Der international renommierte Pantomime und Körpersprachenexperte Samy Molcho behandelt in seinem Buch “Territorium ist überall“ nicht das Phänomen vom Hoheitsgebiet eines Staates, sondern von unserem höchst individuellen. Frei nach Molcho kann ein Territorium ein physisches oder geistiges Gebiet sein. Jedenfalls steht fest, dass wir alle Territorien und Grenzen brauchen. Doch wo hört die Grenze auf und wo werden diese gewollt oder ungewollt überschritten?

Gerade die nicht enden wollende Corona-Problematik stellt ein Anwendungsbeispiel von seinem Werk und der Überschreitung von individuellen Territorien dar. Mehr noch, das Problem wächst sich bereits zu einem realen psychodynamischen Kelomat-Effekt aus, bei dem der gesellschaftliche Druckkochtopf im metaphorischen Sinne zu explodieren droht. Die Corona-Vakzinierung bis zu einer bestimmten Durchimpfungsrate ist gewissermaßen der Endpunkt eines überspitzt formuliert psychosozialen Prisoner‘s Dilemmas. Die in der Problemstellung “Gefangenen“ sind auf der einen Seite die politischen Entscheidungsträger und auf der anderen Seite die Bürger, die im etwas weiter ausgelegten spieltheoretischen Kontext einmal mehr und einmal weniger kooperativ sind. Wie kommen wir nun aus dieser Zwangslage heraus und gibt es überhaupt ein Entrinnen?

rbb

Macht braucht Kontrolle

Viele haben das Gefühl, dass die Pandemie ein Test für die Politik ist, wie weit diese bei den Beschneidungen der persönlichen Freiheiten gehen kann. Ein sprichwörtliches “Schweigen der Lämmer“ bei Medienvertretern und anderen gesellschaftlichen Instanzen wird bemängelt. Eine Tatsache ist, dass - ob man es glauben mag oder nicht - die Politik durchaus lernfähig ist. Sie hat gelernt, dass man durch Angst Macht erlangt. Menschen, denen das politische Geschehen bis dato egal war und die ebenso wenig von Politikern hielten, sind beim Thema Gesundheit und der damit verbundenen Befürchtungen um die eigene, stärker aufnahmebereit und äußerst sensibilisiert. Hier kommt es sogar zum Paradox, dass Pamela Rendi-Wagner, anstatt auf einen strategischen Konterpart zur Regierungslinie zu setzen, um, so wie es Herbert Kickl erfolgreich macht, Stimmen aus dem Lager der Corona-Interventionsgegner zu lukrieren, in ihrer Verantwortung als Ärztin noch härtere Maßnahmen als der Bundeskanzler Sebastian Kurz fordert.

Die Konsequenz ist, dass sie eigentlich kein anderes wahrnehmbares Angebot für die Wählerschaft parat hat als die ÖVP. Der Hybrid einer alternativen und annehmbaren Lösung der aktuellen Impfproblematik ist ihr wahrscheinlich mangels Kreativität noch nicht eingefallen. Vielleicht sollte sich Rendi-Wagner so wie einst Alfred Gusenbauer etwas Inspiration beim erfahrenen Kenner der Wechselwirkung zwischen Körper und Geist in der Kommunikation, Samy Molcho, holen. Der politerfahrene Kurz hat im Unterschied dazu das Ohr immer am Volk, oder besser gesagt bei seinen Demoskopen, und kann blitzschnell auf kippende Stimmungen in der Bevölkerung reagieren und die Zügel einmal fester oder lockerer in der Hand halten. Ein verantwortungsvoller und nicht einseitiger Umgang mit der heiklen Thematik der Impfung wäre umso essentieller, bleibt aber alleine der FPÖ und in Nuancen den Neos überlassen. Die Freiheitlichen haben es in kürzester Zeit geschafft eine erneut “versemmelte“ Regierungsbeteiligung nahezu ungeschehen zu machen und fast wieder bei über 20 Prozent zu landen.

Immer weniger Menschen lassen sich in Österreich gegen Corona impfen.
Foto: imago images/NurPhoto/Eyepix/

Die Dosis macht das Gift

Leider bekleckern sich die sogenannten Mainstream-Medien nicht gerade mit Ruhm. Die Ernsthaftigkeit der Corona-Pandemie wird zwar in fast orgiastischer Endlosschleife publiziert - was am Anfang der Gesundheitskrise durchaus verständlich war. Nun aber, nach weit mehr als einem Jahr, verliert diese Vorgehensweise nicht nur ihre Wirkung, sondern sogar das Gegenteil tritt durch eine Habituierung ein und führt somit zu einem lockereren Umgang mit dem Virus. Ein kritischer Blick auf den gesamten Prozess der eigenen Corona-Berichterstattung bleibt Mangelware. Der transportierte Code ist einfach, nur leider scheint die eindimensionale Strategie der Durchimpfung nicht nur auf physiologischer, sondern vielmehr auf psychologischer Ebene nicht aufzugehen. Daher sollten sich alle Beteiligten, von den Experten bis hin zur Politik, eine Neudosierung ihres Vorgehens durch den Kopf gehen lassen.

Zum Abschluss ein Zitat von Samy Molcho als Anleitung zur individuellen Introspektion: ”Was wir sind, sind wir durch unseren Körper. Der Körper ist der Handschuh der Seele, seine Sprache das Wort des Herzens. Jede innere Bewegung, Gefühle, Emotionen, Wünsche drücken sich durch unseren Körper aus.” (Daniel Witzeling, 30.8.2021)