Alexander Wrabetz (61) war sichtlich getroffen, als der türkis dominierte ORF-Stiftungsrat ihn vorigen Dienstag nach fast eineinhalb Jahrzehnten an der Spitze des ORF nicht wiederbestellte. "Viel Vergnügen mit dem Neuen", verabschiedete er sich von den wartenden Journalistinnen und Journalisten. Er werde, bis Jahresende Alleingeschäftsführer, noch viele Weichen von Newsroom-Chefredaktion und Redakteursstatut bis GIS-Erhöhung stellen. Damit sein Nachfolger Roland Weißmann (53) sich leichter tue, die "großen Erwartungen" der ÖVP an ihn nicht zu erfüllen, sagte er, kampfeslustig und wohl gekränkt.

Ein langes Gespräch mit Nachfolger Roland Weißmann, bisher Vizefinanzdirektor, und einige andere später wirkt Wrabetz nun, zehn Tage danach, weitaus versöhnlicher und bereit zur Zusammenarbeit. Zu türkisen Erwartungen an Weißmann sei "alles gesagt und kommentiert". Man möge seinen Nachfolger, sagt er nun wie Weißmann, "an seinen Taten messen".

Bis Jahresende müsse klar sein, wie Chefredaktion und Ressortchefs mit 1. Jänner 2022 beginnen. Nun sagt Wrabetz: "Ich gehe davon aus, dass wir das in Abstimmung gut umsetzen und abschließen können. Wer am Schluss die Unterschrift darunter setzt, ist sekundär." Armin Wolf etwa könnte Mitglied der Chefredaktion bleiben, zuständig für Social Media und Innovation – und "selbstverständlich" weiter die ZiB 2 moderieren.

Über die Höhe des im Herbst fälligen GIS-Antrags schweigen beide.

STANDARD: Sie haben am 10. August, gleich nach der Bestellung von Roland Weißmann zum ORF-Generaldirektor ab 2022, nach einer großen Sorge um den ORF, seine Zukunft und seine Unabhängigkeit geklungen. Welche Sorge war das?

Wrabetz: Ich trage das Meine dazu bei, dass man keine Sorge haben muss. Ich werde die nächsten vier Monate meiner Amtszeit noch professionell zu Ende bringen und mit Roland Weißmann zusammenarbeiten. Dann wird es keinen Grund zur Sorge geben.

STANDARD: Sie haben von Erwartungen der Politik gesprochen. Weißmann gehe mit großen negativen Vorschusslorbeeren in sein Amt – gemeint wohl: als von der Kanzlerpartei unterstützter Kandidat.

Wrabetz: Ich glaube, dazu ist alles gesagt und kommentiert. Jetzt sollte man meinen Nachfolger an seinen Taten messen.

STANDARD: Sie haben einige Erfahrungen mit Erwartungen der Politik an den ORF, an den ORF-Chef und an die ORF-Berichterstattung. Der ORF will häufig etwas von der Politik und seinem politisch besetzten Stiftungsrat – Gebührenerhöhung, Erleichterungen im ORF-Gesetz... Und weil die schönsten Dinge im Leben eben doch nicht gratis sind, will die Politik auch etwas – möglichst nach ihren Vorstellungen im ORF vorkommen. Wie balanciert man das aus?

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz bei einer Presseerklärung am Tag seiner Abbestellung, den 10.8.2021.
Foto: Corn

Wrabetz: Man hat da gerade am Beginn einer Geschäftsführungsperiode eine starke Position. Zum Beispiel kann man Stiftungsräten bei der Besetzung des Direktoriums vermitteln, dass man dafür inzwischen noch bessere Ideen entwickelt hat, als man noch vor der Bestellung des ORF-Generals vielleicht besprochen hat. Da hat man großen Handlungsspielraum.

STANDARD: Und wie geht man mit Erwartungen der Politik an deren Darstellung um?

Wrabetz: Bei den Erwartungen muss man der Politik klar sagen, dass bestimmte Dinge an journalistischen Prinzipien scheitern werden. Das ist gleich nach der Bestellung, gleich zu Beginn einer Amtszeit auch leichter klarzustellen – und auch gegenüber den eigenen "Wählern" deutlich zu betonen. Meine 15 Jahre haben gezeigt, dass es da zu Enttäuschungen kommen kann bei manchen, die einen unterstützt haben.

STANDARD: Wie geht es einem ORF-General – zwischen der Politik und den Redaktionen, die ihre Unabhängigkeit verteidigen?

Wrabetz: Da spielt der Rückhalt im Haus eine große, eine gewichtige Rolle. Und auch der Rückhalt der Öffentlichkeit. Dann geht das. Aber da komme ich schon ins Verteilen von Ratschlägen.

STANDARD: Ihr Nachfolger Roland Weißmann sagt, er freut sich über jeden Ratschlag. Wohlan!

Wrabetz: Aber mein wichtigster Ratschlag lautet: Ratschläge an die Nachfolger – irgendwann hat jeder einen Nachfolger – gibt man persönlich und richtet sie nicht öffentlich aus.

STANDARD: Versuchen wir es ein bisschen grundsätzlicher: Wie würde denn ein idealer ORF aussehen – zum Beispiel in Sachen Governance und Kontrolle? Sie haben ja selbst in den vergangenen Wochen mehrfach darauf hingewiesen, dass im ORF-Stiftungsrat erstmals eine Partei dominiert, die ÖVP, und damit die über Jahrzehnte gewahrten Checks and Balances im obersten ORF-Gremium verloren gingen.

Wrabetz: Selbst auf dem Höhepunkt der SPÖ-Alleinregierung gab es soviel Checks and Balances, dass es der bürgerliche Gerd Bacher 1978 geschafft hat, an die Spitze des ORF zurückzukehren. Und ich wurde zweieinhalb Mal gegen den jeweiligen Regierungswillen gewählt.

STANDARD: Bei Bachers Comebacks 1978 und 1990 wurden die ORF-Kuratoren schon sehr ähnlich wie heute der Stiftungsrat von Bundes- und Landesregierungen, Parteien, Betriebsrat beschickt. Aber zur Bestellung des ORF-Chefs wurde damals geheim abgestimmt – und es brauchte zunächst eine Zweidrittelmehrheit. Seit dem ORF-Gesetz von ÖVP und FPÖ 2001 wird offen mit einfacher Mehrheit bestellt. Sie haben es dreimal nach dem 2001-er Gesetz geschafft – und nun kein viertes Mal.

Wrabetz: Heute hat eine Gruppe durch mehrere Zufälle und gute Planung 20 oder 21 von 35 Mandaten im Stiftungsrat.

STANDARD: Haben Sie eine Idee, wie man das besser regeln könnte?

Wrabetz: Ja.

STANDARD: Sollte man zum Gesetz von 1974 zurückkehren, das etwa eine Zweidrittelmehrheit verlangt hat...?

Wrabetz: Wenn man zu einem Vorstandsprinzip übergeht, wird man generell nachdenken müssen, wie die Entsendung erfolgen soll. Aber das ist noch ein bisschen zu früh. Im Kern wäre das Allerwichtigste eine geheime Abstimmung. Wenn man die Zusammensetzung so belässt, und sich damit ein so starkes Gewicht einer Partei ergeben kann, dann muss man wenigstens die Abstimmung geheim machen.

STANDARD: Wäre ein Vorstand eine gute Idee? Sie haben fast 15 Jahre als Alleingeschäftsführer des ORF hinter sich.

Wrabetz: Das ist der Zug der Zeit. Aber vielleicht kommen die langjährigen Fans eines Vorstands ja nun drauf, dass doch ein Alleingeschäftsführer viel für sich hat, gerade in Zeiten, die sehr unbestimmt und volatil sind und rasche Entscheidungen erfordern. Das habe ich immer vertreten. Aber wenn das Vorstandsprinzip der politische Wille ist, dann muss man es möglichst funktionstüchtig machen.

STANDARD: Wie kann es funktionieren?

Wrabetz: Bei Unternehmen mit mehreren Eigentümerfamilien zeigt sich zum Beispiel, dass sich jeder Vorstand einem anderen Familienstamm verpflichtet fühlt – was die gemeinsame Führung doch deutlich erschwert. Für das Zusammenwirken des Vorstandes ist es besser, wenn sich nicht jedes Mitglied zugeordnet und zugehörig fühlt. Das braucht ein insgesamt neues System, etwa bei der Mitwirkung der Länder. Aber das besprechen wir vielleicht später einmal.

STANDARD: Und Sie meinen, die Kanzlerpartei ÖVP mit ihrer alleinigen Mehrheit im Stiftungsrat und mit ihrem Kandidaten an der Spitze des ORF macht danach noch eine Reform der Gremien, die ihren Einfluss reduziert?

Wrabetz: Wenn die ÖVP nicht nun, nach der Bestellung eines Alleingeschäftsführers, ihre langjährige Forderung nach einem Vorstand vergisst, könnte man sich etwa in zwei Jahren überlegen, wie man einen solchen Vorstand bestellt und wie man einen pluralistischeren Zugang gewährleistet.

STANDARD: Bleiben wir noch beim Grundsätzlichen: Wie finanziert man idealerweise einen öffentlich-rechtlichen ORF? Wir müssen vermutlich nicht erwähnen, dass auch Streaming gebührenpflichtig ein sollte – diese sogenannte "Streaminglücke" wollten ja alle Generalskandidaten aus dem ORF schließen. Wäre nicht gleich eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland und der Schweiz sinnvoll?

Wrabetz: Grundsätzlich bin ich dafür, jetzt nicht über die Streaminglücke zu reden.

Foto: Corn

STANDARD: Weil jetzt ohnehin der viele aufregende Antrag auf GIS-Erhöhung ansteht und das schon mühsam genug ist?

Wrabetz: Ich glaube, man sollte sich beim ORF-Gesetz jetzt auf den Digitalbereich konzentrieren. Der ORF braucht hier dringend mehr Bewegungsspielraum. Alles andere, etwa eine Gremienreform oder die Finanzierung, kann man in einem weiteren Schritt angehen – aber nicht eine Digitalnovelle damit weiter verzögern. Mit der Bestellung von Roland Weißmann wurde diese Digitalnovelle ja in der Regierung praktisch mitbeschlossen. Ich will gemeinsam mit Weißmann die Gespräche mit dem Zeitungsverband VÖZ darüber führen.

STANDARD: Die Digitalnovelle soll dem ORF ...

Wrabetz: ... online only, online first ermöglichen, mehr als sieben Tage Abruf, Cross Promotion zwischen den Medien, Erleichterung bei der App-Entwicklung...

STANDARD: ... und Datennutzung?

Wrabetz: Man könnte den deutschen Rundfunkstaatsvertag grosso modo übernehmen, etwa mit einer Entwicklungsgarantie, aber mit kleinen Adaptionen für textbasierte Onlineangebote...

STANDARD: ... damit das Textangebot nicht so drastisch reduziert werden muss wie in Deutschland, wo man sich ja über weite Strecken von Textangeboten als Konkurrenz für Onlineangebote verabschiedet und vor allem auf Streaming setzt.

Wrabetz: Das ist in Deutschland relativ deutlich formuliert.

STANDARD: Was halten Sie von den daraus abgeleiteten Neos-Ideen, ORF.at, die sogenannte blaue Seite, in der bisherigen Textform ganz aufzugeben?

Wrabetz: Das schaue ich mir an: 1,2 Millionen täglichen Nutzern ihr Medium wegzunehmen. Ich verstehe diese Forderung als Goodie für Medienhäuser verlegerischer Herkunft, die das als textbasierte Konkurrenz sehen. Nirgendwo auf der Welt würde man sich aber trauen, das meistgenutzte Medium einfach abzudrehen. Aber man wird nicht umhin kommen, den Umfang textbasierter Inhalte präziser zu formulieren. Darüber würde ich mich gerne mit den Verlegern auf eine gemeinsame Linie verständigen, die für sie ebenso praktikabel ist wie für eine blaue Seite der Zukunft, den ORF und das Publikum.

STANDARD: Da wäre noch die Streaminglücke für die GIS-Gebühren.

Wrabetz: Wenn man die Digitalfragen geklärt hat mit einer ORF-Novelle, dann hat man noch gut zwei Jahre Zeit, die Streaminglücke zu schließen. Und einen Teil davon schließen wir ohnehin mit dem geplanten gemeinsamen Login österreichischer Online-Angebote, mit dem ein Teil der ORF-Angebote nur noch mit einer GIS-Registrierung zugänglich ist. Das möchte ich auch noch in meiner verbleibenden Amtszeit umsetzen.

STANDARD: Roland Weißmann sagt: Der Rauch hat sich verzogen, es gibt keine Diskrepanz mehr zwischen ihnen und ihm. Wie geht es jetzt weiter in diesen gut vier Monaten Übergangsphase zwischen Wrabetz und Weißmann?

Wrabetz: Aus meiner Sicht gab es nie Rauch im Raum. Ein Großteil meines Schlussstatements im Hearing vor der Abstimmung über den nächsten ORF-General habe ich ja schon meinem Fahrplan für die kommenden Monate gewidmet – ich habe in der klaren Situation nicht mehr so getan, als könnte ich noch jemanden überzeugen. Schon da habe ich betont, dass ich eng mit dem gewählten Generaldirektor zusammenarbeiten werde, dass ich aber auch die Verantwortung für das Unternehmen habe, dass nichts liegen bleibt.

STANDARD: Aber Sie haben Weißmann im Generalswahlkampf und unmittelbar nach seiner Bestellung als Kandidaten des Kanzleramts ohne die nötige Führungserfahrung eingeordnet. Und Sie wollten vorkehren, damit er, wörtlich, "sich leichter tut, um Erwartungen, die an ihn gerichtet werden, nicht zu erfüllen".

Wrabetz: Ich habe mit Roland Weißmann gut zusammengearbeitet und war sehr froh, dass ich ihn 2016 eingeladen habe, im Unternehmen zu bleiben und nicht mit dem damaligen kaufmännischen Direktor zu gehen. Er hat in diesem, wenn man so will, Generalswahlkampf gezeigt: Er ist ein Mensch mit Charakter. Das erleichtert den Übergang.

STANDARD: Wie werden Sie nun mit der Bestellung der Newsroom-Führung – Chefredaktion und Ressortchefs für die künftig vereinte ORF-Information für TV, Radio, Online – verfahren? Sie wollten sie – vorsorglich in Sachen Erwartungen – noch selbst bestellen, Weißmann lieber erst nach seinem Dienstantritt.

Wrabetz: Wir hatten in unseren Bewerbungskonzepten dieselben Grundsätze für die Newsroom-Struktur. Auf der Basis kann man jetzt eine Organisationsanweisung erarbeiten – in die ist er in seiner neuen Rolle als künftiger Generaldirektor, aber auch schon als Chefproducer Fernsehen eingebunden. Wir haben hier und in anderen Punkten Übereinstimmung festgestellt und werden uns jetzt wöchentlich treffen und abstimmen.

STANDARD: Strukturell hatten Sie ähnliche Konzepte – aber Ihre Wortmeldung nach der Bestellung Weißmanns klang eher nach: Ich bestelle jetzt die Führungskräfte für den Newsroom, damit Weißmann da nicht noch türkise Wünsche erfüllt. Bestellen Sie die Chefredaktion nun noch selbst, und stimmen Sie sich da mit Weißmann ab?

Wrabetz: Wir werden das so zügig wie möglich machen. Und dann wird es ja eh einen transparenten Prozess geben mit Ausschreibungen, Hearings, Redaktionshearings, das dauert natürlich bei uns alles. Und da schauen wir, dass wir möglichst weit kommen.

STANDARD: Und alles abgestimmt?

Wrabetz: Viele bestehenden Funktionen ändern sich ja nicht in diesem multimedialen Newsroom. Wir haben beide in unseren Konzepten weiterhin starke Sendungsverantwortliche. Wenn ich sehr gute Sendungschefs und Sendungschefinnen habe und nicht eine oder einer was anderes wird, brauche ich da nichts ausschreiben, sondern nur bestätigen. Das sollte man zeitgerecht tun. Da haben wir, glaube ich, eine große Einigkeit. Und wo man ausschreiben muss, wird man schauen, wie weit man kommt.

STANDARD: Sie haben in ihrem Statement unmittelbar nach Weißmanns Bestellung "ZiB 2"-Anchor Armin Wolf genannt, als es um ihre Vorstellung für Führungskräfte des künftigen Newsrooms ging.

Wrabetz: Armin Wolf ist heute schon in der Chefredaktion Fernsehen für die Entwicklung der Social-Media-Produkte zuständig, und das funktioniert gut. Nach den sehr gut laufenden "ZiB"-Ausgaben für Facebook und Instagram starten wir am 1. September noch eine "ZiB"Angebot für Tiktok. Warum sollte ich an der Zuständigkeit etwas ändern? Also würde ich im Sinne des Unternehmens dringend empfehlen, das so weiter zu führen – selbstverständlich ohne ihn damit aus der "ZiB 2" wegzuloben, wie manche gleich befürchtet haben.

STANDARD: Also Armin Wolf als einer von vier Chefredakteuren im künftigen Newsroom? Jetzt ist er stellvertretender Chefredakteur Fernsehen.

Wrabetz: Als Mitglied der Chefredaktion. Wenn er in einer multimedialen Chefredaktion bleibt, was er ist, braucht man nichts auszuschreiben. Wesentlich ist: Wir brauchen für die Newsroom-Führung keine Importe, wir haben die besten TV- und Radiojournalisten des Landes, und auch Online viele der besten. Warum sollten wir jemand von außen holen? Und wo Leute gute Arbeit gemacht haben, wird man sie nicht degradieren. Da ist man rasch bei kongruenten Lösungen im Haus.

Foto: Corn

STANDARD: Da sind wir wieder bei unserem letzten Interview über die Newsroom-Chefredaktion, in dem Sie einiges offen ließen. Können wir heute klären, ob es in diesem Newsroom-Führungsteam gleichberechtigte Chefredakteure geben wird, und wer im inhaltlichen Konfliktfall letztlich entscheidet?

Wrabetz: Weißmann und ich haben beide gesagt: Es soll einen letztverantwortlichen Chefredakteur für die Videoprodukte geben, einen für die Audioprodukte, einen für die Onlineprodukte. Man muss sich dann überlegen, wer ist dann Führungskraft für die multimedialen Ressorts, das ist noch im Detail festzulegen. Aber es muss so sein, dass es unterschiedliche Letztverantwortliche gibt – und nicht einen.

STANDARD: Und wie viele sind das nun? Erst waren es drei Chefredakteure, dann wieder vier, jetzt wieder drei...? Und wer ist der vierte neben Video, Audio, Online?

Wrabetz: Zuständig für Innovation und neue Produkte, vor allem im Social-Media-Bereich.

STANDARD: Das heißt, die neue Chefredaktion wäre tatsächlich Matthias Schrom (derzeit ORF 2), Gabi Waldner (Radio-Journale), Armin Wolf und ... – was macht dann eigentlich der heutige Radio-Chefredakteur Hannes Aigelsreiter?

Wrabetz: Das waren von mir genannte Beispiele für äußerst kompetente JournalistInnen und Führungskräfte, die jetzt schon in entsprechenden Funktionen sind – ich werde jetzt nicht für jeden Mitarbeiter eine mögliche zukünftige Aufgabe.

STANDARD: Und bleibt es bei ihrem Zeitplan, Sie bestellen die Newsroom-Führung noch vor Jahresende selbst? Sie klingen ein bisschen nach: Schauen wir einmal, die Hearings brauchen Zeit, und vielleicht bestellt dann halt doch mein Nachfolger?

Wrabetz: Ich bin der festen Überzeugung, dass das 2022 stehen muss. Daher müssen alle diese Prozesse bis Jahresende so weit geführt werden. Ich gehe davon aus, dass wir das in Abstimmung gut umsetzen und abschließen können. Wer am Schluss die Unterschrift darunter setzt, ist sekundär. Klar muss sein: Wie fängt man am 1. Jänner 2022 an?

STANDARD: Und es sollen alle Betroffenen bis Jahresende 2021 wissen, wofür sie 2022 in welcher Funktion zuständig sind?

Wrabetz: Ja. Bis die Abstimmung zwischen Newsdesk und multimedialen Ressorts funktioniert, wird es eine Zeitlang brauchen. Das kann ich nicht im luftleeren Raum machen. Und wenn wir das erst bei der Übersiedelung im Juni 2022 angehen, werden die Sendungen vermutlich nicht funktionieren. Ich habe diesen Zeitplan im Frühjahr dem Stiftungsrat unwidersprochen vorgelegt – manche Stiftungsräte fanden, das sollte noch viel schneller gehen. Und damals hatte ich ganz sicher noch nicht geplant, dass ich ab 2022 nicht mehr ORF-Generaldirektor bin.

STANDARD: Wann ist mit der Organisationsanweisung für die künftige Newsroom-Struktur zu rechnen?

Wrabetz: Ich denke, das können wir bis Ende September schaffen.

STANDARD: Würden Sie ihrem Nachfolger Roland Weißmann mit ihrer Erfahrung empfehlen, einen Bürochef des Medienbeauftragten des Kanzlers womöglich als Generalsekretär in den ORF zu holen? Das Gerücht über Philipp König zieht seit Tagen seine Kreise – auch wenn beide Seiten solche Pläne dementieren.

Wrabetz: Philipp König ist ein wirklich hervorragender Mann und Jurist, der ja aus dem Haus kommt. Den würde ich schon einmal in den ORF zurückholen. Aber als jemand, der den ORF gut versteht, ist er in seinem jetzigen Job sehr wesentlich. Und ich würde heute schon aus optischen Gründen weder ihm noch Weißmann empfehlen, ihn als Generalsekretär in den ORF zu holen.

STANDARD: Sie stellen noch als ORF-Generaldirektor den nächsten Antrag auf Gebührenerhöhung. Seit April 2017 stieg laut Statistik Austria der Verbraucherpreisindex um 8,2 Prozent, wenn ich mich nicht verschaut habe. Ist das eine realistische Größenordnung für den GIS-Antrag im Herbst? Worauf können sich die Gebührenzahler einstellen?

Wrabetz: Es ist richtig, dass laut Gesetz bis Jahresende eine Neufestsetzung der Gebühren erfolgen muss. Daran werde ich in den nächsten Tagen zu arbeiten beginnen.

STANDARD: Also weiterhin kein Wort, wieviel Sie beantragen. Sie verantworten auch noch das ORF-Budget für 2022 – mit dem Ihr Nachfolger arbeiten muss.

Wrabetz: Wir können erfreulicherweise noch eine schöne Programmoffensive in den kommenden Monaten machen, weil sich die Finanzen nicht zuletzt wegen der Werbung sehr gut entwickeln. Wir können Filme und Serien ins laufende Jahr vorziehen, etwa "Landkrimis", haben dann auch mehr budgetären Spielraum im nächsten Jahr. 2022 könnten wir ein Herbstevent gleich einplanen, bisher ist nur "Starmania" im Frühjahr fix.

STANDARD: Was tun Sie noch, um ihre "Liebe" ORF abzusichern?

Wrabetz: Mir ist wichtig, auch im Budget für 2022, dass von mir angestoßene Projekte wie ORF 3 abgesichert werden. Auch dass unsere Zusammenarbeit mit NGOs abgesichert und finanziert wird. Da gehe ich von großer Einigkeit aus, aber besser ist es, wenn das in einem Budget und einer Mittelfristplanung verankert ist. Ich will zudem noch heuer prekäre Dienstverhältnisse insbesondere in der Information reparieren, damit die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier ohne Sorge um ihre Zukunft arbeiten können.

STANDARD: Kommen noch heuer die von Ihnen schon länger angekündigten verbindlichen Abstimmungen von Redaktionen über Führungskräfte nach einer bestimmten Zeit im Amt?

Wrabetz: Die Organisationsanweisung für den Newsroom erfordert auch Änderungen des bestehenden Redakteursstatuts – wenn es mehr als einen gleichberechtigten Hauptabteilungsleiter gibt. Ich gehe davon aus, dass der Redakteursrat im Gegenzug mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten fordert und dass man hier zusammenkommt. Das muss dann aber noch der Stiftungsrat genehmigen.

STANDARD: In ihrem ersten Statement nach der Generalswahl im Stiftungsrat haben Sie noch durchklingen lassen, Sie müssten dem Nachfolger und seinem Team mangels Führungserfahrung noch einiges mit auf den Weg geben. Wie sieht ihr Trainee-Programm aus?

Wrabetz: Das braucht es nicht, und das habe ich so auch nicht gesagt. Ich weiß nicht, wie das künftige Führungsteam aussehen wird. Aber alle, deren Namen genannt werden, sind führungserfahrene gute Mitarbeiter. Was sie nicht kennen, ist das Zusammenspiel in einer Konzern-Geschäftsführung. Da werden mein aktuelles Team und ich darauf schauen, dass es einen guten Übergang gibt. Wir brauchen da keine Kurse veranstalten. Wir geben unser Wissen und unsere Erfahrung weiter.

STANDARD: Was geben Sie denn der nächsten Führung an Wissen und Erfahrung über die Struktur des ORF-Fernsehens mit? Hat die Kombination aus zwei Channel Managern und Programmdirektion funktioniert?

Foto: Corn

Wrabetz: Das kann man schon in der Struktur weiterentwickeln. Das hängt auch von den personellen Besetzungen im September ab.

STANDARD: Aber Sie werden Ihrem Nachfolger nicht raten, die Channel-Manager-Organisation wieder aufzugeben, oder?

Wrabetz: Nicht aufgeben. Die Verträge der Channel Manager für ORF 1 und ORF 2 laufen ja mit Jahresende aus.

STANDARD: Verlängern Sie die noch?

Wrabetz: Das würde ich nur in Abstimmung mit dem neuen Generaldirektor machen.

STANDARD: Würden Sie Verlängerung empfehlen?

Wrabetz: Es gibt einen Channel Manager, der sehr großen Erfolg hat, und der auch als interimistischer Unterhaltungschef die Verantwortung für einen großen Teil der ORF-1-Produkte hat. Da muss man insgesamt die Entscheidungen vom 16. September über die Direktionen abwarten.

STANDARD: Sie sprechen von Alexander Hofer, derzeit ORF 2-Manager. Ich habe Sie vielfach als Überlebenskünstler, als Selbstverteidigungsminister bezeichnet – der seit Jahrzehnten schon zur Höchstform aufläuft, wenn sein Job in Gefahr ist. Sie sehen das anders.

Wrabetz: Ich habe nicht mich verteidigt, sondern immer das Unternehmen. Ich wollte etwa 2018 verhindern, dass die FPÖ ihr existenzgefährdendes ORF-Konzept realisiert. Ich wollte 2008, mitten in der Finanzkrise, als es um die Existenz des ORF ging, verhindern, dass die Politik Führungsexperimente verwirklicht. Ich konnte mit meiner langen Tätigkeit für das Unternehmen etwas beitragen, dass der ORF heute so gut dasteht. Das war mein Beitrag. Mein Hauptantrieb war nicht, dass ich meinen Job behalte – auch wenn das zugegebenermaßen eine faszinierende Position ist, die trotz aller Widrigkeiten viel Freude gemacht hat. Ich habe immer primär für das Unternehmen gedacht – als ich versucht habe, politische Prozesse zu bremsen oder zu beschleunigen. Jemand, der definitiv nichts von mir will, aber zu den wichtigen Rundfunkpersönlichkeiten in Europa zählt, hat mir geschrieben: "You will leave behind an incredible legacy at ORF and across Public Service Media in Europe". Das erscheint mir mehr als nur Überlebenskünstler. Außerdem hat meine Karriere als Wahlgewinner gerade eine kurze Unterbrechung erfahren (schmunzelt).

STANDARD: Arbeiten Sie gar schon an einem ORF-Comeback?

Wrabetz: Nein. Und wenn, würde ich's nicht sagen. Aber nein.

STANDARD: Was machen Sie künftig?

Wrabetz: Ich werde mir jetzt in Ruhe die verschiedenen Angebote ansehen, die an mich herangetragen wurden und werden.

STANDARD: In der Kultur oder weiter in den Medien?

Wrabetz: Ich glaube, das wird im Medienbereich sein.

STANDARD: In Österreich gibt es nach dem ORF eher wenig größere Räder zu drehen.

Wrabetz: International könnte sich das eine oder andere ergeben.

STANDARD: In der europäischen Rundfunkunion EBU?

Wrabetz: Ich sage jetzt nicht, was. Aber für mein, auch internationales Standing hat die Art meiner Abwahl definitiv nicht geschadet. (Harald Fidler, 21.8.2021)

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