Kathartisch: US-Gitarrist Marc Ribot.

Foto: Matthias Heschl

Natürlich hat der maskierte Hörer in Saalfelden zwischendurch (wie bei den Salzburger Festspielen oder in Wagners Bayreuth) das Gefühl, an der eigenen Luft zu ersticken. Er beneidet sogar Sprachkünstler Christian Reiner, der bei seinem Projekt Luft nebst abstrakten Geschichten um urbane Vereinsamung – maskenfrei – auch vokal Grenzbereiche des nervösen Ausdrucks aufsucht. Aber Saalfelden findet immerhin statt.

In einer Art Fantasiesprache parliert Reiner im Congress mit Bläserensemble und verschafft sich auch emotional Frischluft, während seine Kollegen und Kolleginnen teils mit Zirkularatmung (quasi gleichzeitig Luft holen und dennoch ausatmend Töne produzieren) für unendlich lange Klangmantras sorgen. Tendenziell eine diskrete freie Improvisationsséance.

Da ging es bei Irreversible Entanglements rund um die Rapperin und Poetin Camae Ayewa, bekannt auch als Moor Mother, hitziger zu. Rund um ihre Verbalausbrüche schleudern auch ihre Kollegen emphatisch tönende Anklagen und Fragen in den Raum. "Was werden wir unseren Kindern sagen?", platzt es aus Ayewa heraus, die nachlegt: "Was werden wir zu uns sagen, wenn wir in den Spiegel schauen?"

Später fällt auch das Wort "beten", und kniend treibt Saxofonist Keir Neuringer diese emphatische Erinnerungsmusik an den Free Jazz der 1960er Richtung Extremsound. Hier ist ein kathartisch wirkender engagierter Aktionismus am Werk, den Ayewa aufgeregt prophetisch mit "Keine Angst mehr, keine Angst mehr!!" befeuert. Es wirkt, als wollte sie mit dieser Intensivcombo in das kollektive Unbewusste der maskierten Zeugen eindringen und diesen befreienden Angstsatz einpflanzen.

Alte Rockzeiten

Kathartisch auch US-Gitarrist Marc Ribot. Seinen Zorn über die Situation Amerikas unter Donald Trump hat er in den letzten Jahren herausgefeuert; nun ist die Einspielung Hope erschienen. In dem gitarristischen Draufgängertum scheint aber auch der Kindheitstraum "Rockband" mitzuschweben. Ribots Trio Ceramic Dog wirkt wie eine bluesig-schräge Reverenz an jene Rockzeiten, als Hendrix seine Gitarre noch mit der Zunge spielte und die Jungen von True Harry Nulz noch gar nicht auf der Welt waren.

Diese Fusion aus dem Schweizer Quartett The Great Harry Hillmann und dem österreichischen Trio Edi Nulz bringt einen poetischeren Musikansatz. In den sich fließend steigernden Stücken ist allerdings einiges an melodischer Exzentrik und metrischer Verspieltheit verborgen. Es klingt reizvoll nach vertrackter Zugänglichkeit, die dem Klavierduo Sylvie Courvoisier / Kris Davis nicht zu unterstellen ist.

Fragen zur Zentralbühne

Ihre Dialoge sind geprägt von wilder Linearität, die in ein Meer aus Clustern abtaucht und als abstraktes Wiegenlied herausschwebt. Es wirkt mitunter, als hätten sich zwei vorgenommen, Alban Bergs tonalitätssprengende einsätzige Sonate vierhändig zu variieren. Ja, in Summe gab es viel freie Improvisation auf der Zentralbühne.

Zwischendurch kam sogar die Sehnsucht nach einer etwas erdigeren Neubefragung von Jazztradition auf. Andererseits: Nach dieser Phase der Corona-Stille gibt Saalfelden das gewohnte Lebenszeichen. Und das ist schon die ganze Miete – bei der Planungsunsicherheit, die herrschte.

Perspektiven des Festivals

Perspektivisch wird sich das Festival, das heuer fast eine Woche dauerte und neue Räume der Stadt erschloss, in denen es Gratiskonzerte gab, überlegen müssen, wie es sich vor Selbstkanibalisierung schützt. Die 75 Prozent Auslastung auf der Hauptbühne im Congress mögen vornehmlich mit der allgemeinen Zurückhaltung und Unsicherheit wegen Corona zusammenhängen.

Allerdings birgt die Ausweitung des Angebots rund um den Zenrtralraum die Gefahr einer Überfülle, die zur Unübersichtlichkeit führt. Die Integration der österreichischen international längst ausstrahlenden Szene ist eine ebenso wichtige Sache wie die urbane Belebung. Das Setzten echter Rufzeichen auf der Hauptbühne. darf jedoch nicht leiden. Aber wie gesagt: Heuer war en besonderes Jahr, die Planung wohl extrem fordernd. und zum Finale ging es auf der Hauptbühne jedenfalls intensiv zu.

Saxofonist Avram Fefer und sein Quartett , in dem auch Gitarrist Marc Ribot zu finden ist, setzte auf exaltierte Improvisationen auf Basis von repetitive Riffs. Wobei: der Mann aus San Francisco. im Projekt "Testament" Kompositionen einbringt, die mit interessanter Sprunghaftigkeit glänzen. In Summe ist da natürlich viel von jener sich episch ausbreitender Power des modalen Jazz in der Art eines John Coltrane Sehr persönlich gedeutet natürlich, der auch unbegleitet in Solopassagen Charisma entfalten kann. (Ljubiša Tošic, 23.8.2021)