Vergangenen Donnerstag gingen bereits 2.500 bei einer "Links"-Demo für die Aufnahme schutzsuchender Afghanen in Österreich auf die Straße. Auch am heutigen Dienstagabend wird wieder demonstriert, Start ist am Minoritenplatz

Foto: Corn

Am Dienstagabend fand in Wien erneut eine Demonstration statt, die einen Kurswechsel der Regierung beim Umgang mit der Krise in Afghanistan fordert. Österreich solle daran mitwirken, "sichere Fluchtrouten" für bedrohte Afghaninnen und Afghanen zu ermöglichen und "Platz machen" für flüchtende Menschen, die dem Regime der Taliban entkommen wollen.

"Unsere Regierung will Europameister der Erbarmungslosigkeit werden", sagte Pero Rosandić von "SOS Balkanroute" und setzte nach: "Grüne sind keine Grünen ohne Menschenrechte." Langer Applaus bei der mehrere hundert Köpfe zählenden, ziemlich bunten Schar von Demonstranten.

Grüne nur als Einsprengsel wahrnehmbar

Wobei: Die Farbe Grün war da nur in einzelnen Einsprengseln wahrnehmbar – obwohl die Wiener Grünen mit zur Demo aufgerufen hatten, was schon im Vorfeld zu einigem Aufsehen geführt hatte. Denn die wichtigste Losung war "Nehammer absetzen!", was dann in mehreren, oft handgeschriebenen Varianten auf Tafeln zu lesen war.

"Nehammer Du Taliban" hatte Rosandić auf seine eigene Tafel geschrieben, "Extremisten abschieben – ÖVP raus aus Österreich" stand auf einer anderen und "Schmeissen wir Kurz und Nehammer raus aus ihren Büros!"

Orchestriert wurde die Veranstaltung von der Jungen Generation in der SPÖ (JG), deren Bundesvorsitzende Claudia O'Brien den Reigen der Rednerinnen und Redner eröffnete. Auf dem Minoritenplatz, gegenüber von Innen- und Außenministerium, klagte sie laut, wie "unerträglich" es sei, "schon wieder gegen die grausame Politik von Nehammer, Kurz und Co." protestieren zu müssen. Für Afghanistan-Flüchtlinge gebe es Platz in Wien und in ganz Österreich, "aber das offizielle Österreich schaut weg".

"Echte Perspektiven" gefordert

O'Brien traf den Ton, den die Demonstrationsteilnehmer hören wollten: "Wir fordern die volle Einhaltung der Menschenrechte, wir fordern echte Perspektiven für alle Geflüchteten in diesem Land".

Die JG hatte eine breite linke Plattform zusammengebracht. darunter zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Omas gegen rechts, die Schulen gegen Abschiebungen und die Plattform für menschliche Asylpolitik. Zudem prangen die Logos verschiedenster linker Gruppierungen und Parteien auf dem Aufruf zur Demo. Mit dabei im Aufruf und eben auch auf der Straße: die Wiener Grünen. Deren Bundespartei sitzt bekanntlich in einer Koalition mit der ÖVP, die in Asylfragen die türkis-grüne Regierungslinie vorgibt.

Im Demo-Aufruf wurde der ÖVP hingegen eine "menschenverachtende Politik" attestiert, und das soll nach Meinung der Veranstalter auch personelle Konsequenzen haben. Bei bisherigen Misstrauensanträgen gegen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) haben die Grünen freilich nie mitgestimmt, zumal damit das Ende der Koalition besiegelt wäre. Das gilt auch für die sieben Wiener Grünen-Abgeordneten, die rein rechnerisch mit der Opposition für Nehammers "Absetzung" durch den Nationalrat sorgen könnten.

Sujet zur Demo, organisiert von der Jungen Generation der SPÖ. Auch die Wiener Grünen unterstützen die Veranstaltung, wollen aber nicht dazu aufrufen.
Foto: Posting Junge Generation SPÖ

Im Büro von Vizekanzler und Bundesparteichef Werner Kogler wollte man sich zur Demo nicht äußern, nur so viel: "Die Unterstützung ist eine Angelegenheit und Entscheidung der Wiener Grünen." Diese wiederum erklären, dass man sich seit jeher für Menschenrechte und humane Politik engagiere. Pikant ist das Ganze auch deshalb, weil erst vergangene Woche die ehemalige Wiener Parteichefin Birgit Hebein bei den Grünen ausgetreten ist, weil die Grünen zu wenig Widerstand gegen den türkisen Kurs leisteten.

Kein Aufruf, aber Rede

Eine allzu offensive Bewerbung der regierungskritischen Demo dürfte aber auch den Wiener Grünen zu brenzlig gewesen sein. Zum STANDARD heißt es jedenfalls, man habe "nicht zur Veranstaltung aufgerufen". Das eigene Logo sei aber am Aufruf abgebildet, weil Berîvan Aslan auf der Demo-Bühne eine Rede halten werde. Aslan war bis 2017 grüne Parlamentarierin, 2019 verpasste sie einen neuerlichen Einzug, weil sie am Bundeskongress nur auf einen hinteren Listenplatz gereiht wurde. Seit 2020 ist sie Abgeordnete im Wiener Landtag.

Ob die Wiener Grünen mit dem Anti-Nehammer-Motto einverstanden sind, wird auf Anfrage mit abstrakten Verweisen umschifft: "Wer die Menschenrechtskonvention infrage stellt, stellt die Grundfesten unseres Europas infrage."

Rote Differenzen

Laut den Demo-Initiatoren von der Jungen Generation wurde das Demo-Sujet vorab mit allen unterstützenden Gruppierungen akkordiert, bevor es publiziert wurde. Nicht bei den Organisationen dabei ist übrigens die Bundes-SPÖ, die sich bisher um die Frage herumgedrückt hat, inwieweit Österreich Afghanen aufnehmen soll. Stattdessen wünscht sich SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner die Errichtung "menschenrechtskonformer Schutzzonen" in den Nachbarländern Afghanistans. Die Junge Generation wollte Kritik an der Mutterpartei vorab "nicht über die Medien ausrichten", aber man werde bei der Demo sehen, dass die roten Sichtweisen durchaus unterschiedlich seien.

Und das wurde tatsächlich dokumentiert. SPÖ-Nationalratsabgeordnete Nurten Yilmaz trat bei der Demo mit einem klaren Aufruf auf, jenen aus Afghanistan zu helfen, die 20 Jahre lang den westlichen Organisationen und Militärs geholfen haben – die Europäer dürften sich jetzt nicht einfach aus dem Staub machen, sagte Yilmaz.

(Conrad Seidl, Theo Anders, 24.8.2021 – der Artikel wurde mit Informationsstand von 19:15 Uhr aktualisiert)