Einsamkeit macht traurig und tut weh. Das Gefühl, sich niemandem mitteilen zu können und den Anschluss an seine Mitmenschen zu verlieren, kann sich sogar in körperlichen Symptomen niederschlagen, kurz gesagt: krankmachen.

Auch Menschen, die allein wohnen, fühlen sich oft einsam. Eine Studie der Uni Wien kam kürzlich zum Schluss, dass vor allem jene Leute, die ohne Familienmitglieder oder Freunde wohnen, die Distanzierungsregeln zur Pandemie-Eindämmung als besonders starke Belastung empfunden zu haben.

"Einsamkeit darf nicht mit dem Alleinsein, also der physischen Abwesenheit von anderen Personen verwechselt werden", sagt Ricarda Nater-Mewes, Leiterin der Forschungs-, Lehr- und Praxisambulanz der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien. Als ein "sehr individuelles Gefühl" beschreibt die Psychologin die Einsamkeit. Manche Menschen bräuchten daher mehr soziale Kontakte als andere. Entscheidend sei aber nicht die Anzahl dieser Beziehungen, sondern deren Qualität und das Vertrauen darin, dass jemand da ist, wenn es einem schlechtgeht.

14.300 Gespräche

Einsamen Menschen, denen solche wichtigen Bezugspersonen fehlen, kann etwa das "Plaudernetz" helfen, das unter anderem auf Initiative der Caritas betrieben wird. Die Idee: Menschen, die sich nicht kennen, einander noch nie gesehen oder miteinander gesprochen haben, werden anonym zum Telefonieren verbunden.

Einsamkeit betrifft jede Altersgruppe: Im Caritas-Plaudernetz telefonieren alte und junge Menschen miteinander, oft wird nicht nur über Alltägliches, sondern auch über Persönliches gesprochen.
Foto: imago images

Nahezu 3.500 Freiwillige sind bei dem Projekt als sogenannte Plauderpartner registriert und haben seit April vergangenen Jahres rund 14.300 Telefonate geführt, sagt Dunja Sporrer. Sie arbeitet in der Innovationsabteilung der Caritas Wien und leitet das Projekt gemeinsam mit ihrer Kollegin Petra Fasching. Vor dem ersten Lockdown waren die beiden in Pensionistenwohnheimen und haben mit älteren Menschen gesprochen, die von der Heimhilfe betreut werden. Bei dieser "physischen Recherche" habe Sporrer gemerkt, dass vor allem ältere Menschen großen Gesprächsbedarf hätten. "Mit dem ersten Lockdown wussten wir, dass wir mit unserem Angebot so schnell wie möglich rausgehen müssen", sagt die Projektleiterin. Per Zufallsprinzip werden Anrufer seitdem täglich zwischen 12 und 20 Uhr mit Freiwilligen zum Plaudern verbunden.

Zum Beispiel mit Thomas Wagner. Der 52-Jährige engagiert sich beim Plaudernetz. Mit der Annahme, dass er dabei nur mit alten Menschen telefonieren wird, hat er sich bei der Initiative registriert. Dann aber überraschte ihn, wie jung die Anrufer oft sind. "Beeindruckt hat mich ein 27-Jähriger aus dem Iran, der zwar ausgezeichnet Deutsch konnte, aber trotzdem angerufen hat, um das Sprechen zu üben", erzählt Wagner. Auch das Gespräch mit einem Zehnjährigen, der sich nach der Schule die Zeit vertreiben wollte, werde er nicht vergessen.

Schamhaftes Gefühl

Auch wenn Einsamkeit und das Bedürfnis, sich auszutauschen, in allen Altersgruppen vertreten sind, scheint das Gefühl schambehaftet zu sein. Wohl die wenigsten würden gerne zugeben, dass sie sich einsam fühlen. "Viele sehen ihre Einsamkeit womöglich als ein Zeichen dafür, dass sie nicht liebenswert oder interessant genug für andere sind, suchen die Schuld bei sich und schämen sich dafür", sagt Psychologin Nater-Mewes. Mit anderen darüber zu sprechen kann gegen dieses Schamgefühl aber helfen.

Dadurch, dass bei Plaudernetz-Gesprächen keine privaten Nummern aufscheinen, öffnen sich Betroffene womöglich leichter. "Wir sind anonym miteinander vernetzt und können uns alles von der Seele reden", sagt Plauderpartner Wagner.

Das weiß auch Dietlinde F., die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die 72-Jährige hat viele Freundinnen und guten Kontakt zu ihrer Schwester. Einsamkeit verspüre die pensionierte Lehrerin, die mit ihren zwei Katzen in Wien lebt, dennoch. Vor allem die Lockdowns hätten ihr zugesetzt, erzählt sie. Mit Menschen, die sie nicht kennt, unvoreingenommen zu plaudern, hätte Dietlinde geholfen. "In der schlimmsten Zeit der Pandemie waren die Gespräche wie ein Strohhalm für mich. Ich hatte das Gefühl, wieder atmen zu können."

Christina ist eine von knapp 3500 Freiwilligen im losen Plaudernetzwerk. Mitmachen können Volljährige mit einem Telefon, freier Zeit und Offenheit für neue Gespräche.
Foto: Caritas Wien

Dietlinde hat mittlerweile die Seite gewechselt und ist keine bloße Anruferin mehr, sondern als Plauderpartnerin beim Netz registriert. Nicht geändert hat sich damit aber die Ungewissheit darüber, welche Geschichte sich hinter dem nächsten Telefonat verbirgt. "Jedes Mal, wenn mein Handy läutet und die Nummer vom Plaudernetz am Display aufscheint, habe ich ein bisschen Herzklopfen", erzählt die 72-Jährige.

Keine Expertenhotline

Die Telefonate können aber auch schon auch eine Belastung werden. Im Unterschied zur Telefonseelsorge oder zu einem Krisentelefon arbeiten für das Plaudernetz keine Expertinnen oder Experten. Die Freiwilligen durchlaufen kein aufwendiges Bewerbungsverfahren, statt einer persönlichen Einschulung gibt es automatisierte Onboarding-Prozesse. "Wir hätten das Projekt auch für 50 engmaschig betreute Freiwillige konzipieren können, aber dann könnten wir unseren Anrufern weitaus weniger Gespräche pro Tag bieten", sagt Sporrer. Unabdingbar sei für die Plauderpartner daher, sich emotional von Gesprächsinhalten abgrenzen zu können. Das Projekt bietet Webinare an, in denen Freiwillige etwa lernen, schwierige Gespräche zu führen, sagt Sporrer.

Und zu solchen kommt es durchaus, weiß Dietlinde, die etwa von Betrunkenen erzählt, die ihr in den Hörer lallen. Oft fühle sich die 72-Jährige wie ein "Seelen-Mülleimer", dann wiederum wie eine Krankenschwester oder eine Psychiaterin. Auch Wagner empfindet die Telefonate schon mal als belastend. "Bei manchen Gesprächspartnern spüre ich einen starken Leidensdruck. Ich versuche sie dann aus ihrem Alltag rauszuholen und ein wenig abzulenken", erzählt der 52-Jährige.

Psychisch verlange das Plaudernetz von den Freiwilligen also einiges ab, erzählt Dietlinde. Für sie sei es dennoch "das Schönste, wenn es gelingt, dass ein Telefonat jemandem dazu verhilft, dass es ihm besser geht", sagt die 72-Jährige. Anderen Menschen etwas zurückgeben zu können und dafür nur das Handy abheben zu müssen sei die Grundmotivation der pensionierten Lehrerin, sich zu engagieren.

Dass Projekte wie das Plaudernetz einsamen Menschen helfen können, befindet auch Nater-Mewes. "Gründe für Einsamkeit sind vielfältig", sagt sie. Manche Menschen hätten womöglich in der Kindheit schlechte Erfahrungen gemacht und sind daher misstrauischer im Umgang mit ihren Mitmenschen und nehmen schwieriger Kontakt auf.

Anderen fehlten vielleicht gute Vorbilder für Beziehungen, sodass sie das entsprechende Verhalten nicht ausreichend lernen konnten, sagt die Psychologin. Einsamkeit betrifft oft auch Menschen, deren Bezugspersonen gestorben sind.

Ihnen rät die Psychologin zum Austausch. "Besonders gut am Plaudernetz gefällt mir, dass man das Angebot so einfach in Anspruch nehmen kann. Man muss dafür nicht rausgehen oder sich überlegen, ob das Gegenüber Interesse an einem Gespräch hat oder nicht", sagt die Psychologin. Gut so, denn die Caritas plant aktuell, das Plaudernetz als Dauerangebot zu etablieren. (Allegra Mercedes Pirker, 20.8.2021)