Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

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Das Eis der Zivilisation, das man in ruhigeren Zeiten völlig zu Unrecht in Betondichte wähnt, wird nicht stabiler. In Kriegsgebieten zersetzt sich diese schützende Schicht, die zwischen Unerträglichem und Alltäglichem gezogen wurde. Aber auch dort, wo das Leben in sicheren Bahnen verläuft, wo Gesundheitsversorgung, Bildung, Rechtsstaat in mehr oder minder gelungener Ausprägung vorhanden sind.

Fortgeschrittene Verrohung

Wie sonst kann man diesen Prozess nennen, wenn die Verrohung so weit fortschreitet, dass Bilder von Babys, die von verzweifelten Eltern über Stacheldraht geworfen werden, oder Interviews von Frauenrechtlerinnen, die in Kabul auf ihre Ermordung warten, weil kein Ausweg mehr aus dem Horror der Taliban möglich ist, als Kollateralschaden betrachtet werden? Wie sonst außer als leidenschaftliche Bohrungen im Eis der Zivilisation kann man es bezeichnen, wenn der Innenminister eines sicheren westlichen Landes auch nach Verkündung der Unrechtmäßigkeit weiter versucht, wenigstens den Anschein von Abschiebungen nach Afghanistan aufrechtzuerhalten? Und damit seinen Populistentraum als allgemeingültige Wirklichkeit?

Demokratie bleibt auf der Strecke

Kanzler Sebastian Kurz würde sogar im siebenten Kreis der Hölle noch Hilfe vor Ort empfehlen. Die einen träumen eben vom Schariarecht härtester Auslegung, die anderen von alternativen Fakten, gebettet in türkisen Nebel. Auf der Strecke bleiben die Demokratie und die Schutzbedürftigen. (Julya Rabinowich, 22.8.2021)