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Die Lage auf dem Flughafen Kabul gilt weiterhin als schwierig.

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Geflüchtete Afghanen kommen an einem italienischen Flughafen an.

Foto: AFP / US Navy / Daniel Young

Kabul/Brüssel – US-Präsident Joe Biden hat den Chef des Geheimdienstes CIA zu Gesprächen nach Kabul geschickt. William Burns traf am Montag mit Abdul Ghani Baradar. Es handelt sich um den höchstrangigen Kontakt zwischen den USA und den Taliban seit dem Sturz der afghanischen Regierung. Unterdessen läuft die Evakuierungsmission am Flughafen von Kabul weiter auf Hochtouren, die Regierungschefs der G7-Staaten beraten über eine Ausdehnung über die ursprünglich anvisierte Frist Ende August hinaus. Die Taliban lehnen eine weitere Anwesenheit westlicher Truppen kategorisch ab.

Das bekräftigte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid. Die Massen, die versuchten, auf den Flughafen zu gelangen, um einen Platz in einem Flugzeug zu ergattern, könnten heimgehen. "Wir garantieren für ihre Sicherheit", sagte Mujahid bei einer Pressekonferenz. Es gebe auch keine Listen von Menschen, die Rache fürchten müssten: "Wir haben alles in der Vergangenheit vergessen". Zudem brauche Afghanistan nun das Talent dieser Menschen, sagte er. Der Krieg sei vorbei, man werde Afghanen nicht mehr zum Flughafen durchlassen, so der Taliban-Sprecher, der dies mit der chaotischen Situation am Flughafen begründete.

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CIA-Chef William Burns verhandelt mit den Taliban.
Foto: AP/Loeb
In Kabul traf Burns auf Talibanchef Abdul Ghani Baradar.
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Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte am Dienstag, Moskau stehe gemeinsam mit China, Pakistan und den USA als Vermittler in Afghanistan bereit. Gleichzeitig warnte Lawrow davor, afghanische Flüchtlinge in den zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken aufzunehmen oder US-Truppen dort zu stationieren. Dies würde die Region destabilisieren.

Erste Ministerernennungen

Die Taliban stellen unterdessen eine neue Regierung zusammen und haben einem Medienbericht zufolge erste Minister bestimmt. Die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok meldete am Dienstag, unter anderem seien ein Finanz- und ein Innenminister ernannt worden.

Dem Agenturbericht zufolge wurde Gul Agha zum Finanzminister ernannt. Neuer amtierender Innenminister sei Sadr Ibrahim. Neuer Gouverneur der Provinz Kabul sei Mullah Schirin, Bürgermeister der gleichnamigen Hauptstadt sei Hamdullah Nomani. Auch der Geheimdienst habe eine neue Spitze erhalten. Weitere Details wurden zunächst nicht bekannt. Ein Sprecher der Taliban war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Bereits am Montag hatten die Taliban die Spitze der Zentralbank mit Hadschi Mohammed Idris neu besetzt. Seit der Machtübernahme der Islamisten vor mehr als einer Woche sind in Afghanistan die Banken geschlossen und viele Amtsstuben leer. Der Zentralbankchef des Landes, Ajmal Ahmati, ist aus Kabul geflüchtet.

EU erhöht Hilfen

Die EU vervierfacht ihre Hilfsgelder für afghanische Staatsbürger auf mehr als 200 Millionen Euro. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag auf Twitter an. Die Mittel würden zusätzlich zu den Hilfszusagen der einzelnen EU-Staaten zur Verfügung gestellt. Offiziell werde sie das Vorhaben beim virtuellen G7-Gipfel vorstellen.

Das Geld solle den Menschen innerhalb und außerhalb ihres Heimatlandes zugutekommen, erklärte die Kommissionspräsidentin. Ein EU-Vertreter fügte hinzu, zur Bedingung für die Auszahlung werde die Achtung der Menschenrechte und insbesondere der Rechte von Frauen gemacht. Danach werde entschieden, ob das Geld direkt nach Afghanistan oder in benachbarte Regionen fließe.

Menschenrechtsverletzungen

Nach der Machtübernahme der Taliban werden schwere Verletzungen von Menschenrechten aus dem Krisenstaat gemeldet. Darüber berichtete am Dienstag die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, bei einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrats zur Lage in Afghanistan. Laut diesen Berichten gab es etwa Massenhinrichtungen von Zivilisten und ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte.

Weiters sagte Bachelet, der Bewegungsspielraum von Frauen sei in manchen Regionen eingeschränkt worden, Mädchen dürften teilweise nicht mehr zur Schule gehen. Friedliche Proteste würden unterdrückt und Minderjährige zum Waffendienst geholt. Die Berichte seien glaubhaft, betonte sie.

Evakuierungseinsatz

Indes bezeichnete der britische Verteidigungsminister Ben Wallace eine Verlängerung der Evakuierungsmission in Afghanistan als unwahrscheinlich. Dennoch plane Großbritannien, für einen verlängerten Einsatz zu werben, sagte Wallace dem Nachrichtensender Sky News am Dienstag vor einem virtuellen Treffen der G7-Staats- und Regierungschefs. Gleichzeitig gestand er ein, dass die Sicherheitsrisiken immer höher werden. Terrorgruppen wie der Islamische Staat seien darauf aus, den Westen aus Afghanistan hinauszujagen. "Wir wären sehr verletzlich, sollte ein Terrorist zuschlagen", sagte er.

Aus dem Büro des französischen Außenministers Jean-Yves Le Drian hieß es, dass "unser Einsatz Donnerstagabend endet", wenn die USA an ihrem Abzugsplan festhielten. Frankreich hat seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Kabul am 15. August fast 2.000 französische Staatsbürger, afghanische Ortskräfte und afghanische Aktivisten aus dem Land ausgeflogen.

Der Flughafen in Kabul ist der einzige Teil des Landes, der noch unter der Kontrolle der westlichen Militärallianz steht. Doch die Zeit wird knapp. Am 31. August sollen alle ausländischen Truppen das Land verlassen haben. Die militant-islamistischen Taliban, die nun weite Teile einschließlich der Hauptstadt kontrollieren, wollen eine Verlängerung der Mission nicht akzeptieren. Viele Menschen, die wegen ihrer Tätigkeit für die afghanische Regierung, westliche Streitkräfte oder ihr Engagement für Menschenrechte mit Vergeltungsaktionen der Taliban rechnen müssen, müssen dann ihrem Schicksal überlassen werden, so die Befürchtung.

"Möglich, aber sehr unwahrscheinlich"

US-Präsident Joe Biden will einem Insider zufolge binnen 24 Stunden über eine Verlängerung entscheiden. Er wolle dem Pentagon Zeit zur Vorbereitung einräumen, erklärt ein Regierungsbeamter der Nachrichtenagentur Reuters. Nach Angaben Washingtons und Londons berieten Biden und Johnson am Montag über die Rettungsmission. Sie vereinbarten demnach, weiter daran zu arbeiten, dass alle Ausreiseberechtigten Afghanistan verlassen können.

Geflüchtete Afghanen kommen an einem italienischen Flughafen an.
Foto: AFP / US Navy / Daniel Young

Schnellere Evakuierungen

Pentagon-Sprecher John Kirby wollte nicht ausschließen, dass die Frist über Ende August hinaus verlängert werden könnte. Er betonte aber: "Unser Fokus liegt darauf, das bis zum Ende des Monates zu schaffen." Deutlich skeptischer äußerte sich der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus, der Demokrat Adam Schiff. Er halte eine Rettung aller US-Bürger, die sich noch in Afghanistan befinden, für "möglich, aber sehr unwahrscheinlich".

Trotz Gewalt und chaotischer Zustände an den Gates zum Flughafen schreitet die Evakuierungsmission voran. Das Tempo der Abflüge habe sich im Vergleich zu Sonntag fast verdoppelt, schrieb der zivile Repräsentant der Nato in Afghanistan, Stefano Pontecorvo, am Montag auf Twitter. Genaue Zahlen nannte er keine.

Harris verteidigt Biden

US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat den Abzug der US-Truppen verteidigt. Präsident Biden habe "die mutige und richtige Entscheidung" getroffen, einen seit 20 Jahren dauernden Krieg zu beenden, sagte Harris am Dienstag bei einem Besuch in Singapur. "Wir hatten das erreicht, wofür wir dorthin gegangen waren." Nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban liege der Fokus nun auf Evakuierungen. Dabei gehe es um US-Amerikaner, um Bürger aus Partnerländern und um Afghanen, die mit den USA zusammengearbeitet haben.

Russland rüstet Nachbarstaaten mit Waffen aus

Die Lage auf dem Kabuler Flughafen gilt als schwierig. Die US-Truppen hatten mit Erlaubnis der Taliban zunächst den Sicherheitsbereich um den Flughafen erweitert. Die Gegend um den Flughafen kontrollieren aber die Taliban. Am Rande des Geländes kam es zu einem Feuergefecht zwischen afghanischen Sicherheitskräften und unbekannten Angreifern, bestätigte die deutsche Bundeswehr. Dabei sei eine afghanische Sicherheitskraft getötet, drei seien verletzt worden. Im weiteren Verlauf des Gefechts seien auch Einsatzkräfte aus den USA und Deutschland beteiligt gewesen. Alle Soldaten der Bundeswehr seien unverletzt.

Die Taliban sollen nach Angaben eines Sprechers in Nordafghanistan drei Bezirke erobert haben, die unter die Kontrolle lokaler Milizen gefallen waren. Dabei gehe es um die Bezirke von Badakhshan, Takhar und Andarab. Der dortige Widerstand war das erste Zeichen, dass es bewaffnete Gegenwehr gegen die Machtergreifung durch die Taliban gibt. Die afghanische Armee hatte viele Regionen des Landes und auch Kabul weitgehend kampflos aufgegeben.

Russland brachte Panzerabwehr nach Zentralasien

Wegen der Machtübernahme der Taliban hat Russland seine Militärbasis im zentralasiatischen Tadschikistan aufgerüstet. Es seien mehrere Panzerabwehrsysteme des Typs "Kornet" in die an Afghanistan grenzende Ex-Sowjetrepublik gebracht worden, teilte der Zentrale Wehrbezirk der russischen Armee am Dienstag mit. Mithilfe von "Kornet" sollen feindliche gepanzerte Fahrzeuge sowie Ziele in der Luft mit Raketen abgeschossen werden können.

Russland, das in Tadschikistan seine größte Auslandsbasis hat, beobachtet den Siegeszug der Taliban in Afghanistan mit Sorge. Befürchtet wird unter anderem, dass Kämpfer in Zentralasien in ehemals sowjetisches Gebiet eindringen könnten. Moskau führt seit langem Verhandlungen mit den Taliban, die die Macht in Afghanistan übernommen haben. Vor rund einem Monat hatte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu den Ausbau der zentralasiatischen Stützpunkte angekündigt.

Griechenland erwartet Flüchtlingsstrom

Die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou hält es für "sehr wahrscheinlich", dass die Krise in Afghanistan zu einem Zustrom von Flüchtlingen nach Europa führen wird. "Der Umgang damit ist in erster Linie eine europäische Angelegenheit, die eine kohärente Balance zwischen unserer Solidarität und Verantwortung erfordert", betonte die Präsidentin in einem schriftlichen Interview mit der APA.

"Eine enge Zusammenarbeit mit allen Staaten in der Region und den Stakeholdern ist notwendig, um eine neue humanitäre und Migrationskrise zu vermeiden, aber auch, um unsere Grenzen zu schützen", so Sakellaropoulou, die seit 2020 im Amt ist. Die EU habe klargemacht, dass es Unterstützung für Afghanistans Nachbarn geben werde. "Kein Flüchtling oder Migrant soll instrumentalisiert werden, und die menschliche Würde soll absolut respektiert werden, als Kernstück unserer europäischen Werte und moralischen Prinzipien." Griechenland beobachte die Lage in Afghanistan genau. "Unsere Priorität ist im Moment die Freigabe und Überstellung aus Afghanistan von europäischen Bürgern und Personen, die mit den griechischen Streitkräften zusammengearbeitet haben, sowie ihren Familien." (APA, 24.8.2021)