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Wie die Stadt Visegrád in der Vergangenheit von Hochwasser betroffen war, wird von ungarischen Archäologen erforscht.

Foto: Michael Runkel / robertharding / picturedesk.com

In Kriegszeiten ist der Schuldige schnell gefunden: An jedem Unheil ist der Feind schuld. So notierte Reinhard Lubenau, ein Begleiter des österreichischen Botschafters, 1587 nach einem Besuch der Ruinen von Visegrád: "Von den Turcken zerstöret." Mit dieser Einschätzung habe sich der Königsberger Reisende aber vertan, meint József Laszlovszky vom Institut für Mittelalterforschung der Central European University in Budapest, der den Ort im Norden Ungarns seit längerem archäologisch erforscht.

Zwar sei der türkische Einmarsch auch hier nicht spurlos vorübergegangen, aber eine vollständige Zerstörung hatten die Invasoren nicht im Sinn: "Weder die österreichische Armee 1540 noch die Osmanen 1543 bis 1544 hatten irgendeinen Grund, Klöster oder andere Häuser in der Stadt anzugreifen. Ihr Ziel war es, militärische Einrichtungen zu erobern — etwa das untere Schloss inklusive des Salomon-Turms am Fluss."

Für die Ursachen des Untergangs der einstigen Residenz mehrerer ungarischer Könige muss man daher tiefer graben: So stießen Laszlovszky und sein Team auch auf gravierende Schäden in unteren Gebäudeteilen und Erdschichten — also dort, wo die türkischen Kanonen gar nicht hingelangen konnten.

Zerstörung durch Naturgewalt

Die Verwerfungen deuten darauf hin, dass Visegrád Opfer regelmäßiger Überflutungen der Donau wurde, die zu jener Zeit vermehrt auftraten. Davon zeugen zudem sichtbare Umbauten: "Im Kloster wurde ein Weinkeller zugefüllt und ein neuer weitaus höher in den Fels eines hinteren Hügels geschlagen. Das war ein großes Investment für eine solche Institution."

Die vielen aufgeweichten Böden in der Umgebung waren wohl auch ein Grund, warum eine weitere Naturkatastrophe der Stadt 1541 den Rest gab: Die archäologische Untersuchung im Abgleich mit Zeitzeugenberichten aus jener Zeit ließen Laszlovszky zu dem Schluss kommen, dass große Teile der Stadt in diesem Jahr durch ein Erdbeben zerstört wurden.

Breiter Blick auf Flutentwicklung

Wie Menschen in der Vergangenheit versuchten, die Natur zu bändigen, hat Laszlovszky nicht nur in Visegrád untersucht: "Die Archäologie interessiert sich immer mehr für Landschaften und Umweltthemen: Die Interaktion zwischen Natur und Mensch ist dabei die wichtigste Frage. Da landet man schnell auch bei der Frage des Wassermanagements."

So wertete er bereits vor einigen Jahren in Kooperation mit Andrea Kiss vom Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie der TU Wien archäologische Untersuchungen aus der pannonischen Tiefebene aus, wodurch er einen viel breiteren Blick auf die Flutentwicklung der Donau bekam. Und diese Daten sollte man daher auch für zukünftige Planungen berücksichtigen: "Wir raten daher dazu, dass historische Seismologie ein integraler Bestandteil der ökologischen Bewertung kritischer Infrastruktur sein sollte."

Lehren der Vergangenheit

Aus der Vergangenheit könne man nämlich einiges lernen. So zeigten laut Laszlovszky Computersimulationen nach den großen Donauüberflutungen Anfang der 2000er-Jahre: Die modernen Schutzmaßnahmen hatten in erster Linie auch nur moderne Besiedlungen geschützt, historische Ortsteile seien weniger betroffen gewesen. So haben die Menschen früher wohl bei ihren Planungen einiges richtig gemacht?

"Die letzten zwanzig Jahre gab es zwei bis drei große Überflutungen der Donau: Ist das extrem, ist das ungewöhnlich, ist das normal? Um diese Frage zu beantworten, reicht es nicht, sich nur die vergangenen zweihundert Jahre anzusehen — da sollte man viel weiter zurückblicken. Manche Dinge sind unvermeidbar, aber der Schaden kann reduziert werden."

Die Menschen im Mittelalter haben zwar nicht so präzise Messungen wie heute gehabt, aber die Zeitzeugen beschreiben Wasserstände und Schadensausmaße auf ihre Weise auch recht detailliert. Es ist daher zudem die Aufgabe der Forscher, solche Dokumentationen in die heutige Zeit zu übersetzen.

Verlust von lokalem Wissen

Aber dieses vorhandene historische Wissen werde in heutigen Planungen immer noch zu wenig angewendet. Laszlovszky: "Dieses lokale traditionelle Wissen ging im Zuge der Jahrhunderte, vor allem im Lauf der Industrialisierung, verloren. Es hat sich eingebürgert, immer mit großen Gesamtkonzepten zu planen, anstatt eher einzelne Bereiche jeweils im Blick auf ihre Gegebenheiten zu verbessern."

Natürlich habe in der Vergangenheit auch nicht alles besser funktioniert: So führte zum Beispiel die absichtlich in Kauf genommene Überflutung von Feldern zur Bewässerung häufig auch zu Mückenplagen und damit Krankheitsausbrüchen.

Dennoch ist Laszlovszky davon überzeugt, dass man sich aus früheren Zeiten ein paar Dinge abschauen könnte, um auf die ökologischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu reagieren: "Natürlich ist die Vergangenheit kein Wunderland, und man sollte dort nicht einfach hin zurückkehren wollen. Aber einige grundsätzliche Prinzipien von heute müssen wir wohl auch überdenken." (Johannes Lau, 25.8.2021)