Beim Blick auf die heuer wieder brummende US-Wirtschaft drängt sich ein ziemlich irritierendes Bild auf: Längst hat der vermeintliche Patient das Krankenhaus verlassen und ist ins Fitnessstudio gegangen, aber er wird noch intensivmedizinisch betreut. Wohl ist eine Volkswirtschaft nicht mit dem menschlichen Körper vergleichbar, allerdings kann auch die seit der Corona-Pandemie enorm expansive Geldpolitik der US-Notenbank Fed zu Nebenwirkungen führen. Nämlich hoher Inflation – die mit 5,4 Prozent auf Jahressicht bereits Realität geworden ist.

Bei dieser Zahl ist es kein Wunder, wenn bei manchen US-Währungshütern erste nervöse Zuckungen auftreten. Schließlich strebt die Notenbank als mittelfristiges Inflationsziel bloß zwei Prozent an. Wohl hat sie bereits angekündigt, ein zeitweiliges Überschießen der Marke zuzulassen, allerdings liegt die Teuerung nun bereits den vierten Monat in Folge bei mehr als dem Doppelten des Zielwerts. Wie lange kann die Notenbank zusehen, ohne dass hoher Preisauftrieb zum Selbstläufer wird?

Offiziell ist die Position der Fed, ebenso wie jene der Europäischen Zentralbank (EZB), dass die derzeit hohen Inflationsraten vorübergehend seien. Als Beispiel wird der Ölpreis, ein gewichtiger Faktor der Inflationsberechnung, herangezogen, der auf Jahressicht um etwa 50 Prozent gestiegen ist. Tatsächlich ist es in Zeiten der Energiewende wenig wahrscheinlich, dass der Preis für Erdöl weiter abhebt; allerdings geht die Teuerung über diesen Bereich schon weit hinaus. Die sogenannte Kerninflation, bei der Energie und Nahrung ausgeklammert werden, liegt in den USA ebenfalls bei üppigen 4,3 Prozent.

Expansive Geldpolitik

Die Inflation und der Ausstieg aus der krisenbedingt enorm expansiven Geldpolitik wird auch in der nächsten Woche beim jährlichen Notenbankertreffen in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming das dominierende Thema sein. Schließlich haben Kanada oder Australien die Verringerung ihrer Anleihekäufe bereits eingeleitet oder angekündigt. Angesichts der billionenschweren Konjunktur- und Infrastrukturpakete von US-Präsident Joe Biden und des Konsumstaus in der Bevölkerung sollte auch die Fed mit einem Kurswechsel nicht zu lange zögern.

Die größte Gefahr besteht darin, dass sich die Erwartung einer höheren Inflation in den Köpfen der Wirtschaftstreibenden festsetzt und sie die Teuerung durch ihre Handlungen noch weiter antreiben. Dieser Prozess dürfte schon angelaufen sein; auch in Europa werden Preiserhöhungen auf breiter Front angekündigt oder durchgesetzt. Die Palette reicht von Brot über Metallnägel bis zu hochkomplexen Produkten wie Autos: Alles wird teurer.

Selbsttragend wird die Entwicklung, wenn dies auch in die Lohnfindung einfließt. Dann droht eine Lohn-Preis-Spirale, die zuletzt in den 1970er-Jahren zu anhaltend hoher Inflation führte.

Auch wenn die Eurozone in der Entwicklung hinterherhinkt – die Teuerung liegt bei 2,2 und die Kerninflation bei nur 0,9 Prozent –, muss auch die EZB achtsam sein. Schließlich entfaltet die Demografie mit der sukzessiven Pensionierung der Babyboomer erst im Lauf des Jahrzehnts ihre inflationierende Wirkung. Wird hoher Preisauftrieb einmal zum Selbstläufer, kann er, wie es die Welt Anfang der 1980er-Jahre erlebt hat, nur mit einer geldpolitischen Vollbremsung wieder eingefangen werden. (Alexander Hahn, 19.8.2021)