Am Donnerstagvormittag bat die afghanische Botschafterin – als solche fungierte sie jedenfalls vor der Machtübernahme der Taliban – Manizha Bakhtari vor dem Wiener Museumsquartier um Solidarität mit den Frauen und Mädchen in ihrem Heimatland. Deren in den letzten zwei Jahrzehnten errungene Freiheiten seien nun massiv bedroht, sagte Bakhtari.

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Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan beschäftigt auch die heimische Innenpolitik. Um einen Überblick über die einzelnen Positionen zu bieten, hat DER STANDARD dieselben Fragen an alle Parteien respektive die zuständigen ÖVP-geführten Ministerien geschickt. Die Antworten, die verdichtet wurden, zeigen eine starke Diskrepanz zwischen den Koalitionspartnern: Von der Idee sogenannter Abschiebezentren in Afghanistans Nachbarstaaten halten die Grünen nichts. Der grünen Forderung einer Evakuierung vulnerabler Gruppen erteilt hingegen die ÖVP eine Absage.

Soll es einen Stopp von Abschiebungen nach Afghanistan geben?

BMEIA/BMI: Österreich schiebt weiter Afghanen nach europarechtlichen Vorgaben ab. Es muss vor allem weiter möglich sein, gewalttätige Migranten abzuschieben. (BMI)

SPÖ: Abschiebungen nach Afghanistan sind derzeit rechtlich und faktisch unmöglich. Es ist unfassbar, dass Österreichs Regierung am Tag, an dem Kabul in Taliban-Hände fällt und die ganze Welt seit Tagen mit der Evakuierung ihrer Landsleute beschäftigt ist, noch immer darüber spricht, Leute dorthin abzuschieben, und der Bundeskanzler sich zu dieser Katastrophe noch gar nicht geäußert hat.

FPÖ: Leider gibt es diesen Abschiebestopp faktisch bereits seit Monaten aufgrund der Untätigkeit Nehammers. Generell wäre durch das Innenministerium schnellstmöglich zu prüfen, in welche Regionen Afghanistans Abschiebungen noch möglich sind – und diese müssen dann auch konsequent durchgeführt werden.

Grüne: Es gibt ihn bereits, da aus rechtlichen und faktischen Gründen Abschiebungen nach Afghanistan angesichts der extrem volatilen und lebensgefährlichen Lage unmöglich sind.

Neos: Abschiebungen sind derzeit faktisch nicht möglich. Die Lage in Afghanistan kann man nicht ignorieren.

Soll die Europäische Menschenrechtskonvention geändert werden, um Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen?

BMEIA/BMI: Diese Frage stellt sich nicht. Faktum ist, dass auch weiterhin Afghanen abgeschoben werden. Schon jetzt sind 474 Rückführungen nach der Dublin-II-Verordnung – also in andere Länder – durchgeführt worden, davon 80 Afghanen. Abgeschoben wird zumeist nach Deutschland, Rumänien und Italien, also in sichere Länder. (BMEIA)

SPÖ: Nein.

FPÖ: Es muss einen Paradigmenwechsel im Asylsystem geben, sodass der ursprüngliche Asylgedanke wieder zur Geltung kommt und Schutz dort gewährt wird, wo Verfolgung nicht mehr gegeben ist, und nicht am anderen Ende der Welt. Nötigenfalls müssen dazu auch Adaptierungen in den internationalen Regelungen wie der EMRK oder der Genfer Flüchtlingskonvention vorgenommen werden.

Grüne: Nein, das ist nicht möglich und steht für uns Grüne auch nicht zur Debatte. Menschenrechte sind unabdingbar. Eine Änderung der Konvention bedarf der Zustimmung der anderen Vertragsstaaten. Zudem steht sie in Österreich in Verfassungsrang. Art. 3 EMRK, der die Abschiebungen in unsichere Länder verbietet, ist zudem absolut zwingender Mindeststandard und kann nicht abgeändert werden.

Neos: Nein – Österreich kann die Menschenrechtskonvention, eine der wichtigsten Errungenschaften zur Sicherung der Menschenrechte weltweit, nicht einseitig ändern, schon gar nicht aus einer innenpolitischen Not der ÖVP heraus.

Sollen Menschen aus Österreich in "Abschiebezentren" in Nachbarländern von Afghanistan abgeschoben werden?

BMEIA/BMI: Die Richtschnur ist die Europäische Menschenrechtskonvention. Aber die europäische Asylpolitik muss vor allem glaubwürdig bleiben. Abschiebezentren in den Nachbarstaaten Afghanistans sind dabei eine Möglichkeit. (BMI)

SPÖ: Für diesen Vorschlag Nehammers braucht er internationale Partner. Solche zu finden hat Nehammer ja nicht einmal versucht, dieser Vorschlag richtet sich von selbst. Prioritär sollte die EU sofort die Kooperation mit den Nachbarstaaten Afghanistans suchen, die jetzt schon Flüchtlinge aufnehmen oder bisher aufgenommen haben, und diese Staaten vor allem finanziell unterstützen (Unterstützungsvereinbarung mit Afghanistans Nachbarländern). Ziel sollten menschenrechtskonforme und sichere Schutzzonen in der Region sein, um Menschenleben zu retten und eine oftmals lebensgefährliche Flucht nach Europa zu verhindern.

FPÖ: Jede Möglichkeit, Personen, die sich illegal in Österreich aufhalten und kein Recht auf unseren Schutz haben, rasch außer Landes zu bringen, ist zu ergreifen – also auch diese.

Grüne: Nein, die Debatte um Abschiebezentren in Nachbarländern von Afghanistan ist eine Verkennung der sicherheitspolitischen Lage. Auch der UNHCR rät klar von Abschiebungen in die Region ab. Priorität sind jetzt Maßnahmen zur Evakuierung, zum Schutz der afghanischen Bevölkerung in Afghanistan und der Region; dazu gehören auch sichere Fluchtmöglichkeiten. Eine Destabilisierung der Region muss verhindert werden, auch um Europas Sicherheit zu gewährleisten.

Neos: Es gibt solche Zentren schlicht nicht, insofern erübrigt sich auch die Debatte dazu. Viel wesentlicher ist es, dass die Nachbarländer Afghanistans die notwendige Unterstützung Österreichs und der EU erhalten, damit sie in der Lage sind, Flüchtlinge aus Afghanistan überhaupt aufnehmen zu können. Das ist unsere Verantwortung, damit sich die Fehler von 2015 nicht wiederholen – und sich große Flüchtlingsbewegungen nach Europa aufmachen.

Soll Österreich besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan aufnehmen (Frauen, Journalistinnen und Journalisten, LGBTQ)? Wenn ja, wie viele?

BMEIA/BMI: Als EU müssen wir gemeinsam mit Partnern, sowohl in der Region als auch international, alles daran setzen, dass sich die Lage in Afghanistan stabilisiert. Die Grund- und Menschenrechte aller Afghanen, vor allem von Frauen, Kindern und Minderheiten, müssen geschützt werden. Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass schutzbedürftige Personen möglichst nahe an ihrer Heimat versorgt werden sollten. (BMEIA)

SPÖ: Logisch ist, Österreicherinnen und Österreicher und Ortskräfte, die seit Jahren mit Österreicherinnen und Österreichern in EU-Organisationen in Afghanistan zusammengearbeitet haben, sofort zu evakuieren. Genauso logisch ist es, Menschen, die aufgrund ihrer politischen/beruflichen Tätigkeit einer besonders großen Bedrohung ausgesetzt sind, bevorzugt zu behandeln und Schutz zu gewähren.

FPÖ: Nein. Österreich hat insbesondere seit 2015/16 mehr als genug geleistet. Hauptverantwortlich für die Linderung der Folgen ihres Debakels in Afghanistan wären die USA.

Grüne: Europa trägt klar Verantwortung, den akut von Taliban-Gruppen gefährdeten Menschen wie Frauen, Kinder und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten unbürokratisch Zuflucht zu gewähren. Dazu braucht es dringend ein EU-Programm zur humanitären Aufnahme von Schutzsuchenden. Österreich muss die nötigen Ressourcen und Expertise zur Verfügung stellen und bereits laufende Familienzusammenführungen abschließen.

Neos: Ja. Diejenigen, die in den vergangenen Jahren für den Westen gearbeitet und sich für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt haben, darf Europa, darf Österreich nicht im Stich lassen. Das gilt natürlich genauso für Frauen und Minderheiten, die ihre hart erkämpften Rechte erneut zu verlieren drohen.

Soll sich Österreich an einem Verteilungsmechanismus von Flüchtlingen innerhalb der EU beteiligen, falls diese die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan beschließt?

BMEIA/BMI: Österreich hat bereits viel gemacht und ist hier stark in Vorleistung getreten. In Österreich leben mehr als 44.000 Afghanen. Das ist auf die Bevölkerung gerechnet die zweitgrößte afghanische Gemeinde in Europa. (BMI)

SPÖ: Ja, wenn sich 27 Mitgliedsstaaten darauf einigen. Im Fokus sollte aber zunächst die rasche Hilfe vor Ort, inklusive der Unterstützung der Nachbarstaaten bei der Flüchtlingsaufnahme, stehen.

FPÖ: Nein – und Österreich muss gegenüber der EU auch klar deponieren, dabei nicht mitzumachen.

Grüne: Europa trägt klar Verantwortung, den akut von Taliban-Gruppen gefährdeten Menschen wie Frauen, Kinder und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten unbürokratisch Zuflucht zu gewähren. Dazu braucht es dringend ein EU-Programm zur humanitären Aufnahme von Schutzsuchenden. Österreich muss die nötigen Ressourcen und Expertise zur Verfügung stellen und bereits laufende Familienzusammenführungen abschließen.

Neos: Wir haben uns immer für eine europäische faire Verteilung von Flüchtlingen ausgesprochen, wir erwarten uns, dass die europäischen Regierungschefs endlich echte Schritte in diese Richtung unternehmen.


Sollen afghanische Schubhäftlinge sofort enthaftet werden?

BMEIA/BMI: Die Schubhaft wird routinemäßig alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht geprüft und auf Anordnung der Justiz aufgehoben. (BMI)

SPÖ: Dies ist eine rechtliche und keine politische Frage. Der VfGH hat sich dazu erst gestern klar geäußert.

FPÖ: Nein, es sollen im Gegenteil raschest Möglichkeiten geschaffen werden, um sie in ein anderes Land – bevorzugt in der Region – abzuschieben.

Grüne: Sie müssen wohl schon nach dem Gesetz enthaftet werden, weil der Verfassungsgerichtshof bereits festgestellt hat, dass zeitnahe Abschiebungen nach Afghanistan nicht mehr möglich sind.

Neos: Wir prüfen das VfGH-Urteil vom Mittwoch noch. Aber natürlich müssten bei einer Enthaftung Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern, dass diese Menschen untertauchen (bspw. Wohnsitzauflagen und tägliche Meldepflichten).


Soll für straffällige Afghanen, die nicht abgeschoben werden dürfen, eine Präventivhaft ("Sicherungshaft") angedacht werden?

BMEIA/BMI: Das Regierungsprogramm sieht die Einführung einer Sicherungshaft für Asylwerber vor. Sie wird in den zuständigen Ministerien rechtlich geprüft. (BMI)

SPÖ: Die Bundesregierung soll nicht nur mit Überschriften und Schlagwörtern um sich werfen, sondern endlich eine rechtlich gangbare Lösung auf den Tisch legen. Dass diese Regierung und alle ÖVP- und FPÖ-Innenminister der letzten zwei Jahrzehnte es nicht geschafft haben, strafrechtlich verurteile Afghanen kontinuierlich und in entsprechender Anzahl abzuschieben, während dies möglich gewesen ist, beweist deren Scheitern. Sich gleichzeitig über die selbstverschuldete Problematik zu beschweren ist verlogen.

FPÖ: Ja. Es ist den Österreichern nicht zumutbar, dass diese Personen deshalb wieder auf die Bevölkerung losgelassen werden, weil die USA einmal mehr in ihrer Rolle als selbsternannter "Weltpolizist" versagt haben.

Grüne: Eine generelle Präventivhaft ist nicht möglich, dem stehen die österreichische Verfassung (Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit) und die EMRK entgegen. Ein Vorschlag dafür, wie eine "Sicherungshaft" für Asylwerber verfassungskonform (so wie im Regierungsabkommen festgehalten) umgesetzt werden könnte, ist uns nicht bekannt, einer Änderung der Verfassung zu diesem Zweck haben die Grünen wiederholt eine klare Absage erteilt.

Neos: Wir sind immer gegen eine Sicherungshaft eingetreten, dabei bleiben wir. Es gibt gute Gründe, weshalb die österreichische Verfassung das nicht vorsieht.


Sollen die Taliban als rechtmäßige Regierung Afghanistans anerkannt werden?

BMEIA/BMI: Österreich anerkennt Staaten, keine Regierungen. Wir haben mit dem Staat Afghanistan weiterhin diplomatische Beziehungen. Natürlich stellt sich für die gesamte internationale Staatengemeinschaft die Frage, wer in Zukunft unsere Gesprächspartner in Kabul sein werden. Als EU haben wir schon letzte Woche klargestellt, welche Grundvoraussetzungen wir an die Taliban stellen: Allen voran Respekt der Grund- und Freiheitsrechte aller Afghanen, insbesondere von Frauen und Minderheiten. Aber auch, dass Afghanistan nicht wieder zur Brutstätte islamistischen Terrorismus wird. (BMEIA)

SPÖ: So wie die Uno sind auch wir der Meinung, dass jetzt eine Übergangsregierung gebildet werden soll, die auch andere Gruppen als die Taliban umfasst, repräsentativ für das afghanische Volk sein muss und der dementsprechend auch Frauen angehören müssen.

FPÖ: Die Frage stellt sich erst, wenn sich tatsächlich eine Regierung gebildet hat.

Grüne: Nein, die Anerkennung einer fundamentalistischen Bewegung nach einer gewaltsamen Übernahme steht auch auf internationaler Ebene momentan nicht zur Debatte. Gespräche mit der Taliban sind für einen geordneten Übergang und zum Schutz der Bevölkerung allerdings unumgänglich. Die EU muss alle Hebel nützen, um die Taliban zur Einhaltung des Völkerrechts zu drängen.

Neos: Europa muss in jedem Fall geeint vorgehen! Gar keinen Kontakt zu halten wird aber wohl keine Lösung sein.


Soll Österreich diplomatische Beziehungen zu den Taliban aufnehmen?

BMEIA/BMI: Für uns ist der Respekt der Grund- und Freiheitsrechte aller Afghanen, insbesondere von Frauen und Minderheiten, nicht verhandelbar. Als EU werden wir gemeinsam mit unseren Partnern, sowohl in der Region als auch auf internationaler Ebene, alles daransetzen, dass sich die Lage in Afghanistan rasch stabilisiert. Wir wollen als EU die Partnerschaft mit dem afghanischen Volk fortsetzen. Aber eine Partnerschaft funktioniert nur mit einem zurechenbaren und vernünftigen Gegenüber. Alle Kräfte innerhalb Afghanistans müssen sich dabei ihrer Verantwortung bewusst sein. (BMEIA)

SPÖ: Diese Frage stellt sich derzeit keinesfalls. Die EU sollte mit einer gemeinsamen starken Stimme sprechen und einen Sonderbeauftragen für Afghanistan ernennen. Die Taliban wissen, dass Afghanistan auf internationale Hilfsgelder angewiesen ist. Österreich sollte sich als neutraler Ort für eine internationale Afghanistan-Konferenz anbieten (nach Vorbild KSZE/OSZE), und im Zentrum dieser Gespräche steht die Frage, an welche Bedingungen –Menschenrechte, Frauenrechte, Sicherheit – das Fließen weiterer Hilfsgelder gekoppelt ist.

FPÖ: Ohne die Fortsetzung zumindest minimaler diplomatischer Beziehungen zu Afghanistan wird auch die dringend nötige Abschiebung unzähliger illegal in Österreich aufhältiger Afghanen schwer zu bewerkstelligen sein.

Grüne: Nein, diplomatische Beziehungen setzen eine Anerkennung voraus. Gespräche mit der Taliban sind allerdings unumgänglich, vor allem um die Österreicherinnen und Österreicher sowie Afghaninnen und Afghanen mit Aufenthaltsrecht in Österreich so schnell wie möglich zu evakuieren und auf den Schutz und die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung hinzuwirken.

Neos: Eine internationale Anerkennung müsste aber sehr langsam, wohlüberlegt und schrittweise passieren. Auch die laufenden Gespräche zwischen den Taliban und anderen politischen Gruppierungen, um eine breitere Regierung zu bilden, müssen dabei beobachtet werden. (Fabian Schmid, Gabriele Scherndl, 20.8.2021)