Momentaufnahme aus "Love": Auch in großem Mangel gibt es die Chance auf Würde und Menschlichkeit – vor allem, wenn sich Gemeinschaften bilden, die zusammenhalten.

Foto: Sarah Lee

Mit seinen bis ins kleinste Detail genauen, brutal realistischen Inszenierungen hat sich Alexander Zeldin längst einen Namen gemacht. Auch in Wien dürfte er spätestens seit Anfang Juli ein Begriff sein, als er bei den Festwochen den jüngsten Teil seiner hochgelobten "kapitalismuskritischen Trilogie" The Inequalities präsentierte: Faith, Hope and Charity, das 2019 am Londoner National Theatre uraufgeführt wurde.

Noch keine 40, ist Zeldin bereits vielgerühmt und -bepreist: Seit 2017 ist er Artist in Residence und mittlerweile Associate Director des National Theatre, außerdem Associate Artist des Odéon Théâtre de l’Europe in Paris. Seine Inszenierungen sind präziser, konzentrierter Sozialrealismus unter Beteiligung von Laienschauspielerinnen und -schauspielern, die den Profis oft etwas Entscheidendes voraushaben: Sie kennen die ungerechte und grausame Realität, von der die Stücke erzählen, nicht nur vom Hörensagen. Sie ist ihr täglich Brot – oder eben gerade dessen Fehlen.

Hunger ist durchaus Thema im Großbritannien von heute (auch bei uns, aber das ist eine andere Geschichte). In Faith, Hope and Charity ging es um einen Haufen verlorener Gestalten, die in der – natürlich vom Untergang bedrohten (aber wo Gefahr ist, erwächst bekanntlich das Rettende sogleich) – Volksküche eines Community Centers aufeinandertrafen. Love, das 2016 am National Theatre erschien, erzählt von einer anderen, nicht weniger unrühmlichen Realität im von Thatcherismus und Austerität, Populismus und zum Prinzip verklärtem Rationalismus verheerten Großbritannien: Wieder befinden wir uns in einer Küche. Die täglichen Mahlzeiten und wo man sie herkriegt – diese Frage ist dort präsenter als sich das ein Mittelschichts-Foodie vielleicht vorstellen kann.

Hoffen auf ein Zuhause

Und wieder fehlt den Menschen, die in dieser Küche unfreiwillig aufeinandertreffen, sehr viel mehr als nur eine warme Mahlzeit. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsküche, die wiederum zu einer Einrichtung für temporäres Wohnen gehört. Wohnungslosigkeit ist eben auch in Großbritannien ein ebenso großes Thema wie Hunger.

In diesem trostlosen Setting trifft unter anderem eine vierköpfige Familie, die darauf hofft, noch vor Weihnachten ein eigenes Heim zu finden, auf ein Mutter-Sohn-Gespann, das sich scheinbar arrangiert hat mit den unbefriedigenden Umständen, unter denen es lebt.

Der Raum, den sie für sich haben und in dem ihre Hoffnungen und vielen unbefriedigten Bedürfnisse und Träume Platz finden müssen, zeigt sich als beengt und unpersönlich.

Und die Solidarität, die Menschen, die sich das leisten können, in solchen Settings gern herbeiträumen, ist schwierig herzustellen, wenn man mit dem eigenen physischen wie psychischen Überleben schon alle Hände voll zu tun hat. Davon erzählen Zeldins Stücke: Wie kann man in unwürdigen Um- und Zuständen menschlich und würdevoll zusammenleben?

Dazu gehört nun einmal die zwischenmenschliche Solidarität: So sehr auch der Mensch als Ego-Shooter eine Erfindung des Neoliberalismus ist – dies wird dadurch nicht weniger zutreffend.

In diesem Stück Zeldins wird sich wieder zeigen: Am Ende ist der Zusammenhalt einer Gemeinschaft, und sei er noch so unter Druck gesetzt und erschwert von einem menschenfeindlichen System, stabiler als gedacht. (Andrea Heinz, 21.8.2021)