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Die Opiumproduktion ist das wirtschaftliche Standbein der Taliban. Laut Schätzungen verdienten sie zwischen 2018 und 2019 rund 400 Millionen Dollar.

Foto: AP/Allauddin Khan

Kaum an der Macht, stehen die Taliban vor massiven finanziellen Problemen: Die Geldreserven Afghanistans, die sich zum Großteil im Ausland befinden, wurden eingefroren. Auch mit internationalen Hilfszahlungen ist vorerst nicht zu rechnen. Dem Staat drohen nun Finanzierungsengpässe – und der ohnehin maroden afghanischen Wirtschaft Stagnation.

Bereits am Tag der Machtübernahme durch die Taliban Mitte August hatte die US-Regierung die afghanischen Währungsreserven, die zu einem Großteil in den Vereinigten Staaten lagern, eingefroren. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat den Zugang Kabuls zu IWF-Ressourcen mittlerweile ausgesetzt. Wie der geflohene afghanische Zentralbankchef Ajmal Ahmady vergangene Woche auf Twitter erklärte, haben die Taliban nur Zugriff auf gerade einmal 0,2 Prozent der Geldreserven – viel zu wenig, um die Wirtschaft in Gang zu halten.

Leere Bankomaten

Die Zentralbank ist zudem auf die regelmäßige Lieferung von Dollar, der in weiten Teilen der Wirtschaft die schwache Lokalwährung Afghani verdrängt hat, angewiesen. "Nur ein Bruchteil der afghanischen Bevölkerung hat Zugriff auf ein Bankkonto. Die meisten Transaktionen finden bar statt", sagt Thomas Url, Experte für Makroökonomie am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), dem STANDARD. Die, die Konten haben, berichten unterdessen von leeren Bankomaten. "Wenn sich das Bargeld verknappt, hat das deutliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation", sagt Url. "Irgendwann fehlt das Geld, Liquidität geht verloren. Das ist für die Wirtschaft so etwas wie ein Kreislaufstillstand."

Ob trotz der Sanktionen gegen die Taliban weiterhin internationale Hilfszahlungen fließen, bleibt vorerst fraglich. Daran, das Regime einer Terrorgruppe finanziell zu unterstützen, hat kaum jemand Interesse. Eine gänzliche Einstellung der Hilfen könnte allerdings zu einer humanitären Katastrophe führen. US-Präsident Joe Biden kündigte an, weitere Zahlungen an "strikte Bedingungen" zu knüpfen.

Hilfe vor Ort ist schwierig

"Afghanistan ist auf internationale Unterstützung angewiesen", sagt Gerhard Mangott, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck, im STANDARD-Gespräch. Das Staatsbudget war bis zuletzt zu 80 Prozent von ausländischen Finanzhilfen abhängig. Laut Weltbank lassen sich 43 Prozent der Wirtschaftsleistung auf internationale Gelder zurückführen.

"Ich kann mir vorstellen, dass Europa und die USA künftig vermehrt Hilfsaktionen der Vereinten Nationen wie das World Food Programme (WFP) in Afghanistan unterstützen werden", sagt Mangott. Ob vor Ort geholfen werden kann, hänge allerdings von der Entwicklung der Sicherheitslage ab. "Verschärft sich die Situation weiter, schränkt das natürlich den Aktionsradius für internationale Organisationen ein."

Für möglich hält Mangott auch Wirtschaftshilfen durch andere Staaten. Vor allem China habe finanziellen Spielraum und Interessen in Afghanistan. Zentralasien ist Teil der Neuen Seidenstraße; Stabilität in der Region sei für China essenziell. Zudem hätten die Chinesen Interesse an afghanischen Rohstoffen wie Gold, Kupfer, Eisen und vor allem Lithium, sagt Mangott.

Wohlhabende Taliban

Die finanzielle Situation der Taliban selbst dürfte sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert haben. Laut Uno-Schätzungen verdienten sie zwischen 2018 und 2019 mit der Produktion und dem Handel von Opium rund 400 Millionen Dollar.

Afghanistan ist laut dem United Nations World Drug Report 2020 für 84 Prozent der weltweiten Opiumproduktion verantwortlich. Laut dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) verzeichnete Afghanistan in drei der vergangenen vier Jahre die bisher höchste Opiumproduktion. Allein während der Corona-Pandemie stieg der Mohnanbau um 37 Prozent.

Ein großer Teil dieser Einnahmen geht an die Taliban, die an jedem Arbeitsschritt der Produktionskette – vom Mohnanbau über die Opiumgewinnung bis hin zum Handel – durch die Erhebung von Steuern und Schmugglergebühren mitverdienen. Möglich war und ist das, weil die Terrorgruppe seit ihrem Sturz im Jahr 2001 weiterhin große Teile des Landes kontrollierte.

Schutzgelder und Bergbau

Auch Schutzgelder für den Abbau von Eisenerz, Kupfer, Gold und Zink sind ein zunehmend lukratives Geschäft. Die damit verbundenen Erträge schätzt die Nato auf etwa 460 Millionen Dollar. Dazu kommen Einnahmen aus Erpressung, Steuern und Spenden. Die Nato geht davon aus, dass die Taliban im Jahr 2019 1,6 Milliarden Dollar erwirtschafteten. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum nahm die Regierung rund 5,5 Milliarden Dollar ein.

Ihre gute finanzielle Situation hat den Taliban wohl dabei geholfen, so schnell nach dem Abzug der internationalen Truppen die Macht in Afghanistan zu übernehmen. "Sie haben sich ihren Sieg eher erkauft als erkämpft", schreibt Douglas London, ehemaliger CIA-Terrorismusbeauftragter, in "Just Security". Die finanziellen Mittel hätten dabei geholfen, Soldaten und Regierungsfunktionäre dazu zu bringen, ihre Waffen ab- und ihre Posten aufzugeben, sagt London. Sich Macht nicht nur zu erkämpfen, sondern auch zu erkaufen – das sei "afghanische Tradition". (Jakob Pflügl, 24.8.2021)