Europäische Länder könnten afghanischen Frauenrechtlerinnen jetzt humanitäre Visa anbieten, sagt der Völkerrechtsexperte Ralph Janík im Gastkommentar. Eine gezielte Aufnahme weiblicher Flüchtlinge aus Afghanistan hält er jedoch für unwahrscheinlich.

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Besonders für Frauen wird die Lage in Afghanistan immer gefährlicher: lautstarker Protest in Kabul am 19. August, dem afghanischen Unabhängigkeitstag.
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Die Geschlechterzusammensetzung von Flüchtlingen ist immer wieder Gegenstand emotionaler Debatten. So besteht ein klarer Männerüberhang, EU-weit stellten sie im Vorjahr 63,8 Prozent aller Erstanträge auf Asyl, bei den 14- bis 34-Jährigen sogar mehr als 70 Prozent.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich und reichen von Rollenbildern bis hin zum simplen Faktum, dass der Weg nach Europa für Frauen besonders gefährlich ist. Gleichzeitig schürt diese Entwicklung auch Sorgen: Junge Männer sind in Kriminalitätsstatistiken ganz allgemein überrepräsentiert, aufwühlende Ereignisse wie die Silvesternacht von Köln oder die Vergewaltigung und Tötung eines 13-jährigen Mädchens tun ihr Übriges.

Die Journalistin Katrin Elger forderte in einem kürzlich erschienenen Kommentar im deutschen Spiegel daher eine "Frauenquote" bei Flüchtlingen, die für ihre islamkritische Haltung (aber das ist eine andere Geschichte) bekannte Emma-Gründerin Alice Schwarzer sprach nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban sogar davon, ausschließlich Frauen und Kinder aus Afghanistan aufzunehmen (im Vorjahr standen EU-weit 36.650 männliche afghanische Asylwerber 11.580 Afghaninnen gegenüber).

Besonders bedroht

Rechtlich ist das freilich nicht möglich. Fest steht aber, dass Frauen in Afghanistan besonders bedroht sind: Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Politikerinnen wie die Vorsitzende des Komitees für Frauenrechte beim Europäischen Parlament, Evelyn Regner (SPÖ), haben eindringlich vor den Auswirkungen der Taliban-Herrschaft auf die weibliche Bevölkerung des Landes gewarnt.

Zwar kündigten die Taliban an, Frauenrechte respektieren zu wollen und ihnen Arbeiten oder Studieren zu erlauben – allerdings mit einem entscheidenden Vorbehalt: "in Einklang mit islamischem Recht", eine Bedingung, mit der zahlreiche islamische Länder Menschenrechtsverträgen wie dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau beigetreten sind. Angesichts der bekanntlich ultrakonservativen Ausrichtung der Taliban wird Afghanistan also alles andere als ein feministisches Vorzeigeland.

Geschlecht als "soziale Gruppe"

Europäische Länder könnten afghanischen Frauenrechtlerinnen – die einem speziellen Risiko ausgesetzt sind – jetzt humanitäre Visa anbieten, um einreisen und einen Asylantrag stellen zu können. Die Verfolgung aufgrund der "politischen Gesinnung" wird in der Genfer Flüchtlingskonvention schließlich ausdrücklich genannt.

Aber auch Frauen und Mädchen, die nicht politisch aktiv sind, können als Flüchtlinge anerkannt werden: Geschlechtsbezogene Verfolgung hat viele Gesichter, die Uno-Flüchtlingshilfe nennt ausdrücklich weibliche Genitalverstümmelung, häusliche Gewalt, Vergewaltigungen (auch in der Ehe, zumal diese oft nicht freiwillig eingegangen oder aufrechterhalten wird) und Menschenhandel. In all diesen Fällen kann von einer Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer "sozialen Gruppe" ausgegangen werden.

Furcht vor "Pull-Effekt"

Dass es zu einer bevorzugten oder gezielten Aufnahme weiblicher Flüchtlinge aus Afghanistan kommt, darf aber bezweifelt werden. Politische Ankündigungen von Regierungsseite gab es in diese Richtung nicht. Abgesehen von der schwierigen Umsetzung könnte hier auch Furcht vor einem "Pull-Effekt" bestehen, zumal Frauen erst recht ihre männlichen Familienmitglieder nachfolgen könnten. Es wird wohl eine theoretische Diskussion bleiben. (Ralph Janík, 22.8.2021)