So kann es gehen. Vor nicht einmal zwei Jahren stand Birgit Hebein noch an der Seite Werner Koglers bei den Regierungsverhandlungen der Grünen mit der ÖVP. Sie war eine der wichtigsten Verhandlerinnen, arbeitete federführend das Kapitel Soziales aus. Sie war im vergangenen Jahr als Vizebürgermeisterin noch Spitzenkandidatin der Grünen im Wien-Wahlkampf und erreichte das beste Ergebnis in der Geschichte.

Und jetzt? Am Sonntag gab Hebein ihren Ausstieg aus der Partei bekannt. Der ÖVP warf sie Vertragsbruch vor, weil sie keine Schutzsuchenden aus Afghanistan aufnehmen wolle, obwohl Kanzler Sebastian Kurz zugesichert habe, in der Flüchtlingsfrage "gesprächsbereit" zu sein, "wenn andere Länder vorangehen". Den Grünen warf sie Passivität vor.

Am Sonntag gab Birgit Hebein ihren Ausstieg aus der Partei bekannt.
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Die Entfremdung hatte in Wahrheit schon im Wien-Wahlkampf begonnen, als Hebein darauf drängte, Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen. Nur, damals dachten die Grünen noch, mit der Zeit werde die ÖVP schon einlenken – die Wien-Wahl abwarten, dann werde sie sich schon besinnen. Das tat sie aber nicht, die ÖVP führte ihren harten Kurs ohne Irritation fort. Es hat den Anschein, die Türkisen hören die Kritik ihres Koalitionspartners nicht einmal.

Hebein, die schon vor acht Monaten sämtliche Funktionen in der Partei niedergelegt hat, weil sie für keine Spitzenfunktion mehr vorgesehen wurde, hat mit ihrem Parteiaustritt nun vielen aus der Seele gesprochen. Die Unzufriedenheit großer Teile der Anhängerschaft mit der ersten Reihe der Grünen wird immer größer. Die Partei muss aufpassen, dass ihr die Basis nicht wegbricht. Wo sind Werner Kogler oder Sigrid Maurer, wenn über die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan diskutiert wird? Die von Hebein angesprochene Passivität stößt viele vor den Kopf. Sie erwarten sich sofortige Stellungnahmen, wenn etwa Innenminister Karl Nehammer die Menschenrechtskonvention infrage stellt.

Unschöne Neuigkeiten

Dazu kommen unschöne Neuigkeiten rund um Spenden von Immobilienentwicklern an einen Verein des ehemaligen Planungssprechers der Grünen, Christoph Chorherr. An Rot-Grün in Wien, das jahrelang als Vorzeigemodell galt, blättert langsam der Lack ab.

Kogler redet sich die Zusammenarbeit mit der ÖVP trotzdem schön. Im Klimaschutz sei noch nie so viel weitergegangen, wiederholt er fast mantraartig. Ja, das Klimaticket, mit dem man künftig sämtliche Öffis um 1095 Euro in ganz Österreich nutzen können soll, könnte ein Erfolg werden. Wenngleich es bei der Verkündung noch viele Fragezeichen gab, da noch nicht alle Bundesländer an Bord sind. Ja, es war auch ein starkes Signal von Umweltministerin Leonore Gewessler, den Bau des Lobautunnels einer Prüfung zu unterziehen. Aber ist das alles nicht nur eine Spielwiese, die die ÖVP den Grünen überlässt? Von gleichberechtigter Partnerschaft kann keine Rede sein, wenn die Grünen einzig beim Klimaschutz etwas zu sagen haben.

Nicht falsch verstehen: Der Schutz des Planeten ist wichtiger denn je, Gewesslers Initiativen beachtenswert. Die Partei braucht aber mehrere Standbeine, um nicht ihr Gesicht zu verlieren.

Was ist zum Beispiel mit den Schulen? Eine ganze Generation an Schülerinnen und Schülern kämpft pandemiebedingt mit dem System. Die Handschrift der Grünen in der Krisenbewältigung lässt hier einiges zu wünschen übrig. (Rosa Winkler-Hermaden, 23.8.2021)