Wildkatzen sehen getigerten Hauskatzen sehr ähnlich, manchmal zeugen sie mit diesen sogar Nachwuchs.

Foto: Imago / Blickwinkel / S. Meyers

Das Video wird pausiert und herangezoomt, eine nächtliche Spaziergängerin ist gefasst. Jetzt muss ein Experte vor Ort Haarproben sammeln und diese zur DNA-Analyse ins Labor einschicken, um ihre Identität zu bestätigen. Bei diesem Vorgehen handelt es sich diesmal nicht um das Aufspüren einer kriminellen Person: Forscher sind einer Europäischen Wildkatze auf der Spur.

Warum erinnert die Suche nach den possierlichen Tieren entfernt an eine Folge CSI? Erst einmal, weil die Waldbewohner sehr scheu sind und am liebsten fernab des menschlichen Einflusses leben. Hinzu kommt, dass sie sich in freier Wildbahn selbst für Spezialisten kaum von getigerten Hauskatzen unterscheiden lassen – sie sind im Durchschnitt massiger und haben längere Beine, was auf die Schnelle nur schwierig auszumachen ist.

Andererseits sind die Wildkatzen gerade in Österreich noch eine Rarität. Erst seit dem vergangenen Herbst ist klar, dass es die seit Jahrzehnten hierzulande als ausgestorben geltende Wildkatze wieder gibt: Kot und Haare, die in der Wachau gefunden wurden, stellten sich im Rahmen genetischer Untersuchungen zweifelsfrei als Hinterlassenschaften von Felis silvestris heraus.

Fünf Individuen

Dort konnten mindestens fünf Individuen nachgewiesen werden, und auch aus dem Nationalpark Thayatal, der nur 75 Kilometer von der Wachau entfernt ist, gibt es mittlerweile gesicherte Nachweise.

Chancen, einer Wildkatze in freier Wildbahn zu begegnen, hat man kaum, selbst wenn man sich so intensiv mit der Art beschäftigt wie Christine Sonvilla. Die Biologin und Fotografin ist Autorin des Buchs "Europas kleine Tiger", das kürzlich im Residenz-Verlag erschienen ist.

Auch die zahlreichen Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die sie für ihr Buch interviewt und – sofern pandemiebedingt möglich – auch getroffen hat, sind in erster Linie auf indirekte Nachweise wie eben Haare oder Kot angewiesen. Bilder aus Fotofallen liefern gute Hinweise dafür, wo genauere Nachforschungen sinnvoll sein könnten, müssen aber für gewöhnlich durch Gentests abgesichert werden.

Sozialer als gedacht

In ihrem Buch nimmt Sonvilla ihr Publikum mit auf ihre eigene Entdeckungsreise in Sachen Wildkatze. Dazu gehört eine kleine Sammlung eindrucksvoller Bilder, die zum Teil von der Autorin und ihrem Partner Marc Graf stammen und die über die mangelnden Möglichkeiten eigener Begegnungen mit den Tieren hinwegtrösten.

Daneben informiert sie – ohne Jargon und gut nachvollziehbar – über den aktuellen Wissensstand zu Felis silvestris. So erfahren wir etwa, dass sich die Art als deutlich sozialer herausgestellt hat als bislang angenommen. Unter manchen Umständen lassen sich die wilden Tiere sogar mit domestizierten ein. Mit Hauskatzen sind sie übrigens verwandt, aber sie sind definitiv nicht ihre Vorfahren.

Übernutzte und strukturarme Landschaft

Ein eigenes Kapitel widmet Sonvilla der Frage, wann es sinnvoll ist, eine vermeintlich verwaiste Jungkatze mit nach Hause zu nehmen. Das dürfte eher ein Thema für die deutsche Leserschaft sein: Bei uns gibt es nicht genügend Exemplare, um in die Verlegenheit zu kommen. Interessant zu lesen ist es trotzdem – und wer weiß, vielleicht brauchen wir diese Information eines Tages auch in Österreich.

Die Problematik übernutzter und strukturarmer Landschaften hingegen geht uns hierzulande genauso an – ebenso wie der Versuch, durch grüne Korridore Abhilfe zu schaffen. Davon profitieren neben der Wildkatze auch viele andere Arten. Und damit wäre es wieder wahrscheinlicher, die wilden Samtpfoten in der Natur anzutreffen. (Susanne Strnadl, 29.8.2021)