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Auch elektrische Chassis werden in Be’er Scheva entworfen.

Foto: Reuters, Amir Cohen

Auf die Frage, wo sich die meisten innovativen Technologieunternehmen angesiedelt haben, kommt als Antwort meist das US-amerikanische Silicon Valley – schließlich ist hier der Sitz von Google, Facebook und Apple. Doch Talente und damit auch Investitionen sind längst nicht mehr nur dort gebunkert, sondern verteilen sich auf die ganze Welt. Eine wichtige Rolle spielt dabei Israel, dessen Branche für Cybersicherheit mehr als 300 Start-ups zählt. Seit Anfang des Jahres befinden sich darunter auch sieben sogenannte Einhörner – also Unternehmen mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Euro. Was macht den Standort am Mittelmeer so attraktiv?

Um die Entwicklung nachvollziehen zu können, hilft eine knapp einstündige Autofahrt von Tel Aviv nach Be’er Scheva, einem einst verschlafenen Städtchen inmitten der Negev-Wüste im Süden Israels. Seit 2013 entsteht dort der Gav Yam Negev Advanced Technologies Park, in dem sich auf 50.000 Quadratmetern unter anderem Paypal, Dell, IBM, Oracle, Wix und die Deutsche Telekom niedergelassen haben. Doch nicht nur das: Auch Start-up-Inkubatoren, also Gründungszentren, in denen sich technisches Know-how konzentriert, die anerkannte Ben-Gurion-Universität und staatliche Einrichtungen zu Cybersicherheit und -abwehr wurden hier angesiedelt.

Rolle des Militärs

All das hat System – und das Ziel, einen Austausch zwischen Wissenschaft und Industrie zu fördern. Während die Arbeitsstätten weiter voneinander getrennt sind, habe man laut Universitätsprofessor Dan Blumberg darauf geachtet, dass man sich in der Mittagspause begegnet, ins Gespräch kommt und im besten Fall so ein Wissenstransfer stattfindet, der engere Kooperationen entstehen lässt.

Dass gerade das Thema Cybersecurity die israelische Start-up-Szene florieren lässt, lässt sich auch mit der Historie erklären. Israels Existenz wurde seit seiner Staatsgründung durch Nachbarstaaten und Terrorgruppierungen bedroht. Weil sich etliche Gefahren in den letzten Jahrzehnten zusehends um eine Cyberkomponente erweiterten, gründete man bereits 2012 ein Büro für Fragen der nationalen Cybersicherheit, das fünf Jahre später zum nationalen Cyberdirektorat ausgebaut wurde. Israel verfügt neben defensiven Kapazitäten aber auch über eines der fähigsten Militärs in Sachen aktiver Cyberkriegsführung.

Schwieriger Vergleich

In Be’er Scheva soll deshalb auch ein Technologie-Campus des israelischen Militärs entstehen, der unter anderem die auf Cyberkriegsführung spezialisierte Eliteeinheit 8200 beherbergen wird. Das Know-how der IT-Szene werde auch im verpflichtenden Militärdienst geschult, sagt etwa Ryan Gurney. Er ist für die Informationssicherheit bei YL Ventures verantwortlich, das selbst in Cybersicherheits-Start-ups investiert. Die überschaubare Größe des Landes helfe, Kontakte zu knüpfen, und sporne den Wettbewerb an.

Moran Price, ihres Zeichens CEO des israelischen E-Mobilitäts-Unternehmens IRP Systems, sieht in der relativ jungen Geschichte des Nahoststaats einen entscheidenden Vorteil. Es gebe kein organisch gewachsenes industrielles Vermächtnis. Wer dennoch Ideen entwickeln will, um die Welt zu verändern, müsse eben auch einmal Sprünge machen, um solche Mankos zu kompensieren, sagt Price im Gespräch mit dem STANDARD.

Wenn sie von der hervorragenden Infrastruktur spricht, die die Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsmöglichkeiten ermögliche, so tut sie das aus eigener Erfahrung. Vor der Gründung ihres Unternehmens arbeitete sie fast zehn Jahre für den Chiphersteller Intel und hat dort verinnerlicht, was Innovation braucht. Ein Vergleich mit anderen Staaten, etwa mit Österreich, sei hingegen schwierig. Man müsse nämlich bedenken, dass Israel selbst quasi eine Art Start-up sei, so Price: "Es ist ein neues Land, das sich sehr schnell entwickelt hat. In den frühen Jahren hatten wir nicht viele Ressourcen, also mussten wir eine kreative Art zu denken entwickeln, um unsere Ziele erreichen zu können", erklärt die Unternehmerin.

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Hinter den Zelten arabischer Beduinen laufen in Be’er Scheva zentrale Schaltstellen der globalen Cybersicherheit zusammen.
Foto: Reuters, Amir Cohen

Bibis Erbe

Die jüngeren Initiativen – auch der Technologiepark – sind ein Erbe des langjährigen, ehemaligen Premierministers Benjamin Netanjahu, der Be’er Scheva schon 2014 zum neuen Cyberhub des Landes auserkoren und den Ausbau forciert hatte. Eine Rechnung, die durch einen Blick auf die Zahlen aufzugehen scheint.

Allein im ersten Halbjahr 2021 sammelten israelische Hightech-Unternehmen Investments in Höhe von 11,9 Milliarden US-Dollar und somit schon mehr als im gesamten vorherigen Jahr. Knapp ein Viertel davon entfiel auf die Cybersicherheitsbranche. Mit 15 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt sowie 43 Prozent Exportanteil ist der Hightech-Bereich ein bedeutender Wirtschaftsfaktor Israels. Zehn Prozent der Arbeitnehmer arbeiten in der Hightech-Branche.

Könnte Ähnliches nicht auch in Österreich gelingen, wo die Regierung in regelmäßigen Abständen Digitalisierungsoffensiven starten möchte und eine Vorreiterrolle einnehmen will? Betrachtet man die hiesige Szene, scheint zumindest in den letzten Monaten einiges an Bewegung in den Markt gekommen zu sein.

Immerhin stiegen mit der Kryptofirma Bitpanda und der Nachhilfeplattform Gostudent seit Anfang des Jahres gleich zwei Unternehmen zu Einhörnern auf. Rechnet man alle heurigen Investitionen in heimische Tech-Firmen zusammen, kommt man laut Fachmedium Trending Topics bereits auf 580 Millionen Euro – was 2021 schon jetzt zu einem Rekordjahr macht.

Zieht man den Vergleich mit dem in puncto Einwohnerzahlen ähnlich großen Israel, dann wirkt das trotzdem eher mickrig. Das spiegelt sich in den Förderungen und Investitionen der Förderbank des Bundes (AWS) und deren Tochtergesellschaft, des AWS Gründerfonds, wider. Letzterer investierte 2020 rund 101 Millionen Euro in hiesige Tech-Unternehmen. Im ersten Halbjahr 2021 waren es nur etwa zehn Millionen. Trotzdem lassen sich beide Länder nicht direkt vergleichen. Österreich ist in puncto Investments und Aufbau einer Infrastruktur in Cybersicherheit Israel in allen Belangen fast uneinholbar unterlegen.

Dazu ist Israel als Start-up-Nation mittlerweile so etabliert, dass internationale Großkonzerne andocken und enorme Gehälter zahlen – was wieder zu einem Rückgang der Neugründungen führt. Und Israels Militärkomplex, der als Innovationstreiber gilt, wäre in Österreich nicht zu rechtfertigen.

Der Negev-Technologiepark zeigt eindrucksvoll Möglichkeiten auf. Dennoch lässt sich eine Start-up-Szene nicht einfach nachbauen – so wie sich Start-ups selbst selten erfolgreich eins zu eins kopieren lassen. (Mickey Manakas, 21.8.2021)