Nach Stunden des Wartens gab Amir* vorerst auf. Am Freitag um spätestens acht Uhr früh hätte für den österreichischen Staatsbürger mit afghanischen Wurzeln eigentlich die langersehnte Evakuierung aus Kabul stattfinden sollen. Doch die Anweisungen, die er vom Außenministerium aus Österreich via E-Mail bekommen hatte, hielten offenbar nicht. Zumindest laut seiner Erzählung. "Es gibt leider kein Durchkommen", schrieb Amir Freunden aus Österreich auf Whatsapp, die mit ihm Kontakt halten und die Screenshots auch mit dem STANDARD teilten.
Der Mann sollte sich zum North Gate des Hamid Karzai International Airport begeben. "Zur ungarischen Flagge bei der äußersten Absperrung", wie es hieß. Dort sollten drei Soldaten warten. Einer aus Ungarn, einer aus den USA und einer der Taliban, um die Papiere zu kontrollieren. Eine "ungarische Weste" war als Zugangsbescheinigung für das Flughafengelände geplant. Von dort sollte mit ungarischen Militärflugzeugen nach Usbekistan evakuiert werden. Danach sei "die Weiterreise in weiterer Folge selbstständig anzutreten", teilte das Ministerium mit, wie der Screenshot der E-Mail an Amir zeigt.
Doch er will keine ungarischen Soldaten gesehen haben. Nur deutsche, die ihn laut eigenen Angaben ignorierten. Da ein längerer Verbleib vor dem Flughafen, wo sich unzählige Menschen drängen, zu unsicher sei, verließ Amir das Gelände und suchte eine sichere Unterkunft, wie er dem STANDARD per Whatsapp mitteilte.
Mehr Evakuierungsflüge
Im österreichischen Außenministerium ist man sich der Problematik bewusst. Die Situation am North Gate, das weiterhin Zutritt sein werde, ändere sich stündlich. Die Menschen sollten es aber weiterhin probieren, so das Außenministerium, denn man habe die Zusage, dass es Plätze in Evakuierungsflügen gibt. Die ungarische Maschine sei abgehoben, aber es sei bereits ein Flieger der deutschen Luftwaffe mit einem österreichischen Team an Bord auf dem Weg nach Kabul. Die Betroffenen, "einige Dutzend Österreicherinnen und Österreicher mit afghanischen Wurzeln", erklärte das Ministerium, werden sofort kontaktiert, wenn sich der Informationsstand ändert.
Der frisch verheiratete Amir ist gerade mit seinem Bruder und der Frau in Afghanistan. Von dort flüchteten die beiden Brüder einst vor den Taliban, die ihren Vater ermordet haben sollen, nach Österreich.
Amir arbeite jetzt bei einer Zahntechnikfirma und mache zudem in einer Abendschule die HTL Elektrotechnik, erzählt ein Freund aus Oberösterreich. Der Bruder habe eine Lehre als Einzelhandelskaufmann abgeschlossen. Die beiden seien im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Als die Lage in Afghanistan vor etwa zwei Jahren sicherer gewesen sei, habe Amir Bekannte und Verwandte in seiner Heimat besucht und sich vor Ort verliebt. Bisher skypte das nunmehrige Ehepaar, vorletzte Woche habe die Hochzeit stattgefunden. In Kabul wollte das Paar dann Verwandte der Frau besuchen. Von der Machtübernahme der Taliban seien sie überrascht worden. Nun säßen sie fest. (Bianca Blei, Jan Michael Marchart, 21.8.2021)