Mythen mischen sich in die Sprache der performativen Installation "Altamira 4042" von Gabriela Carneiro da Cunha, die dazu beitragen will, dass die Mauern des Kraftwerks Belo Monte verschwinden.

Foto: Nereu Jr.

Sie werden nicht für immer halten. Noch vor 2042 werden die Mauern fallen, und der Fluss wird wieder frei sein. Das ist die große Hoffnung. Brasilien, Bundesstaat Pará anno 2021: Seit zwei Jahren ist der Rio Xingu bei Altamira für ein Wasserkraftwerk aufgestaut, das selbst energische Proteste von Ureinwohnern und Umweltorganisationen nicht verhindern konnten.

Über diesen Eingriff in Natur und menschliche Existenzen, an dem auch europäische Firmen wie die Grazer Andritz AG beteiligt sind, hat die brasilianische Schauspielerin und Künstlerin Gabriela Carneiro da Cunha ein Stück produziert. Hier erklärt sie die Zusammenhänge.

STANDARD: Was ist der Hintergrund von "Altamira 2042"?

Carneiro da Cunha: Es ist Teil einer größeren Recherche, des "Riverbank Project: about rivers, buiúnas and fireflies", das ich vor fast sieben Jahren begonnen habe. Buiúnas sind mythologische Mischwesen aus einer Schlange und einer Frau. Sie bringen einige der Flüsse hervor. Die Hauptachse meiner Recherche besteht aus künstlerischen Gesten – Theater, Film, Texte, Bilder – als Zeugnisse von Flüssen, die eine Katastrophe durchleben.

STANDARD: Sie haben schon einmal mit einem Fluss "kooperiert"?

Carneiro da Cunha: Richtig. Wir haben erst am Araguaia-Fluss gearbeitet und für Altamira 2042 am Xingu-Fluss. Da hatte ich wirklich das Gefühl, dass der Xingu mit mir die Regie führte. Denn die Form und die Sprache dieser Arbeit sind völlig von der Beziehung zwischen mir und dem Fluss bestimmt. Es geht darum, einem Wesen zuzuhören, ohne eine Sprache dafür zu haben. Diese Sprache musste ich erst erfinden. Sobald das der Fall ist, beginnt plötzlich alles andere zu dir zu sprechen.

STANDARD: Wie zum Beispiel Tiere, Bäume?

Carneiro da Cunha: Oder der Wind, aber ebenso Autos, Kettensägen, die laute Musik in Altamira. So ist auch die Soundinstallation in der Performance gemacht. Das Publikum kommt ins Theater und beginnt, seine Ohren zu öffnen.

STANDARD: Anlass für diese Arbeit ist der Bau des 2019 fertiggestellten Belo-Monte-Wasserkraftwerks, für das der Rio Xingu aufgestaut wird?

Carneiro da Cunha: Ja, ich hatte einen Artikel der Journalistin Eliane Brum über Raimunda Gomes da Silva und João Pereira da Silva gelesen. Das Paar hat auf einer Insel im Xingu gelebt, wurde vertrieben, sein Haus niedergebrannt und die Insel geflutet. Hier findet ein Ökozid statt. Ich habe Raimunda getroffen, eine starke Frau. Ihre Stimme ist in der Performance zu hören.

STANDARD: Es gab seit den 1980er-Jahren Proteste gegen dieses Kraftwerk – mit Unterstützung von u. a. Sting oder James Cameron. Warum wurde es trotzdem gebaut?

Carneiro da Cunha: Korruption. Und jetzt kommt auf die Menschen am Xingu ein neues großes Bergbauprojekt der kanadischen Firma Belo Sun zu. Das Kraftwerk soll die Energie für dieses Projekt liefern.

STANDARD: Belo Sun nennt es das "Volta Grande Gold Project".

Carneiro da Cunha: Eine Staatsanwältin in Altamira hat diesen Schauplatz als Energiezentrum eines Kriegs zwischen zwei Welten bezeichnet. Wir haben jetzt sicher die schlimmere Regierung – aber man muss sagen, dass Belo Monte eine Konstruktion ihrer linken Vorgänger unter Lula da Silva ist. Das Kraftwerk stellt das Ergebnis einer bestimmten Art von Entwicklung, Fortschritt und Wirtschaftsaktivitäten dar, die nichts mit Amazonien und seiner Bevölkerung zu tun hat. (INTERVIEW: Helmut Ploebst, 21.8.2021)