Es herrscht Goldgräberstimmung bei Investoren und Unternehmen, die Amazon-Marktplatzhändler übernehmen möchten.

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Wien – Es reichen 1000 Euro Startkapital, um mit Amazon als Handelsplattform ein erfolgreiches Geschäft aufzuziehen. Zumindest hieß es das lange Zeit. Ganz so einfach ist es für Amazon-Händler aber nicht mehr. Hersteller wollen größere Stückzahlen absetzen, was mit komplexen logistischen Aufwänden verbunden ist. Dafür herrscht Goldgräberstimmung bei dem Geschäft, Amazon-Händler zu übernehmen.

Die Idee stammt aus den USA. Das Start-up Thrasio hat es zu seinem Geschäftsmodell gemacht, Online-Handelsmarken aufzukaufen, und damit rasch eine Milliardenbewertung erreicht. Übernommen werden sogenannte Amazon-FBA-Händler (Fulfillment by Amazon). Diese Firmen lassen Lagerung und Versand ihrer Produkte vom US-Riesen abwickeln. Ein aktives europäisches Pendant zu Thrasio ist die deutsche Berlin Brands Group (BBG).

Viele Marken aus einer Hand

20 Marken hat die BBG bisher übernommen, dazu zählen etwa der Sportartikelanbieter Boarderking, der Badausstatter Dombach und der Haushaltswarenhersteller Glaswerk. Firmengründer Peter Chaljawski hat im Alter von 19 Jahren selbst als Marktplatzhändler begonnen. Das war im Jahr 2005. Heute beschäftigt die Berlin Brands Group 900 Mitarbeiter an sechs Standorten und erzielte im Vorjahr einen Umsatz in Höhe von 334 Millionen Euro.

Eines unterscheidet die BBG allerdings von Konkurrenten wie SellerX oder Branded: Eigenmarken. Chaljawskis Unternehmen hat bisher 14 Eigenmarken aufgebaut und vertreibt diese nicht nur über Amazon, sondern auch über 70 eigene Online-Shops. Dazu zählen etwa Klarstein, Capital Sports oder Blumfeldt. 60 Prozent des Umsatzes kämen aus eigenen Kanälen, der Rest über Amazon, sagt BBG-Marketing-Chef Thomas Stanzl dem STANDARD.

Nicht nur Amazon

Rein auf Amazon verlassen will man sich bei dem deutschen Unternehmen nicht: "Sich nur darauf zu verlassen wäre uns zu riskant. Schließlich passiert vieles im Blindflug. Amazon gibt das Gros der Kundendaten nicht mehr her, sogar E-Mail-Adressen werden unkenntlich gemacht." Deswegen setze man auf die eigenen Kanäle, um nicht in zu große Abhängigkeit zu geraten.

Die Pandemie ließ die Zahlen bei BBG durch die Decke gehen, der Umsatz wurde 2020 verglichen zu 2019 (217 Millionen Euro) um mehr 50 Prozent gesteigert. "Vor allem bei Sportartikeln und Küchengeräten stieg die Nachfrage stark an. Auch die Margen verbesserten sich, weil weniger Marketingausgaben anfielen", sagt Stanzl. Das habe allerdings nicht nur Vorteile: "Ist ein Produkt ausverkauft, sinkt man im Amazon-Ranking schnell nach unten, und es ist schwer, wieder raufzukommen."

Bierkühlschrank als Bestseller

Der gebürtige Österreicher blickt gern auf den österreichischen Markt. Dieser sei dem deutschen ähnlich, Bestseller unterschieden sich allerdings. "In Österreich gehen Bierkühlschränke, Sous-vide-Garer oder Heizstrahler für die Terrasse besser." Heimische Marken, die die BBG übernehmen möchte, habe man bisher keine gefunden.

Amazon hat im Juli detaillierte Zahlen zum Marketplace veröffentlicht. Mehr als 2000 kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) aus Österreich haben im Vorjahr 15 Millionen Produkte über den Amazon Marketplace verkauft – drei Millionen mehr als 2019. Eine Gesamtumsatzzahl veröffentlichte der IT-Gigant nicht. Im Schnitt erzielten die KMUs vergangenes Jahr einen Umsatz von 250.000 Euro, im Jahr davor waren es 190.000 Euro. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es 40.000 Marktplatzhändler, die im Schnitt 120.000 Euro Umsatz machen, schreibt das deutsche Handelsblatt.

Bei BBG kümmert sich ein 30-köpfiges Team um die Akquise von neuen Marken. Im Frühjahr sicherte sich das Unternehmen eine Bankenfinanzierung von 200 Millionen Euro, um das Wachstum weiter zu forcieren. Es will sich verstärkt auf den US-Markt konzentrieren. (Andreas Danzer, 23.8.2021)