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Bilder von Boris Jelzins Rede auf einem Panzer wurden 1991 zum Symbol für das Scheitern der Putschisten.

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Es war ein heißer Montag im August 1991. Wer nicht arbeiten musste und es sich leisten konnte, entfloh der Moskauer Betonwüste auf die Datscha oder ans Schwarze Meer. Ferienzeit. Auch KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow hatte es sich auf der Krim gemütlich gemacht. Doch in der Hauptstadt türmten sich bereits dunkle Wolken am politischen Himmel auf.

Der von Gorbatschow vorbereitete neue Unionsvertrag, der die zentralistische Sowjetunion zu einer Föderation umgestalten sollte, rief den Unwillen höchster Partei-, Armee- und Geheimdienstfunktionäre hervor. Einige fürchteten um ihre Macht, andere den Zerfall der UdSSR.

Ein sogenanntes Notstandskomitee um Vizepräsident Gennadi Janajew, KGB-Chef Wladimir Krjutschkow und Verteidigungsminister Dmitri Jasow entschied sich für den Putsch. Sie isolierten Gorbatschow auf seiner Datscha und beorderten Truppen nach Moskau. Dass etwas nicht stimmte, merkten die Bürger daran, dass das Staatsfernsehen stundenlang auf allen Kanälen Tschaikowskis Ballett Schwanensee spielte. Statt der Nachrichten gab es lediglich eine dürre Erklärung über eine angebliche Erkrankung des Generalsekretärs und den ausgerufenen Notstand.

Panzer auf den Straßen sollten den befürchteten Widerstand im Keim ersticken, doch die Armeeeinheiten handelten zögerlich und widerwillig. Die Opposition hingegen ließ sich nicht einschüchtern. Im Zentrum, speziell rund um das Regierungsgebäude, bauten Demonstranten Barrikaden.

Boris Jelzin, Präsident der damals noch sowjetischen Teilrepublik Russland, von den Putschisten aus unerfindlichen Gründen nicht festgenommen, gelang es, den Widerstand zu mobilisieren. Bilder seiner Rede auf einem Panzer vor dem Weißen Haus an der Moskwa wurden zum Symbol für das Scheitern der Putschisten.

Zitternde Putschisten

Diese gaben sich zwar auf der eilig einberufenen Pressekonferenz noch kämpferisch, versuchten, den Staatsstreich als notwendige Maßnahme zum Erhalt der Sowjetunion, zur Bekämpfung der tatsächlich schon tiefen Sozial- und Wirtschaftskrise sowie zur Rückkehr zur Normalität zu verkaufen. Doch spätestens als das Fernsehen die zitternden Hände Janajews zeigte, wurde den meisten Beobachtern klar, dass die Putschisten selbst nicht mehr an den Erfolg ihres Coups glaubten.

Am 21. August zogen sich die Panzer aus dem Stadtzentrum zurück, der Oberste Sowjet erklärte die Absetzung Gorbatschows für illegal, und schon am Abend erließ Russlands Generalstaatsanwalt Haftbefehl gegen die Putschisten. Innenminister Boris Pugo erschoss sich vor der geplanten Festnahme. Die meisten anderen jedoch kamen nach einer Amnestie glimpflich davon.

Die Palastrevolution sei wegen seiner und Jelzins Kompromisslosigkeit, aber auch des Muts tausender Moskauer gescheitert, erklärte Gorbatschow zum 30. Jahrestag. "Die Menschen wollten keine Rückkehr zur alten Ordnung. Die während der Perestroika geschaffenen demokratischen Institute haben sich allgemein bewährt", urteilte er im Rückblick.

Machtkampf an der Führungsspitze

Tatsächlich beschleunigte der Putsch nur das Ende der Sowjetunion. Gorbatschow kehrte praktisch machtlos nach Moskau zurück. Seinen Unionsvertrag konnte er nicht mehr durchsetzen, stattdessen unterzeichneten Jelzin, der ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk und Vorsitzende des Obersten Rats von Belarus, Stanislau Schuschkewitsch, das Abkommen von Belowesch, das die Auflösung der UdSSR deklarierte.

Das Scheitern des Putsches, damals als Sieg der Demokratie gefeiert, wird heute von vielen Russen anders gesehen. Einer Umfrage des Lewada-Instituts zufolge bewerten nur noch zehn Prozent der Bürger das Ereignis als "Sieg der demokratischen Revolution", 43 Prozent hingegen sehen darin "ein tragisches Ereignis mit fatalen Folgen für das Land und das Volk". Weitere 40 Prozent sprechen von einem einfachen Machtkampf an der Führungsspitze.

Nostalgie nach der Sowjetunion

Das Ende der Sowjetunion bedauern heute viele Russen. Nostalgie ist in Moskau geradezu Staatsräson. Präsident Wladimir Putin, der sich damals übrigens auf der Seite des demokratischen Leningrader Bürgermeisters Anatoli Sobtschak gegen die Putschisten stellte, hat heute für Liberale und Demokraten wenig übrig. Den Untergang der Sowjetunion nennt er die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts", wobei hier vor allem machtpolitische Aspekte eine Rolle spielen.

Angesichts der Begleitumstände stimmen ihm allerdings viele Menschen bei dieser Einschätzung zu. Denn in den folgenden "wilden 90ern" bildete sich eine Oligarchenschicht bei einer gleichzeitigen massiven Verarmung der Bevölkerung, Kriminalität und Korruption stiegen drastisch an.

Schwere Erbmasse

Die Machtkämpfe im Riesenreich führten in den nächsten Jahren zu etlichen ethnischen Konflikten, die von der Republik Moldau im Westen über den Kaukasus bis hin nach Zentralasien reichten. Gekämpft wurde unter anderem in Transnistrien, Tschetschenien, Abchasien, Südossetien und im Ferghanatal.

Die blutigen Auseinandersetzungen erzeugten Angst und Hilflosigkeit. Die anhaltende Schwäche des Staates beraubte die Alten ihrer Rente und die Jungen ihrer Perspektive. Die ungerechte Aufteilung des Volkseigentums hinterließ bei den Bürgern das Gefühl der Ungerechtigkeit.

Zumal sich auch die Hoffnung auf mehr Freiheit vielerorten nicht realisiert hat. Autokratische Regimes haben sich in den Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan, Belarus, Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan etabliert.

Auch Russland wird zunehmend autoritär geführt. Bei Presse- und Versammlungsfreiheit, beim demokratischen Standard von Wahlen und der Zulassung oppositioneller Kandidaten war Russland zu Perestroika-Zeiten weiter, als es heute ist. (André Ballin, 24.8.2021)