Staatsanwalt Gerd Hermann (rechts) wirft Noureddine N. vor, am 23. Februar eine 28-Jährige ermordet zu haben. Der Angeklagte gibt nur zu, seine Freundin zuvor am Körper verletzt zu haben, mit ihrem Tod will er nichts zu tun haben.

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Wien – "Sie hat früher nicht getrunken. Sie hatte Pläne und Träume." So beschreibt der Stiefvater jene 28-Jährige, die in den frühen Morgenstunden des 23. Februars in ihrer Wohnung in Wien-Favoriten ermordet wurde. Laut Anklage vom ein Jahr älteren Noureddine N., ihrem Freund, der sie gewürgt, geschlagen, in den Unterbauch gestochen und ihr ein Plastiksackerl über den Kopf gezogen haben soll. Nachdem er sie bereits wenige Stunden zuvor attackiert und so verletzt hatte, dass sie im Spital behandelt werden musste.

Zu letzterer Körperverletzung bekennt N. sich schuldig, den Mordvorwurf bestreitet er kategorisch. Staatsanwalt Gerd Hermann beschreibt den Angeklagten als "Problemkind". Zwischen 2013 und 2017 erhielt der in Wien geborene Österreicher fünf Vorstrafen. Bei vier ging es um körperliche Gewalt – alle Vorverurteilungen wurden bedingt ausgesprochen.

Späteres Opfer widerrief Aussage

Auch 2019 saß N. vor Gericht. Das spätere Opfer hatte ihn wegen Körperverletzung angezeigt. Doch die Frau, die den Angeklagten im selben Jahr kennengelernt hatte, widerrief ihre Aussage, N. wurde freigesprochen, die Frau später wegen Verleumdung und falscher Zeugenaussage verurteilt. Dennoch erstellte die Kriminalpolizei eine Gefährdungsanalyse für den internen Gebrauch. Das Ergebnis: Es bestehe ein hohes Risiko, dass N. seine Partnerin durch Würgen verletzen oder töten würde.

Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger ficht das nicht an. Sein Mandant habe "ein bisserl ein getrübtes Vorleben", gesteht er vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Wolfgang Etl zu, Beweis für N.s Schuld sei das aber keiner. Das Paar habe in der Nacht gemeinsam Alkohol getrunken, es sei zu einem Streit gekommen, bei dem die Frau verletzt wurde. Danach habe sein Mandant die Wohnung der Frau verlassen. Als er einige Stunden später zurückkehrte, sei die Tür offen gestanden und das Opfer leblos auf dem Bett gelegen.

Angebliche Wiederbelebungsversuche

N. habe noch Wiederbelebungsmaßnahmen versucht, so sei seine DNA auf den Hals und das Plastiksackerl gekommen, ist sich der Verteidiger sicher. Er appelliert an die Laienrichterinnen und -richter, aufmerksam zuzuhören. "Weil es um ein junges Leben geht", sagt Arbacher-Stöger – er meint das seines Mandanten.

"Wer hat die Frau umgebracht?", lautet die erste Frage des Vorsitzenden an den Angeklagten. "Das ist eine sehr gute Frage", antwortet dieser. Das Opfer habe "sehr viele Freunde und Bekannte" gehabt, behauptet er, vielleicht sei es einer von denen gewesen. Einerseits beschreibt der Geschiedene, gegen den noch immer ein Kontaktverbot zu seiner Ex-Frau besteht, er habe mit dem Mordopfer "eine offene Beziehung" gehabt. Andererseits sei die Frau "ein bisschen eifersüchtig gewesen".

Eine Flasche Wodka, eine Flasche Jägermeister

In der Nacht vor der Tat habe man gemeinsam eine Flasche Wodka und eine große Flasche Jägermeister konsumiert, dann sei es zu einem Streit gekommen: Die Frau sagte der Polizei, die sie nach N.s Abgang rief, es sei um den Teufel, Engel, Gott und allgemein Religion gegangen. Er habe Gläser zerschmissen, sie mit einem Schuh geschlagen, gewürgt und ihr einen Stoß versetzt, sodass sie hinfiel und sich an den Glasscherben eine blutende Schnittverletzung an der Hand zuzog, die im Krankenhaus behandelt werden musste. Die Exekutive versuchte N. ausfindig zu machen, fand ihn aber nicht.

Dem Taxifahrer, der sie aus dem Spital nach Hause brachte, erzählte die Frau, sie habe Angst vor ihrem Freund – und gab dem Mann ihre Handynummer. Der erkundigte sich um 2.30 Uhr schriftlich, ob alles in Ordnung sein, als Antwort bekam er: "Gott ist groß, ich bin alleine." Eine weitere Nachricht zehn Minuten später blieb unbeantwortet.

"Sie ist tot, ich bin schuld"

Sicher ist, dass N. gegen 5.30 Uhr zum zwei Stockwerke tiefer wohnenden Stiefvater des Opfers ging und ihm sagte, die Frau "sei gestorben", wie der Stiefvater als Zeuge berichtet. Die beiden Männer gingen zum Tatort, der Stiefvater rief die Polizei. "Hat der Angeklagte irgendwann gesagt, er habe sie nicht umgebracht?", will Beisitzer Andreas Böhm vom Zeugen wissen. "Nein", lautet die Antwort. N. habe zu ihm aber auch nicht gesagt, dass er sie umgebracht habe, bestätigt der Zeuge auf Nachfrage des Verteidigers. Allerdings habe er gehört, was auch die Polizisten in einem Amtsvermerk festgehalten haben: "Sie ist tot, ich bin schuld", hat der Angeklagte in Gegenwart der Beamten gesagt.

Er selbst habe blaue Flecken und ein blaues Auge bei seiner Stieftochter gesehen, einmal habe sie ihm von einer Schnittwunde am Rücken erzählt. "Warum hat sie diese Gewaltbeziehung nicht beendet?", fragt Vorsitzender Etl den Zeugen. "Sie hatte eine panische Angst vor Einsamkeit", erklärt dieser. Auch in der Gefährdungsanalyse der Polizei, aus der Privatbeteiligtenvertreterin Sonja Aziz zitiert, ist vom "Wunsch nach Zweisamkeit" und "Verdrängungsproblematik" zu lesen.

Bereits in der Jugend auffällig

Die Mutter des Angeklagten macht von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch, was zur Folge hat, dass der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann bei der Erstattung seines Gutachtens ein äußerst verstörendes Detail aus der Jugend des Angeklagten nicht verwenden darf, da ihm die Mutter davon erzählt hatte.

Das, was Hofmann erzählt, ist dennoch eindeutig. N. habe bereits in der Schule "hohe Verhaltensauffälligkeiten" gezeigt und früh begonnen, Alkohol und illegale Drogen zu konsumieren. Der Experte ortet bei dem Angeklagten "ausgeprägten Narzissmus", er sehe sich meistens als Opfer.

Die "Instabilität Richtung aggressiv-impulsives Verhalten" sei Ausdruck einer "schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung", Hofmann sieht aber keine Anzeichen für eine Zurechnungsunfähigkeit. Allerdings: Wenn N. die angeklagte Tat begangen habe, sollte er wegen "geistig-seelischer Abartigkeit höheren Grades" in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht werden, da er gefährlich sei, erklärt der Psychiater dem Gericht.

Die Geschworenen folgen dieser Empfehlung und verurteilen N. mit sieben zu einer Stimme, nicht rechtskräftig, wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Zusätzlich wird seine Einweisung verfügt. (Michael Möseneder, 24.8.2021)