Elīna Garanča als wolkig gewandete Marguerite in der konzertanten Aufführung des Faust-Stoffs von Hector Berlioz im Großen Festspielhaus in Salzburg.

Foto: Marco Borrelli

Ein cooler Hund, dieser Berlioz. Hat als Jüngling Faust gelesen und war angetan. Hat mit 26 verschämt ein paar Gedichte draus vertont, mit 43 ein paar knallige Opernszenen drum herum – und sich selbst das Libretto dazu – geschrieben. Sprich, Hector Berlioz und sein Mit-Librettist Almire Gandonnière haben anno 1846 getan, was Regisseure, Dramaturgen und sonstige Kultur-Innen heutzutage für hip halten. Sie haben ein "Stück nach ..." verfasst.

Diesen Doktor Faust lockt kein Pudel hinter dem Ofen hervor. Da tanzen die Geister und Gnome obszöne Menuette. Da marschieren Soldaten gehorsamsblind in den Tod. Da merken die bukolischen Bauern nicht, dass sie auf einem Vulkan tanzen. Da gibt es Verzückung nur auf Droge und Liebe nur nach (teuflischer?) Berechnung.

Da stürmt der städtische Pöbel (auf gut Dodererisch "der Ruass") das Haus der sitzengelassenen Marguerite und entfacht ohne Internet einen Shitstorm, der sich gewaschen hat ... Das Knallfarbige, Pastellgetönte oder Himmelblaue der Musik enthält in den Tiefen der hinterhältig schillernden Partitur von Hector Berlioz immer auch das jeweilige Gegenteil in Form beängstigender Dissonanzen.

Selbst die schwärmerischen Liebesbeteuerungen enthalten harmonisch-ironische Brechungen, die ein "Verweile doch, du bist so schön" gar nie aufkommen lassen.

In Stein gemeißelt

All dass haben Alain Altinoglu und die Wiener Philharmoniker mit Verve und Esprit hören lassen. Wenn auch im "Diabolischen" entschieden präziser als im "Idyllischen", welches im Streicherpart gelegentlich recht impressionistisch-verwaschen daherkam. Warum die Cellisten im Chanson gothique (Berlioz’ Vertonung des Gedichts Es war ein König in Thule) gar so grimmig und gleichförmig schaben durften?

Gewohnt gleichbleibend laut und perfekt in Stein gemeißelt war der Stimmton von Elīna Garanča, der wolkig gewandeten Marguerite der konzertanten Aufführung im Großen Festspielhaus. Ildar Abdrazakov als Méphistophélès überzeugte mit reich timbrierter Verschlagenheit. Und Charles Castronovo gab, stimmlich geschmeidig, technisch souverän, einen überzeugend lebensüberdrüssigen Faust.

Soldaten oder Mädchen mögen zugrunde gehen – Faust heult am Busen der Natur über seinen "endlosen Überdruss". Wie anständig scheint der Teufel zu sein. Ob Faust am Firmament nicht auch den "Stern der beständigen Liebe" erblicke, fragt er. "Sein Einfluss wäre dringend nötig." Denn Marguerite sitzt inzwischen als verurteilte Muttermörderin im Kerker. Da galoppieren Faust und Méphistophélès auf den Pferden der Hölle in ebendiese – angeführt von den "Wienern", aufgestachelt von Alain Altinoglu.

Der Chor der Verdammten Dämonen lässt selbst dem ausgefuchsten Atheisten das Blut gerinnen. Da kann der Staatsopernchor, zum Chor der himmlischen Geister gewandelt, finalen Engelsgesang hören lassen. Der Teufel hat dennoch gewonnen. (Heidemarie Klabacher, 24.8.2021)