jetzt ein bisschen zurückgeben will. Ich bin nicht jemand, der in der ersten Reihe stehen muss.

STANDARD: Dort stehen Sie jetzt.

Weißmann: Wenn man das mit einer Fußballmannschaft vergleicht: Ich bin der Fußballtrainer. Wenn die Mannschaft schlecht gespielt hat, dann stelle ich mich hin und stehe Rede und Antwort, das ist die Aufgabe des Trainers. Und wenn die Mannschaft gut gespielt hat, dann sollen die reden, die abgeliefert haben. Die Stürmer, Mittelfeldspieler, Verteidiger. Unsere tollen Moderatorinnen und Moderatoren, in der Info, in der Unterhaltung, im Sport, in der Kultur. Unsere tollen Österreich-Produkte in der Fiktion, in der Comedy. Ich dränge nicht in die erste Reihe. Aber ich bin jemand, der Verantwortung übernimmt.

STANDARD: Handschlagqualität meint?

Weißmann: Wenn ich etwas zusage, halte ich mich auch daran. Darüber hinaus bin ich in meiner Wahrnehmung ein grader Michel, der versucht, mit Leistung und Einsatz das zu machen, mit dem er beauftragt worden ist.

STANDARD: Welche Zusagen gab's an die türkisen Stiftungsräte oder gar an das Kanzlerbüro?

Weißmann: Keine, ich habe keine Absprachen getroffen. Es gibt meinerseits allerdings die Zusage an alle Stiftungsräte – auch jene, die mich nicht gewählt haben –, diese große Aufgabe mit großer Freude und Engagement, aber auch Respekt anzugehen.

STANDARD: Wie viel Richard Grasl steckt in Roland Weißmann? Grasl war lange Ihr Chef, zuletzt als ORF-Finanzdirektor, bis er Alexander Wrabetz bei der Generalswahl 2016 unterlag. Heute ist er beim "Kurier" – und hat sich in den vergangenen Wochen, vorsichtig gesagt, intensiv mit dem ORF-Wahlkampf beschäftigt. Man konnte gelegentlich den Eindruck eines Trainers, vielleicht Wahlkampfmanagers bekommen.

Weißmann: (lacht) Mit Richard Grasl habe ich seit 25 Jahren eine berufliche und persönliche Bindung. In den vergangenen fünf Jahren haben sich unsere beruflichen Wege getrennt. Ich halte nach wie vor sehr viel von ihm, bin mit ihm befreundet und habe ihm viel zu verdanken.

STANDARD: Der Eindruck des Wahlkampfmanagers trügt?

Weißmann: Zu 100 Prozent. Grasl ist ein erfahrener Medienmanager, kennt das Unternehmen schon sehr lange. Ich tausche mich mit ihm auch regelmäßig aus. Er hat seinen Weg woanders gesehen – und er hat auch in Ihrer Zeitung erklärt, dass er ihn beim "Kurier" sieht. Ich war immer eine eigenständige Person und werde das in Zukunft bleiben. Natürlich tausche ich mich mit erfahrenen Medienmanagern aus. Ich freue mich, wenn ich mit Alexander Wrabetz ins Gespräch komme oder auch mit Richard Grasl. Oder wenn sich der ehemalige ORF-Generalintendant Thaddäus Podgorski meldet wie letzte Woche. Ich gehe mit Respekt und Demut an die Aufgabe heran und höre mir sehr genau an, was mir erfahrene Menschen mitgeben. Wenn ich die Ratschläge für gut und sinnvoll erachte, setze ich sie auch um. Ich versuche, das Bestmögliche für das Unternehmen zu tun. (Harald Fidler, 20.8.2021)

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