Im "Grauen Haus" beschäftigt sich ein Schöffengericht mit mehreren ungewöhnlichen Familienkonstellationen.

Foto: APA / Helmut Fohringer

Wien – Dass Vater und Sohn gemeinsam auf der Anklagebank sitzen, ist selbst im Landesgericht für Strafsachen Wien keine Alltäglichkeit. Erst recht nicht, wenn der Vater sich verantworten muss, da ihn der Sohn belastet. Darum geht es vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Beatrix Hornich: Den Herren P. wird vorgeworfen, einen Schläger organisiert zu haben, der jemandem zumindest die Extremitäten brechen sollte – juristisch nennt man das die Bestimmung zur absichtlichen schweren Körperverletzung.

Im Hintergrund steht eine noch viel verworrenere Familiengeschichte. Metin A. war ein Bauunternehmer und hatte zwei blinde Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Er organisierte in der Türkei Ehepartner für seinen Nachwuchs. Die fanden schließlich mehr Interesse aneinander als an ihren Angetrauten: Metin A.s Schwiegersohn begann eine Affäre mit der Schwiegertochter, die von ihm schwanger wurde. Mittels DNA-Test fand A. heraus, wer der wahre Vater des Kindes war, beide Ehen wurden geschieden, das Paar zog zusammen.

Mit Eisenstange fast umgebracht

Am 20. November 2018 wurde der Ex-Schwiegersohn auf der Straße überfallen – ein oder mehrere Unbekannte verletzten ihn mit einer Eisenstange lebensgefährlich. Als Auftraggeber wurden A. und zwei seiner Geschäftspartner rechtskräftig verurteilt. Staatsanwältin Kerstin Wagner-Haase vermutet, dass A. aus verletztem Ehrgefühl einen Mordauftrag gegeben hatte.

Vater und Sohn P., 59 und 24 Jahre alt, sollen laut der Anklägerin bereits zwei Monate davor als Mittelsmänner fungiert haben. Während der Vater sich nicht schuldig bekennt und sonst keine Fragen beantworten will, ist der Sohn geständig: Der ältere P. habe gelegentlich auf den Baustellen von A. gearbeitet und über die amourösen Verwicklungen in der Familie A. Bescheid gewusst, erzählt der Sohn dem Gericht. Sein Vater habe ihn im September 2018 in Bosnien kontaktiert und gefragt, ob er einen Schuldeneintreiber organisieren könne.

Schuldeneintreiber 15.000 Euro versprochen

Angeblich ging es um Außenstände in Höhe von 100.000 Euro, 15.000 Euro sollte der Eintreiber bekommen, wenn die Rechnung beglichen wird. "Wie treibt man jetzt Schulden ein?", interessiert die Vorsitzende. "Damit hatte ich nichts zu tun", antwortet der Sohn. "Ich nehme an, man klopft an der Tür, spricht die Schulden an, schüchtert ein, und wenn das nichts bringt, wird man zusammengeschlagen." – "Was meinen Sie mit zusammenschlagen? 15.000 Euro für ein paar blaue Flecken wären recht viel." – "Na ja, schon, dass ein Arm gebrochen wird oder so."

Der Sohn konnte einen potenziellen Auftragnehmer rekrutieren, gemeinsam fuhr man nach Wien und kam in einer vom Vater organisierten Wohnung unter. "Dann haben wir uns in einem Jugo-Lokal getroffen", schildert der Sohn. Bei seiner ersten Einvernahme durch die Polizei sagte er noch, Metin A. sei bei diesem Treffen dabei gewesen und habe Foto und Adresse seines Ex-Schwiegersohns übergeben. "Ich wollte meinen Vater schützen", verrät er nun vor Gericht – in seinen ursprünglichen Aussagen könne man Metin A. einfach durch den Namen seines Vaters ersetzen.

Auftragnehmer lehnte Job ab

Normann Hofstätter, Verteidiger des Vaters, sieht darin aber nicht die einzige Unstimmigkeit bei den belastenden Darstellungen des Sohnes. Denn bei der Polizei sagte er noch, er habe mehrere Tage lang den Schuldeneintreiber in der Stadt herumkutschiert, damit der das Opfer ausspähen könne. Schließlich habe der Angeheuerte aber kalte Füße bekommen und sei zurück nach Bosnien gefahren. Vor Gericht erzählt der Sohn nun, der Schuldeneintreiber habe bereits in dem Lokal gesagt, er wolle den Job nicht, als klar wurde, dass es nicht um Geld, sondern um eine Ehrensache ging.

"Warum wollten Sie Ihren Vater ursprünglich aus der Geschichte raushalten, und nun belasten Sie ihn?", fragt Hornich den Zweitangeklagten. "Ich kann das emotional, psychisch und menschlich nicht mehr ertragen. Ich sitze seit Dezember 2019 in Untersuchungshaft, meine Frau hat mich verlassen und das Kind mitgenommen", begründet der Sohn, warum er reinen Tisch machen wolle.

Ehefrau zeigte Erstangeklagten an

Ein interessanter Aspekt ist auch, wie die Polizei überhaupt auf die beiden Angeklagten kam. Die Ehefrau des Vaters wandte sich im Herbst 2019 an die Behörden und gab an, sie fürchte, ihr Gatte sei in die Sache verwickelt, da sie Telefongespräche mitgehört habe, wo es um einen Angriff mit einer Eisenstange ging. Auch der Sohn wurde belastet. Vater P. kam in Untersuchungshaft, musste aber nach zwei Wochen wieder entlassen werden – die Ehefrau hatte die Aussage zurückgezogen, auch im Prozess macht sie nun von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

Das ändert aber nichts daran, dass das Gericht die von Staatsanwältin Wagner-Haase skizzierte Befehlskette für plausibel erachtet, da Details von anderen Zeugen durchaus bestätigt werden. Die rechtskräftigen Urteile: dreieinhalb Jahre Haft für den Vater, zweieinhalb Jahre für den Sohn. Da Letzterer bereits 20 Monate in Untersuchungshaft sitzt, verfügt Hornich noch im Verhandlungssaal seine bedingte Entlassung. (Michael Möseneder, 20.8.2021)