Virenpartikel eines mit Sars-CoV-2 infizierten Patienten unter dem Elektronenmikroskop. Bei Delta ist die Virenlast deutlich höher als bei den bisherigen Varianten.

AFP / NIAID

Die zuerst in Indien aufgetauchte Delta-Variante ist die erste, die sich weltweit durchsetzen dürfte. Schuld daran ist ihre höhere Infektiosität. Gemessen wird diese mit der Basisreproduktionszahl R0, die angibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt, wenn es keine Sicherheitsmaßnahmen gibt. Während Sars-CoV-2 ursprünglich einen Wert von unter 3 hatte, steigt R0 mit Alpha auf 4 bis 5. Mit Delta dürfte er jenseits von 6 liegen.

Damit haben wir es mit einem völlig neuen Gegner zu tun, der zudem leider auch den Schutz, den Geimpfte vor Infektionen haben, um einiges herabsetzt. Und wegen dieser höheren Infektiosität werden mittlerweile auch Ansteckungen Geimpfter von Hochzeiten im Freien, von Poolpartys und anderen Freiluftveranstaltungen gemeldet, die bisher als relativ sicher galten.

1.000-fach höhere Virenlast

Doch woran liegt es, dass Delta so viel ansteckender ist? Ende Juli kam eine Studie aus China zu dem Schluss, dass die Virenlast von Delta-Infizierten 1.000-fach höher ist als von Infizierten mit dem ursprünglichen Virus. Diese eindrucksvollen Zahlen klangen so, als ob die Virenlast als Erklärung ausreichend sei. Doch mittlerweile sind noch einige weitere Erklärungen dazugekommen – allesamt freilich in Preprints, die noch nicht fachbegutachtet worden sind.

Diese Untersuchungen weisen auf weitere genetische und epidemiologische Besonderheiten von Delta hin. Eine Studie, die bisher ebenfalls nur als Preprint vorliegt, aber einige Aufmerksamkeit in der Fachöffentlichkeit erhielt, beschäftigt sich mit dem Zeitfenster zwischen dem Beginn der Infektiosität und dem Einsetzen von Symptomen.

Größeres Zeitfenster

Vor Delta brauchte es bei mit Sars-CoV-2 infizierten Personen im Durchschnitt 6,3 Tage nach einer Infektion, um Symptome zu entwickeln, und 5,5 Tage, um positiv auf virale RNA getestet zu werden. Das bedeutet, dass der Zeitraum für eine unbemerkte Virusabgabe gerade einmal knapp 20 Stunden beträgt.

Benjamin Cowling (Universität Hongkong) und Kollegen analysierten die Testdaten von (allerdings nur) 101 infizierten Personen, um zu erforschen, wie groß dieses Zeitfenster im Fall von Delta ist. Das Ergebnis: Erste Symptome traten im Durchschnitt 5,8 Tage nach der Infektion mit Delta auf. Das war in dem Fall freilich im Schnitt 1,8 Tage nachdem die Personen erstmals positiv auf virale RNA getestet worden waren.

Mit anderen Worten: Die Personen hatten ziemlich genau einen Tag länger Zeit, virale RNA auszuscheiden, bevor sie irgendwelche Anzeichen von Covid-19 zeigten. Laut den Studienautoren finden deshalb 74 Prozent der Infektionen mit Delta während der präsymptomatischen Phase statt – ein höherer Anteil als bei früheren Varianten.

Eine genetische Erklärung

Zudem hatten die mit Delta infizierten Personen höhere Konzentrationen von Viruspartikeln (oder Viruslast) in ihrem Körper als Personen, die mit der ursprünglichen Version von Sars-CoV-2 infiziert waren. "Irgendwie taucht das Virus schneller und in größeren Mengen auf", sagt Cowling im Fachblatt "Nature News".

Diese größeren Virusmengen wiederum könnte eine andere, genetische Studie erklären, die eine Gruppe um Pei-Yong Shi, Virologe an der University of Texas in Galveston, kürzlich als Preprint veröffentlichte. Diese Forscher entdeckten, dass die Mutation P681R des Virus – eine von mehr als einem Dutzend Veränderungen der Delta-Mutante – besonders folgenreich sein dürfte. Diese Mutation namens P681R, die nur eine einzige Aminosäure betrifft, befindet sich im Spike-Protein und dort an der sogenannten Furin-Spaltstelle, die beim Eindringen in die Zellen eine entscheidende Rolle spielen.

Für ihre Studie bauten die Forscher die ursprüngliche Version P681 statt P681R ein – und siehe da: Die Vermehrung des Virus war sehr viel schwächer und fiel auch unter den Wert der Alpha-Variante, die an der gleichen Stelle wie Delta eine andere Aminosäureveränderung aufweist. Die vorliegenden Daten deuten jedoch darauf hin, dass die Auswirkungen der P681R-Mutation bei Delta besonders unangenehm sind und eben auch die womöglich 1.000-fach höhere Viruslast erklären könnten. (Klaus Taschwer, 23.8.2021)