In der Theorie ist das farb- und geruchlose Gas eine Alternative zu fossilen Energien. Praktisch sind vor einer klimaneutralen Anwendung in großem Stil noch mehrere Hürden zu nehmen, die unter anderem am AIT in Wien untersucht werden.

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Ohne Klimaschutz wird die Lebensqualität der Menschen – und unzähliger anderer Arten – in Zukunft drastisch abnehmen. Auf diesen Konsens können sich heute bereits viele Menschen einigen. Dagegen wird noch debattiert, wie die Industrie am besten klimaneutral wird. Wie lässt sich gleichzeitig ökologisch und ökonomisch sinnvoll wirtschaften?

Viele Expertinnen und Experten setzen große Hoffnung in die Verwendung von Wasserstoff. Als vielfach verwendbarer Energieträger hat das geruchlose und ungiftige Gas ein großes Potenzial für einen nachhaltigen Umbau zahlreicher Prozesse in der industriellen Fertigung: Theoretisch ist Wasserstoff eine Alternative zu erheblich emissionsintensiveren Treibstoffen wie Erdgas, Kohle und Öl.

Grauer Wasserstoff

Jedoch werden für seine Erzeugung meist ebendiese fossilen Brennstoffe genutzt. 95 Prozent des derzeit hergestellten Wasserstoffs kommen auf diese Weise zustande und werden als "grau" bezeichnet. "Wasserstoff ist nur dann ‚grün‘, wenn bei der Elektrolyse – also der Spaltung des Wassers in Wasser- und Sauerstoff durch Strom – ausschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen verwendet wird", sagt Stephan Abermann. Er leitet die Competence Unit Energy Conversion & Hydrogen am Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien.

Qualität hat ihren Preis: Grüner Wasserstoff ist aktuell in der Produktion die teurere Variante. Daher greift die Industrie – etwa in der Stahlherstellung – aus wirtschaftlichem Kalkül hauptsächlich zum grauen Wasserstoff. "Unser Fokus liegt deshalb darauf, die gängigen Elektrolysetechnologien in Bezug auf Kosten, Effizienz, Haltbarkeit und Skalierbarkeit zu verbessern", sagt Abermann.

So soll die grüne Alternative mittel- bis langfristig konkurrenzfähig werden gegenüber Wasserstoff aus fossilen Rohstoffen. Erst dann könne man grünen Wasserstoff in großem Stil einsetzen.

Vorbild Photovoltaik

Abermann verweist dabei auf eine Technologie, bei der das bereits eingetreten ist: "Die Preisentwicklung im Bereich der Photovoltaik ist eine riesige Erfolgsgeschichte. Das Gleiche wollen wir mit grünem Wasserstoff schaffen, wobei hier die Wertschöpfung in Europa bleiben sollte." Günstige Photovoltaik wird vor allem in China produziert.

Dazu setzen am AIT zahlreiche Forschende aus fünf Kompetenzeinheiten entlang der gesamten Wertschöpfungskette an. In Experimenten und Simulationen versuchen sie abzuleiten, was die Energieinfrastruktur der Zukunft erfordert. Sie erproben und bewerten verschiedene Systeme. Das Gesamtziel ist eine weitgehende Integration von Wasserstofftechnologien in die öffentliche Energieinfrastruktur und in industrielle Prozesse.

Weniger Edelmetalle

Abermann und sein Team widmen sich mit der Herstellung der Ressource dem Beginn solcher Abläufe. "Insgesamt konzentrieren wir uns auf nachhaltige Materialkonzepte und skalierbare Beschichtungstechnologie." So will man Methoden entwickeln, durch die weniger Edelmetalle verwendet werden – oder man diese gleich vermeiden kann. "Ich gehe aber davon aus, dass es in diesem Bereich in Zukunft zusätzlich ein hohes Maß an Recycling geben wird", sagt Abermann.

Zudem untersucht er mit seinem Team die elektrolytische Wasserspaltung durch mit Photovoltaik erzeugten Strom. Die Verknüpfung von Lichtenergie und Elektrolyse stehe zwar noch am Anfang, könne aber für sogenannte Insellösungen ein interessanter Ansatz sein. Das heißt, vom Stromnetz entkoppelte Systeme könnten davon profitieren.

Es liegt jedoch nicht nur an den Kosten, dass die ökologische Variante des Wasserstoffs derzeit noch eher selten genutzt wird. Teilweise fehlt es an den entsprechenden Technologien, um auf nachhaltigere Rohstoffe umzusatteln: "In einigen Bereichen gibt es für die vollständige Dekarbonisierung der Industrie – die Abkehr von fossilen Ressourcen – derzeit noch keine seriöse technologische Alternative. Aber grüner Wasserstoff könnte dazu ein Instrument sein."

Wasserstoff auf Schiene

Wie das konkret aussehen kann, zeigt ein Forschungsprojekt, das das AIT mit den Österreichischen Bundesbahnen durchführte. Im Vorjahr testeten die ÖBB auf der Aspangbahn sowie zwischen Wiener Neustadt und Puchberg beziehungsweise Gutenstein den Wasserstoffzug "Coradia iLint" im regulären Fahrgastbetrieb.

Das Ergebnis stellte die Projektpartner zufrieden: Das Fahrzeug hatte auf der topografisch fordernden Strecke keine Probleme und schaffte eine höhere Reichweite als Züge mit Batteriebetrieb.

Die ÖBB erhoffen sich vom Einsatz solcher Technologien einen ab spätestens 2030 CO2-neutralen Betrieb. Die im Experiment gesammelten Daten werden nun evaluiert. Auch hier gibt es wie bei der Nutzung grünen Wasserstoffs noch viele offene Fragen, sagt Abermann: "Wir sind sehr optimistisch. Aber es braucht noch viel Forschung, um das in der Praxis einzusetzen." (Johannes Lau, 25.8.2021)