Die Äskulapnatter ist die längste in Österreich anzutreffende Schlange. Sie wird bis zu zwei Meter lang und ist nach dem griechischen Gott der Heilkunst, Asklepios, benannt.

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Nur eines der zahlreichen Schreckensbilder, die unsere verdiente Sommerruhe heuer störten.

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Einsatzkräfte entfernen eine Äskulapnatter, die sich in einen Spülkasten verirrte.

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Ein Bild für Hartgesottene: Der Python im Porzellanschwimmbecken.

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Vielleicht ist eine Triggerwarnung angebracht: Wenn es Ihnen wie dem Autor geht und es Ihnen vor Schlangen, die sich außerhalb zentimeterdicken Zoo-Panzerglases oder der 1000-fach vergrößerten, eh urinteressanten Universum-Doku ins reale Leben schleichen, eher graut, sollten Sie jetzt aufhören zu lesen.

Nein? Dann sind Sie tapfer und gehören in unserer westlichen, von der Natur weitgehend entfremdeten Gesellschaft zur glücklichen Minderheit, die keinerlei Schlangenangst empfindet. Oder Sie halten es mit Indiana Jones, dem an sich ja furchtlosesten Archäologen der Filmgeschichte, der seine auf ein ungutes Jugenderlebnis zurückgehende Angst vor Schlangen zumindest so weit verdrängen kann, dass beim Anblick der Viecherln nicht sofort die Ohnmacht eintritt.

Es tut mir schrecklich leid, aber wir müssen noch einmal rekapitulieren, warum dieses Jahr nicht nur als zweites Pandemiejahr in die Geschichte eingehen wird. Wir werden zwar vor allem auf die leidvolle Erfahrung mit Test- und Impfschlangen zurückblicken – aber uns werden auch die haarsträubenden Berichte über Begegnungen mit echten, lebendigen, sich schlängelnden und züngelnden Schlangen in schauriger Erinnerung bleiben.

Python im Lokus

Die erste derartige Schreckensmeldung ereilte die im Sommer- und Corona-Loch durchatmende, völlig wehrlose Alpenrepublik Anfang Juli. Ein 65-jähriger Grazer nahm des Morgens auf seiner wohnungseigenen Toilette Platz, als er plötzlich ein Zwicken verspürte. Nachdem der Mann vom Porzellansofa mit einem Schrecken hochfuhr, lugte aus dem Häuslloch ein 1,6 Meter langer Albino-Netzpython hervor. Die ungiftige Würgeschlange war offenbar einem 24-jährigen Nachbarn des Gebissenen entkommen und über die Kanalisation bis in den Lokus des anderen gelangt.

Nur wenige Tage später erschlich sich in Wien ein ungebetener Gast Zutritt zum stillen Örtchen einer Nachbarin: Eine 68-jährige Frau aus Floridsdorf, der die Polizei zunächst gar keinen Glauben schenkte, wurde eines schwarzen Pythons ansichtig, der sich – ebenfalls aus dem Kanal gekrochen – auf ihrem Thron breitgemacht hatte. Auch hier dürfte ein nachlässiger Nachbar der Schuldige sein.

In Breitenfurth bei Wien war wenige Wochen darauf eine Äskulapnatter aus freier Wildbahn kommend besonders listig. Sie gelangte über Zwischenwände in den Spülkasten eines Abtritts und sorgte dafür, dass das Wasser nicht mehr zu rinnen aufhörte.

In Meidling saß ein Mann abends am Wohnzimmertisch, als ihn eine kleine, ungiftige Kornnatter in die Ferse biss. Sie war über ein offenes Fenster in die Erdgeschoßwohnung geschlängelt. Aus Waidhofen an der Thaya (NÖ) schließlich stammt die bislang letzte Horrormeldung: Ein Mann musste beim Tritt in die Dusche erkennen, dass sich bereits eine Äskulapnatter dort eingeringelt hatte. Und um den Vorfällen anekdotische Evidenz hinzuzufügen: Auch der Autor dieser Zeilen wurde heuer bereits dreier (!) Äskulapnattern, eine kurz, eine länger, eine sehr lang (zwei Meter!), im Park und im Auwald ansichtig.

Woher die Angst rührt

Man muss es also festhalten: Dieses Jahr ist ein Schlangenjahr – nur eben ein österreichisches. Die richtigen, astrologischen Schlangenjahre finden sonst nämlich eigentlich in China statt. Sie gelten nach dortigem Horoskop als konfliktgeladen, zuletzt war das 2013 der Fall. Heuer erlebt China indes ein Jahr des Büffels, das ist ein Jahr, in dem Probleme gelöst werden – was wir alle für ... eh schon wissen ... hoffen wollen.

Nun ist bekannt, dass unser gottgeküsstes Austria (sieben Schlangenarten, zwei giftig) mit seinem phonetischen Zwilling Australia (160 Schlangenarten, hundert giftig) bezüglich gefährlichen Kriechzeugs wenig gemeinsam hat. Vielmehr sollte man hierzulande froh sein, dass unsere überwiegend harmlosen Nützlinge uns vor sich rasant vermehrenden Mäusen und Ratten bewahren.

Warum aber kriechen die Schlingel heuer doch dorthin, wo wir sie um Himmels Willen nicht haben wollen? Experten sehen den kalten Mai und den heißen Sommer als Grund. Sprich, die Schlangen fressen heuer spät und sind wegen der Hitze sehr aktiv. Außerdem suchen sie gern nach Wasserstellen. Und das muss im Fall der Schlange offenbar nicht unbedingt die feinste Granderquelle sein.

Nun zur Frage, warum wir uns eigentlich so fürchten. In den aktuellen Fällen natürlich, weil die Gefahr aus Kloake oder Dusche an Horrorklassiker wie Es oder Psycho erinnert. Wo der Mensch sich entblößt, braucht er zuallerletzt unangenehme Überraschungen. Komplexer verhält es sich mit der allgemeinen Schlangenangst. Eine richtige Ophidiophobie, wie die krankhafte, das Leben beeinträchtigende Angst vor Schlangen auf Fachchinesisch heißt, haben nur fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung. Diffuse Schlangenangst aber betrifft viel mehr. Und seit Jahrzehnten streitet die Wissenschaft darüber, wie sie entsteht.

Es liegt wohl an einem Mix aus sozialen, kulturellen und evolutionsbiologischen Gründen. Der Mensch, so die These von der tiefverankerten "Urangst", wäre bei seiner Wandlung vom Affen zum Mensch von den Bäumen geklettert, wo er sich einer neuen Gefahr schlängelnder Kriechtiere stellen musste. 2017 fanden Forscher vom Max-Planck-Institut erstmalig Beweise für die Theorie der angeborenen Urangst. Sie stellten fest, dass bereits sechs Monate alte Babys gestresst auf Bilder von Schlangen und Spinnen reagieren.

Dazu potenzieren das soziale Umfeld, Familie oder Freunde durch mehr oder weniger ausgeprägte Schlangenangst den eigenen Grusel noch zusätzlich. Und dann wären da noch prägende Begegnungen mit den Reptilien, die Phobien verstärken – nicht nur Indiana Jones, auch der Autor könnte da leidvoll einiges erzählen.

Zwiespältiges Symbol

Kulturgeschichtlich hat die Schlange jedoch immer fasziniert: Vorchristliche Schlangenkulte waren vor allem in Mesopotamien und im Alten Ägypten weitverbreitet. Die Schlange galt stets als klug und listig, stand für Weisheit und Leben, aufgrund ihrer Giftigkeit auch für den Tod. Wegen ihrer Eigenschaft sich zu häuten war sie außerdem Symbol der Erneuerung.

Die christliche Karriere der Schlange ist zwiespältig: Sie verführt Adam und Eva in der Genesis zum Sündenfall und wird von Gott dafür bestraft, fortan im Staub zu kriechen. Andererseits errichtet Moses in der Wüste auf Gottes Geheiß eine eherne Schlange auf einem Pfahl als Schutz gegen die lästigen echten Schlangen. Im Christentum gilt das als Vorausdeutung auf die Kreuzigung Jesu.

Ja, theologisch ist das kompliziert. Im Volksglauben verfing denn auch mehr die negative Schlangendeutung, die wohl auf der Personifizierung Satans als Schlange fußt, wie sie die Apokalypse des Johannes anbietet.

Von der positiven Deutung ist aber eines geblieben: Asklepios, der griechische Gott der Heilkunst, soll stets mit einem von einer Natter umwundenen Stock umherspaziert sein. Nach ihm ist die längste in Österreich anzutreffende Schlange, die Äskulap, benannt. Und seinen Äskulapstab verwenden wir bis heute als Symbol der Ärzte und Apotheker – das sollte ja mittlerweile jeder kennen.

Das nächste chinesische Schlangenjahr findet übrigens 2025 statt. Bis dahin bleibt noch ausreichend Zeit, um einen schlangensicheren Lokus zu erfinden. Es wäre nötig. Dringend. (Stefan Weiss, 21.8.2021)