Tim Focken begann als Mehrkämpfer, versucht es in Tokio aber als Pistolenschütze.

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Harry, Duke of Sussex, ist das Gesicht der Invictus Games, die in derselben Tradition wie die Paralympischen Spiele stehen.

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Tim Focken hatte Zweifel, als er im Spätsommer 2010 zum wiederholten Mal in Afghanistan eingesetzt werden sollte. Der Fallschirmjäger wollte sich nicht mehr so oft in Lebensgefahr begeben, auch seines Kindes wegen, doch er wollte seine Kollegen auch nicht im Stich lassen. Also einmal noch. Am 17. Oktober wurde der Mann aus Oldenburg bei einem Feuergefecht mit den Taliban angeschossen. Seither muss Focken mit einer Oberarmplexuslähmung leben. Er kann seinen linken Arm nicht heben, hat oft Schmerzen im Rücken. In den ersten Monaten fühlte er sich nicht mehr als Soldat, mit 26 Jahren sieht er sich als Mann ohne berufliche Zukunft.

Am Dienstag beginnen in Tokio die Paralympischen Spiele. Unter den 4.400 Athletinnen und Athleten ist auch der Sportschütze Tim Focken – als erster deutscher Soldat, der im Kriegseinsatz verwundet wurde: "Durch den Sport habe ich wieder berufliche Zufriedenheit erlangt."

2011, unter Verteidigungsminister Thomas de Maizière, etablierte die Bundeswehr das Projekt "Sporttherapie nach Einsatzschädigung". In der Sportschule Warendorf bei Münster erhalten verwundete oder traumatisierte Soldaten einen individuellen Plan für Training, Physiotherapie und Psychologie. Focken war als einer der Ersten dabei. Durch den Sport habe er seinen Körper neu kennengelernt, "ich habe erfahren, wozu ich noch in Lage bin".

Teil der Tradition

Focken sportelt in einer Tradition. Die paralympische Bewegung fußt auf den Errungenschaften von Ludwig Guttmann. Der Neurologe musste 1939 nach England fliehen. Im Krankenhaus der Kleinstadt Stoke Mandeville stellte er die Behandlung für Querschnittsgelähmte um: Der Sport stärkte ihr Immunsystem und erhöhte ihre Lebenserwartung. 1948 organisierte Guttmann neben dem Krankenhaus einen Wettkampf im Bogenschießen und Tischtennis für Kriegsversehrte. Die Spiele von Stoke Mandeville begannen 1948 am selben Tag wie die Olympischen Spiele in London. 1960 mündete Guttmanns Idee in die ersten Paralympics in Rom.

USA im Fokus

Rund 1,2 Milliarden Menschen leben weltweit mit einem körperlichen Handicap – von Geburt an, nach Unfällen oder Krankheiten. Zunehmend legen Staaten auch Sportprogramme für ihre verwundeten Soldatinnen und Soldaten auf. Besonders im Fokus steht das Thema in den USA. Mehr als 15.000 ehemalige Militärangehörige sind dort trotz eines körperlichen Handicaps sportlich aktiv. Ihr Netzwerk mit Veteranenverbänden und dem Verteidigungsministerium wächst, auch durch jährliche "Warrior Games".

Das paralympische Komitee der USA geht davon aus, dass künftig bis zu 15 Prozent der amerikanischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Programmen des Militärs stammen werden. Mehrfach trugen ehemalige Soldaten die US-Fahne bei den Eröffnungsfeiern der Paralympics, etwa Heath Calhoun bei den Winterspielen 2010 in Vancouver. Calhoun stammt aus Tennessee. Nach einem Gefecht im Irak mussten ihm beide Unterschenkel amputiert werden. Fünf Monate später fuhr er Monoski. Calhoun sammelt Spenden, trifft Politiker, setzt sich für Veteranen ein.

Prinz wird Pate

Die Bewegung griff bald auf Europa über. 2013 gewann Tim Focken bei den Warrior Games in Colorado Springs als erster Europäer seit acht Jahren den Mehrkampf. Prominentester Gast in Colorado war aber Prinz Harry, der das britische Aufgebot begleitete. Danach setzte sich der Enkel der Queen voller Elan für eine vergleichbare Veranstaltung in London ein. An der Premiere 2014 nahmen 300 Sportler aus 13 Ländern teil. Die meisten von ihnen wurden in Afghanistan verwundet. Titel der Veranstaltung: Invictus Games.

Diese Spiele der "Unbesiegbaren" sollten 2020 in Den Haag zum vierten Mal stattfinden, wurden wegen der Pandemie aber vorerst auf April 2022 verschoben. Harry, Duke of Sussex, bleib auch nach seinem spektakulären Ausscheiden aus dem Familienbusiness der Schutzherr der Bewegung.

Kriegsveteran Focken, inzwischen zweifacher Vater, sind pathetische Worte fremd. Die verheerenden Nachrichten versucht der 42-Jährige so gut als möglich auszublenden. Schließlich könne er mit einer Medaille in Japan die Bundeswehr in ein positiveres Licht rücken. (Ronny Blaschke, 23.8.2021)