Zum Auftakt der Krim-Konferenz gab die ukrainische Sängerin Jamala ihr einstiges Song-Contest-Siegerlied zum Besten.

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Diesmal war der Auftritt wirklich politisch. Noch vor fünf Jahren, als die ukrainische Sängerin Jamala mit dem Lied 1944 den Eurovision Song Contest gewann, gab es genau um diesen Punkt einiges Herumgezerre. Im Text nämlich geht es um die Deportation der Krimtataren durch Josef Stalin, nachdem die sowjetische Armee im Zweiten Weltkrieg die Schwarzmeerhalbinsel von der deutschen Wehrmacht zurückerobert hatte. Die Veranstalter des Gesangswettbewerbs aber mögen nun mal keine politischen Texte.

Als Jamala ihr Lied am Montag zu Beginn einer internationalen Krim-Konferenz in Kiew erneut zum Besten gab, konnte an der Symbolik kein Zweifel bestehen: Siebeneinhalb Jahre nach der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland wollte die Führung in Kiew mit der Auftaktveranstaltung zur neuen "Krim-Plattform" das Schicksal der Halbinsel international wieder in Erinnerung rufen.

Schwere Erschütterungen

Im Februar und März 2014 hatte das Vorgehen Moskaus noch zu schweren Erschütterungen geführt. Die EU reagierte mit Sanktionen und verbot unter anderem Tourismusdienstleistungen auf der Krim oder Warenimporte von dort. Doch trotz aller Proteste: Russland hatte mit der Annexion vollendete Tatsachen geschaffen, denen bis heute weder der Westen noch die Ukraine viel entgegenzusetzen haben. Und so ist es zuletzt wieder ruhiger geworden rund um das Schicksal der Halbinsel und ihrer Bewohner.

Vertreter aus mehr als 40 Ländern, darunter Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, waren nun am Montag nach Kiew gekommen, um genau das zu ändern. "Wir sind heute hier, um eine einfache Botschaft zu übermitteln: Macht schafft kein Recht", sagte Schallenberg in seiner Rede. Der "eklatante Verstoß gegen das internationale Recht" stelle eine Bedrohung für eine regelbasierte Ordnung dar und bedeute, dass "wir uns nicht von der Rechtsstaatlichkeit, sondern vom Gesetz des Dschungels leiten lassen". Bereits im Vorfeld der Konferenz hatte Schallenberg vor Journalisten betont, es dürfe "in der internationalen Politik keine blinden Flecken geben".

Ambitionierte Ziele

Nach Kiew gekommen sind unter anderem Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister aus mehr als 40 Ländern. Die EU war durch Ratspräsident Charles Michel vertreten. Er erklärte mit Blick auf die weiterhin bestehende Okkupation, dass die Europäische Union ihre "Nichtanerkennungspolitik weiterhin entschlossen fortsetzen" werde.

Die neue Plattform soll künftig durch Treffen auf Politiker- und Expertenebene eben diesen Konsens weit über die Grenzen der EU hinaus stärken. Auch den Einsatz für Menschenrechte oder für die Eindämmung von Umweltschäden, die durch Besetzung und Militarisierung der Krim entstanden seien, haben sich die Initiatoren an ihre Fahnen geheftet.

Und nicht zuletzt gehe es um das Erreichen des "Hauptziels", wie es auf der Website der Plattform heißt: das Ende der Okkupation und die friedliche Rückkehr der Krim zur Ukraine – ein Ziel, das auch der Gastgeber der Konferenz, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, in seiner Eröffnungsrede formulierte.

Angesichts solch hochfliegender Pläne hat die Krim-Plattform bereits im Vorfeld Kritik auf den Plan gerufen. Selenskyjs Reformprogramm nämlich – er war einst als Kämpfer gegen Korruption in den Wahlkampf gezogen – ist längst ins Stocken geraten. Manche fürchten nun, dass Selenskyj sein Land gerade deshalb vermehrt als Opfer der Aggression Russlands darstellen will.

Warnung vor Oligarchen

Für die aktuelle Entwicklung der Ukraine aber, so die Sorge, könnte genau das kontraproduktiv sein. Die Annäherung an die EU nämlich, zu der Kiew sich bekennt, erfordert weitere Reformschritte, die von der Fokussierung auf die besetzte Krim nicht gerade begünstigt werden.

Lachende Dritte wären dann jene Oligarchen, die an einem tiefgreifenden Strukturwandel gar kein Interesse haben. Susan Stewart, Osteuropa-Expertin der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hat die Pläne für die Krim-Plattform bereits im Jänner als "Risiko für die ukrainische Reform-Agenda" bezeichnet: Es sei zu befürchten, dass die Initiative "Aufmerksamkeit und Energien bindet, die für andere Prioritäten der ukrainischen Innen- und Außenpolitik dringender gebraucht werden".

Auch aus Moskau kam erwartungsgemäß Gegenwind. Außenminister Sergej Lawrow sprach von einem "Hexensabbat", Kiews Bemühungen um eine Rückgabe der Krim seien "illegitim" und ein "Eingriff in die territoriale Integrität Russlands".

Was all das nun für die österreichisch-russischen Beziehungen bedeutet, darüber können die Spitzendiplomaten beider Länder sehr bald persönlich sprechen: Bereits am Mittwoch wird der russische Außenminister Lawrow zu Gesprächen mit Schallenberg in Wien erwartet. (Gerald Schubert aus Kiew, 23.8.2021)