Innenminister Nehammer will keine Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen.

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"Keine falschen Signale zu senden", darum hätten die EU-Innenminister EU-Innenkommissarin Ylva Johansson gebeten, sagt Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Im Ö1-"Morgenjournal" zeigte er sich am Montag umso mehr "schockiert", dass aber genau das passiert sei. Johansson habe "verwaschene Botschaften" ausgesendet, die zu einem Anstieg der organisierten Kriminalität und der Schlepperei aus Afghanistan führen würden, warnte Nehammer. Kommissionschefin Ursula von der Leyen habe "noch eins draufgelegt", indem sie von sicheren Fluchtrouten gesprochen habe.

Ihm gehe es nach wie vor "um Stabilisierung vor Ort", darum, die Nachbarländer Afghanistans zu unterstützen und die humanitäre Hilfe dort auszubauen, sagte Nehammer. Weitere Flüchtlinge in Österreich aufzunehmen schließt er aus, auch bei besonders gefährdeten Personengruppen. Diese sollten in der Region sicher untergebracht werden.

Bereitschaft der EU

Was war passiert? Johansson hatte am Sonntag alle EU-Länder aufgefordert, über das Umsiedlungsprogramm des Uno-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) mehr Schutzsuchende aus Afghanistan aufzunehmen. Sie sprach von Menschen, die besonders gefährdet seien, etwa Menschenrechtsaktivisten oder Journalisten. Die EU-Kommission sei bereit, solche Programme zu koordinieren und zusätzliche Finanzhilfen bereitzustellen, bekräftigte auch Kommissionspräsidentin von der Leyen bei ihrem Besuch eines Erstaufnahmelagers für vor den Taliban geflohene afghanische Ortskräfte der EU in Spanien am Samstag. Auch von der Leyen stellte klar, dass ebenso den Menschen in Afghanistan weiter geholfen werden müsse.

Grüne und Kirchen fordern humanitäre Aufnahme

Auch innerhalb der türkis-grünen Koalition werden die Differenzen zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan weiter offen ausgetragen: Am Montag plädierten die Grünen für eine "europaweite Initiative zur humanitären Aufnahme von Schutzsuchenden". Österreich müsse dafür die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen.

Drei konkrete Anstrengungen sollen demnach unternommen werden: Hilfe in Afghanistan, eine Versorgung der Geflüchteten in den Nachbarstaaten und die sofortige Evakuierung all jener, die um ihr Leben fürchten müssen. "Dazu braucht es eine europaweite Initiative zur humanitären Aufnahme von Schutzsuchenden. Österreich muss die nötigen Ressourcen und Expertise zur Verfügung stellen und bereits laufende Familienzusammenführungen abschließen", heißt es in dem Statement der Grünen.

Die Grünen bekräftigten auch, Abschiebungen nach Afghanistan "kann und wird es nicht geben". Es sei sinnvoller, jetzt sofort das europarechtlich Mögliche zu tun, "als auf nationaler Ebene wiederholt rechtlich Unmögliches zu diskutieren. Wer die Menschenrechtskonvention infrage stellt, stellt die Grundfesten unseres Europas infrage", richteten die Grünen ihrem Koalitionspartner aus.

Auch der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) appelliert an die Bundesregierung, zumindest einigen besonders gefährdeten Menschen in Österreich Schutz zu gewähren. Hilfe in der Region und die legale sowie über das UNHCR geregelte Aufnahme von Menschen in Österreich dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es brauche beides, heißt es in einer Erklärung des ÖRKÖ-Vorstands.

Österreich leiste bereits Beitrag

Nehammer sieht dies anders: Er betonte, dass man aktuell Asylverfahren von 2.500 Afghanen ermögliche. Außerdem legte er erneut dar, dass in Österreich bereits 44.000 Afghanen leben und man damit den zweitgrößten Beitrag innerhalb der EU leiste. Nur in Schweden gebe es eine größere afghanische Community.

Das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) übermittelte dem STANDARD dazu detaillierte Zahlen aus dem Jahr 2020. Betrachtet man die Anzahl der Menschen, die in Afghanistan geboren sind, aber anderswo leben, so liegt Österreich mit 42.190 Personen tatsächlich direkt hinter Schweden mit 58.780 Personen. Weil die Übermittlung dieser Daten an Eurostat freiwillig ist, sind sie aber unvollständig.

Betrachtet man die Zahl jener Personen, die eine afghanische Staatsbürgerschaft haben und in EU-Ländern leben, dann liegt Österreich (43.654 Personen) hinter Schweden (49.592) und Deutschland (224.522) auf Platz drei. Auch dazu sind nicht aus allen Ländern Zahlen verfügbar.

Für den Kontext relevant ist freilich die Größe der einzelnen Länder. Setzt man also die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner in Relation mit afghanischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, so wird klar: Diese ist in keinem Land, zu dem es Daten gibt, größer als in Österreich. Allerdings liegt der Prozentsatz der Afghaninnen und Afghanen in allen Ländern weit unter einem Prozent. In Österreich macht die afghanische Community 0,49 Prozent der Bevölkerung aus, in Schweden sind es 0,48 Prozent und in Deutschland 0,27. In den allermeisten anderen EU-Ländern machen die Afghaninnen und Afghanen unter 0,01 Prozent der Bevölkerung aus.

Situation vor Ort abwarten

Auf die Frage, ob Österreich nach Afghanistan abschieben wolle, solange die Taliban an der Macht sind, betonte Nehammer, dass es keinen generellen Abschiebestopp gebe. Man schiebe weiter nach europäischem Recht ab, was zuletzt durch einen Charterflug nach Rumänien passiert sei. Darüber hinaus gelte es, was Abschiebungen nach Afghanistan betrifft, sich an der Europäischen Menschenrechtskonvention zu orientieren – "die ist natürlich einzuhalten". Man müsse die Entwicklungen abwarten, und es gelte der Grundsatz: "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben."

SPÖ Burgenland fordert Rücktritt

Aus dem Burgenland kam am Montag die Forderung, dass der Innenminister zurücktreten möge. Nehammer sei in der Asylpolitik "mit der Situation völlig überfordert", erklärte SPÖ-Landesgeschäftsführer Roland Fürst.

Die Sozialdemokraten im Burgenland hätten angesichts der Aufgriffe von illegalen Migranten bereits Mitte Februar gewarnt: "Wir wussten Anfang des Jahres, dass auf uns etwas zukommt. Die Quartiere im Burgenland sind übervoll", so Fürst. Allein in den vergangenen zwei Wochen seien 1.200 Menschen illegal über die Grenze gekommen – "das Ergebnis schwerwiegender Versäumnisse des Innenministers". Er müsse daher zurücktreten. (rwh, elas, red, APA, 23.8.2021)