Präsident Saied ist noch immer beliebt in Tunesien.

AFP/Tunisian Presidency

Als Kais Saied am 25. Juli per Videoansprache verkündete, dass er den nationalen Notstand ausrufe, den Regierungschef entlasse und die Arbeit des Parlaments aussetze, hat er sich selbst eine Frist von 30 Tagen gesetzt. In diesem Zeitraum wolle er einen neuen Premierminister ernennen und die Aussetzung des Parlaments überprüfen. Am Montag läuft diese Frist nun aus, doch viele Fragen bleiben offen.

Mehrere Namen waren in den vergangenen Wochen für den Posten des Regierungschefs im Gespräch, unter anderem der international geschätzte Zentralbankchef Marouen Abassi und Nadia Akacha, die Kabinettschefin des Präsidenten. Doch offensichtlich zögerten die Kandidaten auch angesichts der unübersichtlichen rechtlichen Lage, den ihnen angetragenen Job anzunehmen.

Tunesische Organisationen, nicht zuletzt der mächtige Gewerkschaftsbund UGTT, haben von dem 63-jährigen Juristen Saied in den vergangenen Wochen mehrfach verlangt, dass er einen klaren Fahrplan veröffentliche, wie er weiter vorzugehen gedenke. Doch wer eine Roadmap, eine Karte, wolle, "der soll in der Geografiebibliothek suchen gehen", bügelte Saied Ende vergangener Woche die Forderungen ab.

Immer noch populär

Auf die Unterstützung weiter Teile der Bevölkerung kann der Präsident auch nach einem Monat noch zählen. Mit einigen populären Maßnahmen hat er sich den Rückhalt gesichert. Nachdem die Covid-Impfkampagne monatelang wegen fehlender Impfstoffe gestockt hatte, wurden dank Impfstoffspenden aus dem Ausland an zwei Wochenenden mehr als eine der zwölf Millionen Tunesierinnen und Tunesier erstgeimpft.

Bedürftige, die besonders unter der Coronavirus-Pandemie gelitten haben, sollen dank eines Abkommens des Sozialministeriums mit Banken und Telekommunikationsunternehmen unkompliziert und schnell finanzielle Unterstützung erhalten.

Außerdem gelang es Saied, den Schienentransport von Phosphat in der Bergbauregion von Gafsa wieder anlaufen zu lassen. Dieser war seit Jahren von Lastwagenfirmen blockiert worden, die die Infrastruktur sabotierten oder Sit-ins auf der Strecke finanzierten, um den Umstieg auf den deutlich teureren Transport per Straße zu erzwingen. In diesem Zusammenhang wurde am Wochenende ein Abgeordneter aus der Region festgenommen.

Dem gegenüber steht eine Reihe umstrittener Entscheidungen. So wurden unter anderem ein ehemaliger Minister und der frühere Leiter der Antikorruptionsbehörde unter Hausarrest gestellt, ohne dass ihnen die richterliche Anordnung der Maßnahme vorgelegt wurde. Unterdessen wird Saied nicht müde zu betonen, dass er sich an geltendes Recht halte und im Rahmen der Verfassung agiere.


Diese biete ihm nur eine Möglichkeit, die aktuelle Situation aufzulösen, ohne nach einem Monat an den Ausgangspunkt der politischen Blockade zwischen Präsident, Regierungschef und Parlament zurückzukehren, erklärt Slim Laghmani, Professor für öffentliches Recht in Tunis. Wenn der neue Regierungschef im Parlament keine Mehrheit für sein Kabinett erhält, könnte Kais Saied dieses auflösen und Neuwahlen ansetzen. Dieses Szenario könnte Saied bewusst provozieren, zumal er selbst parteilos ist und daher keine starke Unterstützung aus dem Parlament hat.

Doch der Präsident macht einerseits kein Hehl daraus, dass er vom aktuellen politischen System Tunesiens und von Parteien generell wenig hält. Andererseits würden auch Neuwahlen das grundsätzliche Problem nicht lösen, sondern den Konflikt nur vertagen.

Beobachter erwarten daher, dass der Präsident entweder per Dekret das Wahlrecht ändern wird – dieses hatte in der Vergangenheit mehrfach ein zersplittertes Parlament voller Kleinstparteien und einzelner unabhängiger Abgeordneter hervorgebracht, sodass es de facto unmöglich war, stabile Regierungskoalitionen zu formen.

Autoritäre Option

Oder Saied setzt ein Referendum an, um die Verfassung zu ändern und das von ihm bevorzugte Präsidialregime einzuführen. Angesichts des desolaten Bildes, das die Parlamentarier in den letzten Jahren abgegeben haben, ist es trotz der Erfahrung mit autoritären Regimen der Vergangenheit nicht auszuschließen, dass er dafür eine Mehrheit erhielte. (Sarah Mersch aus Tunis, 23.8.2021)