Hörsturz mit nachdenklichen Gitarren: Deafheaven.

Foto: Sargent House

Während der letzten zehn Jahre erarbeiteten sich Deafheaven einen Ruf als Band, die zwei scheinbar unvereinbare Stile zu verbinden verstand. Immerhin behauptete die fünfköpfige Gruppe aus San Francisco ihr Alleinstellungsmerkmal durch eine oft krude Verbindung aus harschem Black Metal mit träumerischem Shoegaze-Pop.

Man muss sich dabei eine wilde Mischung aus entfesselten "Blast Beats" und schrillem nordischem Kirchenabbrenner- und Endzeitgekeife mit nachdenklichen Gitarrenzupfereien vorstellen. Es trug der Band den Vorwurf ein, "Studentenmusik" oder "Metal mit Matura" zu produzieren. Klavier kam dann auch noch dazu. Zum Teufel auch! Das interessanterweise in völlig artfremdem Pink gehaltene Album Sunbather von 2013 stellte diesbezüglich einen verstörenden wie stimmigen frühen Höhepunkt dar.

Mit dem neuen Album Infinite Granite (Sargent House) ist nun endlich fast alles ganz anders geworden. Deafheaven haben sich weitgehend sämtlicher Metaleinflüsse entledigt und schielen mehr ins Großbritannien der 1990er-Jahre als nach Norwegen zur selben Zeit. Damals entwarfen Bands wie My Bloody Valentine oder Slowdive zwar ebenfalls bei tüchtiger Lautstärke und jenseits den Körper beruhigender Bassfrequenzen eine Musik, die vor allem auch live einen Hörsturz nicht nur bei den Musikern entschieden förderte. Stichwort: Süßer die Ohren nie klingeln.

Sargent House

Wie die abschließenden neun Minuten des Stücks Mombasa nun zeigen, besteht aber am Ende doch noch Hoffnung, dass man sich bei Deafheaven auch weiterhin bis zum Hörsturz das Kurzzeitgedächtnis aus dem Leib headbangen kann. Und auch das seltene Gekeife von Frontmann George Clarke erinnert noch an die guten alten Zeiten fehlgeleiteter männlicher Energie. Allerdings vertraut man 2021 verstärkt darauf, das Tempo und die Dringlichkeit aus den Songs herauszunehmen und etwa in Shellstar oder Lament For Wasps ein wenig zum – Ja, was?! – Mitsingen und Schunkeln einzuladen. George Clarke spricht, singt, kreischt mitunter sogar ohne Effekte auf der Stimme.

Deafheaven - Topic

Die Altersmilde und die neue Abgeklärtheit werden viele alte Fans verstimmen. Man sollte die neuentdeckte Feinfühligkeit aber nicht mit Schlaffheit verwechseln. Die Vulkane sind immer noch tätig. Ein weiser Mann hat einmal gesagt, Lärm sei immer das Geräusch der anderen. So gesehen befinden sich Deafheaven auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Allerdings anders. (Christian Schachinger, 25.8.2021)