Reto Bale (rechts) erklärt Bruno Odisio, wie man die Koaxialnadeln fachgerecht so einführt, dass sie millimetergenau um den Tumor positioniert sind und diesen "wegbrutzeln".

Foto: Med Uni Innsbruck / Dave Bullock

Während Reto Bale die Winkel der Koaxialnadeln einstellt, die er gleich in die Leber seines Patienten stechen wird, beobachtet Bruno Odisio jeden einzelnen seiner Handgriffe ganz genau. Routiniert justiert Bale die Zielvorrichtung so lange, bis auf dem Bildschirm vor ihm die virtuelle Zielscheibe grün leuchtet. "Super, now it's perfect", gibt der Innsbrucker Radiologe seinem hochrangigen Lehrling zu verstehen. Odisio ist interventioneller Onkologe und Forschungsdirektor am MD Anderson Cancer Center in Houston, dem größten und renommiertesten Krebszentrum der USA.

Im Video wird die von Reto Bale entwickelte Methode erklärt.
Medizinische Universität Innsbruck

Odisio war im August an der Medizinischen Universität Innsbruck zu Gast, um von Bale zu lernen. Denn die US-Spezialisten wollen die in Innsbruck entwickelte und seit nunmehr 20 Jahren eingesetzte Stereotaktische Radiofrequenzablation (sRFA) künftig ebenfalls anwenden. Für Bale eine Anerkennung seiner Pionierarbeit.

Über 1.000 Patienten und 4.000 Tumore hat er bereits auf diese Weise behandelt. Nicht nur in der Leber, sondern auch bei Knochen-, Nieren- und Lungentumoren sowie Lymphknotenmetastasen setzt er auf das "Wegbrutzeln" mit Nadeln, deren Spitzen elektrisch erhitzt werden.

Beeindruckende Erfolge

Anders als bei der herkömmlichen Radiofrequenzablation, bei der nur eine Nadel verwendet wird, kommen bei der Innsbrucker Methode mehrere zugleich zum Einsatz. Bale hat schon während seiner Studienzeit eine Zielvorrichtung entwickelt, die es mithilfe eines 3D-Navigationsgeräts erlaubt, die Nadeln so zu setzen, dass größere und auch mehrere Tumoren gleichzeitig entfernt werden können.

Der Erfolg gibt ihm recht: Die Rezidivraten – also die Wahrscheinlichkeit, dass es an der behandelten Stelle erneut zu Tumorwachstum kommt – ist weitaus geringer als bei der herkömmlichen Methode. Bei Leberkarzinomen liegt sie überhaupt nur mehr bei drei Prozent.

Auch bei Tumoren über fünf Zentimeter Größe erzielt Bale beachtliche Erfolge. Die Rezidivrate liegt bei 12,5 Prozent. Zum Vergleich: Die konventionelle Radiofrequenzablation wird nur bis zu einer Tumorgröße von drei Zentimetern empfohlen, weil ihre Rezidivrate ab dieser Größe bis zu 70 Prozent beträgt. "Und wir lernen immer noch dazu", sagt Bale in Hinblick auf weitere Verbesserungen seiner Methode.

3D-Navigationssystem

US-Kollege Odisio ist längst Fan von Bales Technik: "Seine Methode ist einzigartig. Vor allem was die Planung der Eingriffe angeht, können wir viel von ihm lernen." Der Amerikaner spricht von der "Vermessung" der Patienten, die in Innsbruck im Vorfeld durchgeführt wird.

Um das zu lernen, blickt er Bale im OP wortwörtlich über die Schulter. Der Patient liegt bereits in Narkose auf dem Behandlungstisch. An seinem Körper werden Marker angebracht, die als Orientierungspunkte für das 3D-Navigationssystem dienen und es dem Arzt ermöglichen, sich über dem auf dem Bildschirm räumlich dargestellten Körper exakt zu bewegen.

Es bleiben kaum Narben

Ist der Tumor weggebrutzelt, wie der aus Vorarlberg stammende leitende Oberarzt für interventionelle Onkologie seine Technik gern beschreibt, wird per Computertomografie kontrolliert, ob die Behandlung erfolgreich war und das Tumorgewebe entfernt werden konnte.

Im Gegensatz zu chirurgischen Eingriffen ist Bales Methode weniger belastend: "Nach der minimalinvasiven sRFA bleiben nur winzige Narben zurück, und viele Patienten können das Krankenhaus bereits nach einem Tag wieder verlassen."

Geht es nach Odisio, so wird künftig jede Leber-Ablation im MD Anderson Center auf Bales Weise durchgeführt. Dazu bedarf es aber noch einiger Vorbereitungen. Im Oktober kommt erneut ein Team aus Texas nach Tirol, um bei Bale Praxisunterricht zu nehmen.

Im Dezember, so der Plan, wird Bale selbst nach Houston fliegen, um dort zusammen mit den US-Kollegen Eingriffe durchzuführen. Daneben sind noch Adaptionen der Hard- und Software nötig, um diese in den USA einsetzen zu können.

In Österreich wird Bales Methode mittlerweile im Ordensklinikum Linz und in der Klinik Wien-Donaustadt angewendet. Der passionierte Arzt hofft, dass dies erst der Anfang ist: "20 Jahre hat es kaum jemanden interessiert. Ich hoffe, dass es jetzt durch die Decke geht." (Steffen Arora, 26.8.2021)