Wahnsinnige Schachtelsätze: Leitfaden für richtiges Amtsdeutsch
Einführung in eine Geheimsprache, Teil zwei
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Michael Rami
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133 Wörter sind nicht genug
Den Juristen erkennt man nicht nur am Ärmelschoner oder am "LAW 17"-Autokennzeichen, sondern vor allem am Schachtelsatz: "Hat demnach die gekürzte Urteilsausfertigung neben den im § 270 Abs 2 StPO genannten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe im Fall einer Verurteilung außer den für die Strafbemessung maßgebenden Umständen 'die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung' zu enthalten, sind damit angesichts dessen, dass …"2, und weiter geht es und weiter und weiter, bis mit einem einzigen Satz unglaubliche 133 Wörter3 erreicht sind – jedoch ist eine solche Klemmkonstruktion4 weder Rekord5 noch unüblich, sondern gängige Praxis vieler Schreiber, was schon der Amerikaner Mark Twain vor über 100 Jahren erstaunt bemerkte:
Geringschätzung des Lesers
Schachtelsätze sind wie die Stiegenhäuser eines wahnsinnigen Architekten: Man steigt ganz oben ein (Beginn des Hauptsatzes), stolpert dann viele Stufen hinunter bis in den Keller (eingeschobene Nebensätze), freilich nicht in einer Linie, sondern treppauf und treppab (Nebensätze in Nebensätzen), um am Ende wieder dort herauszuklettern, wo man begonnen hat (Ende des Hauptsatzes).
Freilich ist die richtige Bildung von Schachtelsätzen gar nicht so einfach, wie der Unbedarfte vielleicht annehmen könnte. Hier nur die wichtigsten Regeln:
Ein Schachtelsatz muss aus der richtigen Motivation heraus entstehen, nämlich aus der totalen Geringschätzung des Lesers. Dieser verdient keinerlei Achtung, sondern hat vielmehr selbst welche zu haben, und was gebietet mehr Achtung als ein schwindelerregender Satzpalast? Treffend daher der Sprachlehrer Ludwig Reiners: "Baue lange Sätze! Da bekommt der Leser Respekt. Möglichst je Seite ein Satz!"8
Lange Sätze sind aber nur der Anfang, denn sie sind nur lang, aber noch keine Schachtelsätze; ein langer Satz alleine ist daher zu wenig. Umgekehrt gibt es auch kurze Schachtelsätze, und auch das reicht nicht. Fazit: Baue lange Sätze und verschachtele sie dann! Besonders jene Verschachtelungen, bei denen das Verb an das Ende des Satzes verscheucht wurde (denn erst dieses sagt dem Leser, worum es überhaupt geht, weshalb diese Auskunft, siehe das Motiv oben, möglichst spät erfolgen muss), bestechen.9
Die Hauptwaffe aller guten Verschachteler jedoch ist der mehrfache Einschub von Nebensätzen verschiedener Ordnung: Derjenige, der denjenigen, der den Pfahl, der an der Brücke, die auf dem Weg, der nach Worms führt, liegt, steht, umgeworfen hat, anzeigt, erhält eine Belohnung.10 (Michael Rami, 25.8.2021)
Fortsetzung folgt.
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