"Beachtet: Ich habe aus zuverlässigen Quellen gehört, dass Antifa-Busse mit knapp 200 Leuten (einheimische Terroristen) vorhaben, Redding zu infiltrieren und dabei womöglich Zerstörung anzurichten. Sie waren gestern noch in Klamath Falls, Oregon, und fahren in der Gegend herum. (…) Dies soll Information sein und keine Angst verbreiten. Ich denke, das ist eine Organisation, die bezahlt wird, um Chaos zu stiften."

Mit diesen Worten warnte ein als Screenshot geteilter Onlinebeitrag vor der angeblich drohenden Ankunft von Linksradikalen in Kalifornien. Auf einem zweiten, pixeligen Bild war ein Wagen zu sehen, auf dem der Schriftzug "Black Lives Matter" stand. Zu diesem Zeitpunkt, Mitte 2020, gingen gerade zehntausende Menschen in den ganzen USA auf die Straße, um gegen die Misshandlung von Afroamerikanern durch die Polizei zu protestieren.

Phantomjagd

Die damalige Chefin der nördlichen Abteilung von Kaliforniens Autobahnpolizei (CHP), Elizabeth Barkley, stieß auf diese beiden Bilder und leitete sie an Kollegen weiter mit der Bitte, der Sache nachzugehen und gegebenenfalls die Kollegen in den Städten entlang der möglichen Route zu informieren.

Es ist nur ein Beispiel dafür, wie Polizeieinheiten Jagd auf Phantome machten. Das geht aus Dokumenten hervor, welche die Transparenz-NGO Property of the People über eine Auskunftsanfrage erhalten und dem "Guardian" übermittelt hat.

Die "Warnmeldung", die sich innerhalb der kalifornischen Polizei verbreitete.
Foto: Facebook/Screenshot

90 Minuten nachdem Barkley die Screenshots verschickt hatte, teilte sie ein hochrangiger CHP-Beamter mit seinen Kollegen. Es sei anzunehmen, dass diese Busse in der Gegend herumfuhren und nach "Events" suchten, denen die Passagiere sich anschließen könnten, potenziell um Probleme zu machen. Eine Viertelstunde später erwartete man bereits, dass die Busse wohl bald den Ort Redding ansteuern werden. Die Alarmzentrale der Autobahnpolizei war bereits informiert.

Kurz darauf startete man die Luftüberwachung über der Autobahn mit dem Ziel, Antifa-Busse zu finden. Doch die Busse gab es nie. Die Behauptungen waren frei erfunden. Die Polizei war auf Fake-News hereingefallen – und das zu einem Zeitpunkt, an dem längst Factchecks kursierten, welche die Behauptungen über Busse voller linker Krawallmacher widerlegten.

Eines der Fotos, die angebliche Antifa-Busse zeigen sollen. Die Aufschrift stellte sich schnell als Bildmanipulation heraus.
Foto: Twitter/Screenshot

Hartnäckige Gerüchte

Ausgangspunkt waren mitunter Konten auf sozialen Medien, die sich als "Antifa" oder Unterstützer der Black-Lives-Matter-Bewegung ausgaben, aber letztlich False-Flag-Operationen von Rechtsradikalen waren. Ein später von Twitter den europäischen "Identitären" zugeordnetes Konto etwa streute die Falschinformation, dass Antifa-Aktivisten in weißen Vierteln von Washington Aufruhr starten wollten, um sich dort "zu holen, was uns gehört".

Bei einigen Polizeivertretern hielten sich diese Gerüchte hartnäckig, ergänzt "Gizmodo". Über eine Woche lang warnte etwa der Sheriff von Humboldt County (Kalifornien) immer wieder öffentlich vor Antifa-Bussen, ehe er die Schuld auf die CHP schob. In seinen Stellungnahmen hatte er allerdings auch davon gesprochen, dass die Ankunft eines solchen Busses in Redding "bestätigt" sei, was aber gar nicht aus den Meldungen der CHP hervorgeht.

Die Autobahnpolizei versucht wiederum zu beschwichtigen. Über den genauen Umfang der luftgestützten Suche nach den Bussen gibt man zwar keine Auskunft, verrät aber, dass diese nur zwölf Minuten gedauert habe.

Auch mit solchen plumpen Aufhängern wurde versucht, BLM-Proteste zu delegitimieren, indem man den Teilnehmern unterstellte, dafür bezahlt zu werden.
Foto: Twitter/Screenshot

Mangelnde Nachrichtenkompetenz

Teilweise hatten die Falschmeldungen über angebliche Antifa-Bedrohungen – solche wurden teilweise auch vom damaligen Präsidenten Donald Trump und hochrangigen Politikern weiterverbreitet – auch andere reale Konsequenzen und riefen etwa rechte Milizen auf den Plan, die durch Nachbarschaften patrouillierten, was auch zu Zwischenfällen führte.

In Nordkalifornien fand ein CHP-Beamter in einer Mail lobende Worte für Leute, die mit Waffen und blauen Armbändern ausgerückt waren, um ihre Stadt vor den erwarteten Bussen zu schützen. Im Bundesstaat Oregon errichteten solche Milizen Straßensperren, um zu verhindern, dass angebliche Antifa-Brandstifter Waldbrände auslösen. Und in Washington wurde eine multiethnische Familie, die sich auf einem Campingausflug befand, stundenlang von Bewaffneten drangsaliert, die sie der Mitgliedschaft bei der "Antifa" beschuldigten. Dabei soll sogar jemand Bäume entlang der Straße gefällt haben, um sie an der Abreise zu hindern.

Property of the People wie auch Experten hinterfragen aufgrund solcher Vorfälle die Medienkompetenz und Einstellung der Polizei. Ein leitender Polizist im Sheriff-Department von Humboldt County verschickte wenige Monate später Unterlagen an die Mitarbeiter, in denen er vor "Anonymous, Antifa und BLM" warnte, die Beamten instruierte, stets "bewaffnet und bereit" und "paranoid" zu sein, zu Hause mit ihrer eigenen Waffe zu üben und sich darauf vorzubereiten, einmal "zum Opfer zu werden". Vida Johnson, Rechtsprofessor an der Georgia University, ortet darin eine "selbstzentrierte Weltsicht", in der man sich mehr um die eigene Sicherheit als um die der Öffentlichkeit sorge.

Michael German, Mitarbeiter des Brennan Center und ehemaliger FBI-Agent, findet, dass solche Mails einen Einblick in "durchdringende Ideologien" innerhalb der Polizei geben. Immer wieder hätten Polizeiabteilungen übertriebene Warnungen vor BLM geteilt, aber tatsächliche Gefahren wie rechte Extremisten heruntergespielt. "Während etwas, das Polizisten umbringt, nicht als Problem behandelt wird, behandelt man eine eingebildete Bedrohung so, als wäre sie real." (gpi, 25.8.2021)