Yusif Eyvazov überzeugte als Cavaradossi, Anna Netrebko ließ in Salzburg als Floria Tosca das Heißblütige und Nervöse vermissen.

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Der Hochsommer neigt sich seinem Ende zu, den Salzburger Festspielen ergeht es ähnlich. Aber beide geben zum Schluss noch einmal ihr Bestes: Mühte sich der Sommer am Wochenende, die Dreißig-Grad-Marke zu erreichen, so lockten die Salzburger Festspiele mit Anna Netrebko als Tosca. Was will man mehr? Bald heißt es Rilke rezitieren und die Wollsachen auslüften.

In der opulenten Menüfolge der Salzburger Opernpremieren stellte die von den Osterfestspielen 2018 übernommene Inszenierung von Michael Sturminger das kalorienreiche Dessert dar, mit der Netrebko als Sahnehäubchen. Manche gegenwartsnahen Zutaten des Inszenierungswerks schienen den Kulturgenießenden jedoch auf den Magen geschlagen zu haben: Sturminger wurde für seine Aktualisierung im Großen Festspielhaus mit zahlreichen Buhs bedacht.

Beim Jedermann-Regisseur liebt und leidet Tosca im römischen Hier und Heute, genauer: in einem Sumpf von Politik, Kirche und Mafia. Für Scarpia scheint der italienische Dauerpremier Giulio Andreotti, Il Divo, Pate gestanden zu haben. Weil Sturminger vom Film kommt, hat er das Ganze wie einen Thriller aufgezogen: Als Eröffnung setzt es erst einmal einen Schusswechsel in einer Tiefgarage. Das ginge noch. Aber den Beginn des dritten Aktes in den Schlafsaal eines Knabeninternats zu verlegen: na ja. Leider konterkariert das die wundervolle Musik Puccinis zum Erwachen eines Tages. Zudem – Obacht, Spoiler! – überlebt Scarpia überraschend Toscas Messerattacke vom zweiten Akt und schießt sie final über den Haufen: Das Böse triumphiert.

Anerkennendes Raunen

Aber das tut es wenigstens in einem wunderschönen Ambiente (von Renate Martin und Andreas Donhauser): Auf der Cinemascope-breiten Bühne des Großen Festspielhauses glänzt die Kirche Sant’Andrea della Valle als ein marmorner Palast des Glaubens. Und auch Scarpias Chefbüro im Palazzo Farnese prunkt und protzt mit einem barocken Bildermeer in Sepiatönen: Als sich der Vorhang dafür öffnet, geht ein anerkennendes Raunen durch das Publikum. Ob da wohl manch einer der noblen Gäste zu einer Neugestaltung der Villa an der Côte d’Azur inspiriert wurde?

Die musikalische Seite präsentiert sich durchwachsen. Anna Netrebko ist natürlich grundsätzlich ein Geschenk, aber die Tosca zählt nicht zu den Partien, in denen sie vollends überzeugt. Das Nervöse, Heißblütige geht ihr etwas ab, gesanglich verweilt sie lieber, als dass sie drängt, und sie gleitet lieber, als dass sie hüpft. Im ersten Akt mischte sich etwas matronenhafte Schärfe in ihre Stimme – eine Folge der Beanspruchung durch ihre Turandots in Verona? Der zweite Akt gelang dann rund und weich, das "Vissi d’arte" ein Traum.

Bühnenstars auf der Bremse

Yusif Eyvazov überzeugte als Cavaradossi mehr als im letzten Dezember in Wien – damals hatten der Tenor und seine Göttinnengattin eine Tosca an der Wiener Staatsoper gegeben, pandemiebedingt vor fast leerem Haus. Tragfähigkeit und Kraft hatte sein Gesangsverhalten schon damals charakterisiert, am Samstag zeichnete Eyvazov den Maler in Salzburg zudem noch mit Zwischentönen und gelegentlichen Farbnuancen, auch im Piano. Mitunter trickste er, um Spitzentöne extrem in die Länge zu ziehen – beides müsste eigentlich nicht sein.

Apropos Längen: Überraschenderweise erlebte man am Samstag eine Tosca, die sich hinzog. Eine Erfahrung mit Seltenheitswert. Das Werk dauerte in Salzburg mit einer Pause gleich lang wie an der Staatsoper mit zwei. Was nicht an Dirigent Marco Armiliato lag: Der Italiener ist ein Wirbler und Antreiber, ein Adam Fischer des italienischen Repertoires. Leider gab er dem Bremsverhalten der Bühnenstars allzu oft nach. Auch Ludovic Tézier zelebrierte seinen Scarpia, den er mit der glatten Machtroutine eines Vorstandsvorsitzenden darstellte. Auf vokalem Gebiet misste man sadistische Schärfe und eine raumgreifende Brutalität. Michael Mofidian ging als Angelotti mit seinem kultivierten Bariton in den Klangwogen des Orchesters etwas unter. Prägnant Mikeldi Atxalandabaso als Spoletta, vielversprechend Alexander Köpeczi als Schließer.

Das Staatsopernorchester spielte die Tosca wie in Wien: erstklassig, lustvoll und präzise den zahllosen Wendungen der Musik folgend. Das Orchester klingt im Großen Festspielhaus prägnanter, direkter als an der Staatsoper; mitunter fehlt hier der Akustik das Verschmelzende, Homogenisierende. Arrivederci Salzburg, baba Sommer. (Stefan Ender, 23.8.2021)