Im Gastkommentar sagt der Musiker und Musikpädagoge Peter Trefflinger: Auch das Gegeneinander-Ausspielen von jungen Musikerinnen und Musikern ist ein Einfallstor für Lohndumping im Musikbereich.

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Wann gilt ein Musiker als Profimusiker? Woran macht man das fest? An einem universitären Abschluss?
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Es war für einige Minuten etwas unübersichtlich, als der mutige Sänger und Gitarrist Alexander Köck bei der Eröffnungsgala zur burgenländischen Jubiläumsausstellung plötzlich vom Protokoll abwich und sich aus Solidarität zu seinen Kolleginnen und Kollegen an das Publikum samt versammelter Prominenz wandte: Die Gagen für die Orchestermitglieder an jenem Abend seien beschämend, habe er mitbekommen, kolportierte 30 Euro.

"Ja, dürfen S’ denn des?", schoss es wohl manch Anwesendem angesichts der unwillkommenen Programmunterbrechung in den Kopf. Die Feierstimmung war erst einmal perdu. Bei hektischen Relativierungsversuchen von Moderation und Politik wurde – nachdem klar geworden war, dass der Betrag von 30 Euro korrekt war – schließlich argumentiert, dass es keine "abgeschlossenen Musiker, sondern Studentinnen und Studenten" seien, die hier säßen. "Das sind jetzt bitte keine Profimusiker", tönte es. Zudem flössen jährlich Millionen in die musikalischen Ausbildungsstätten eben jener Orchestermitglieder.

"Nur als Referenzrahmen (...) – wir haben in Albanien mehr Gage bekommen als heute." Musiker Alexander Köck kritisiert niedrige Gagen bei der Jubiläumsveranstaltung 100 Jahre Burgenland.
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Wann ist ein Musiker ein Profimusiker?

Ich wünschte, ich könnte mich an den Moment erinnern, als ich von mir getrost behaupten konnte, von nun an Profimusiker zu sein. Was könnte ich als Kriterium heranziehen? Einen universitären Abschluss allein? Wohl kaum. Gewerbeanmeldung? Existiert hier nicht. Meldung bei Sozialversicherung und Finanzamt als Künstler? Was, wenn ich – nicht zuletzt wegen grassierender Dumping-Gagen – unterhalb der Steuerfreigrenze bleibe oder ein zweites Standbein habe? Bleibe ich Profimusiker, auch wenn das Finanzamt feststellte, mein marginales Einkommen zeuge von "Liebhaberei" – mit der Konsequenz, dass ich keine steuerlichen Abschreibungen machen darf?

Prekäre Lage

So unübersichtlich wie die Situation Samstagabend auf Burg Schlaining ist auch der Status freier Musikschaffender in Österreich. Die Zahl derer, die professionell Musik machen, damit ihren Lebensunterhalt verdienen und die renommiertesten Bühnen des Landes bespielen, ist nämlich um ein Vielfaches höher als die Anzahl an Musikerinnen und Musikern in einem typischen Anstellungsverhältnis bei einem Berufsorchester. Sie alle sind Profimusiker. Gerade die Corona-Krise machte nicht nur die prekäre Lage von einigen Tausend Musikschaffenden im Lande sichtbar, sondern zeigte auch die Schwierigkeit, diese bei Bedarf zu erfassen und zu unterstützen. An der Vielfalt an Lebens- und Überlebensmodellen für diese Berufsgruppe scheiterte im Frühjahr 2020 die Bürokratie lange in der Bemühung, alle aufzufangen, die durch das Veranstaltungsverbot über Nacht ihre Lebensgrundlage verloren hatten.

Einmal mehr muss hier auf das französische Modell hingewiesen werden, das mitten in der angespannten Situation der Pandemie erlaubte, quasi auf Knopfdruck alle Personen, die im Bereich der darstellenden Kunst arbeiten, zu erreichen und zu unterstützen. Genau jene Gruppe "diskontinuierlich Beschäftigter" nämlich, die in Bühnenberufen arbeiten und dabei weder klassischen Lohn empfangen noch selbstständig arbeiten. Für sie gibt es ein Modell, das auf ihre atypischen Anstellungsverhältnisse Rücksicht nimmt und diese zusammenfasst.

Unfreiwillig in Graubereichen

Hierzulande bewegt man sich ständig unfreiwillig in Graubereichen zwischen Scheinselbstständigkeit, Kettenverträgen und anderen arbeitsrechtlich problematischen Konstellationen. Es gibt schlichtweg keinen arbeits- und sozialrechtlichen "Lebensraum freier darstellender Künstler". Mit fatalen Auswirkungen:

Abgesehen von den Graubereichen bei Anstellungen und Abhängigkeiten führt das Anwenden von Einkommensgrenzen und Beitragsberechnungen von echten Selbstständigen auf die Gruppe diskontinuierlich Beschäftigter in Bühnenberufen gerade in der Kombination mit Dumping-Gagen oftmals zu einer Verkettung von Fehlberatungen, An- und Abmeldungen, Rückforderungen und in letzter Konsequenz zu Prekariat und Altersarmut.

Ausspielen von Jungen

Zurück zu den "nicht abgeschlossenen Musikern", wie sie am Samstag bezeichnet wurden: Dazu sei gesagt, dass alle Studierenden, die auf der Bühne ihr Bestes gaben, gewiss mehr als sechs bis acht Jahre intensivster Arbeit am Instrument hinter sich hatten, um überhaupt den Status von Studierenden eines Musikinstruments zu erlangen. Was wäre für sie ein angemessenes Honorar für einen langen Abend auf der Bühne?

Als Einfallstor für beschämend geringe Gagen im Musikbereich dienen traditionell das Gegeneinander-Ausspielen von jungen Musikerinnen und Musikern, das Anwerben von billigen Orchestern aus dem Osten und das Hereindrängen von Personen, die Musik tatsächlich als Hobby betreiben (und sich im Gegensatz zu den Profis manchmal an der Finanz vorbei etwas dazuverdienen). Die IG Freie Musikschaffende hat im Jahr 2020 erstmals für Österreich Honorarempfehlungen für die besonders problembehaftete Sparte "Freie Orchesterarbeit" entwickelt. Eine Gagenhöhe für Studierende findet sich darin freilich nicht. Es sollte sich jedoch bei einem offiziellen Anlass dieser Größenordnung ein Honorar festlegen lassen, das in Relation zur geleisteten Arbeit und zu diesen Empfehlungen steht.

Mehr Fairness

Das im Herbst 2020 etablierte "Forum Fairness", in dem sich Staatssekretärin Andrea Mayer und Interessenvertretungen mit der Einkommenssituation im Sektor Kunst / Kultur / Freie Medien auseinandersetzen, ist gewiss ein Meilenstein auf dem Weg zur Verbesserung der Lage vieler Kunstschaffender. Dass die Situation in der Musik und der darstellenden Kunst in besonderem Maße von Ausbeutung und Abhängigkeiten geprägt ist, zeigen die wiederholten Hilferufe aus der Szene. Nur eine ganzheitliche Betrachtung dieser Erwerbsform wird der Lage der Musikerinnen und Musiker gerecht werden können. (Peter Trefflinger, 20.8.2021)