Im Gastkommentar weist Verwaltungsrechtler Gerhard Strejcek darauf hin, dass der Bund die Landesplanung berücksichtigen muss.

Ohne Lobautunnel droht die Seestadt zu einer "Schlafstadt" zu mutieren, warnt die Wiener Verkehrsstadträtin Ulli Sima.
Foto: Toppress / Karl Schöndorfer

Die Stadt Wien hat mit der Seestadt Aspern einen neuen Stadtteil aus dem Boden gestampft, der knapp vor der Fertigstellung eines Anschlusses an ein höherrangiges Verkehrsnetz, die sogenannte Stadtstraße, harrt. Es mag in Aspern planerisch manches suboptimal gelaufen sein – Stichwort: Bodenversiegelung, Hitzepol –, doch all diese Aspekte sind vor der endgültigen Oberflächengestaltung noch verbesserbar. Vor allem haben es Bezirk und Stadt selbst in der Hand, die Flächenwidmungen, die auch großzügige Grün- und Wasserflächen vorsehen, optimal umzusetzen, und sie bedürfen dazu keines Zutuns seitens des Bundes.

In den letzten Monaten wurde zu Recht gemahnt, dass in Österreich – vor allem auf dem Land – verschwenderisch mit dem Boden umgegangen wird. Nun hat die Stadt Wien genau diese Mahnung berücksichtigt. Statt Siedlungen mit Einfamilienhäusern in offener Bauweise, wie es sie auch im Flächenbezirk Donaustadt seit jeher gibt, zu ermöglichen, war die Grundidee des Megaprojekts Seestadt eine andere: Es sollte eine moderne, nach ökologischen Gesichtspunkten errichtete und verdichtete Siedlung auf einem der großen, freien Gründe der Großstadt entstehen.

Wiener Dilemma

Dieses Leitziel erscheint ökologisch einwandfrei, zudem erfüllt die Seestadt künftig auch eine sozial bedeutsame Rolle. Im Lichte der hohen Nachfrage nach leistbaren Neubauwohnungen war die Vorgangsweise der Stadt Wien sinnvoll. Auch was den öffentlichen Verkehr anlangt, konnte an den bereits vorhandenen U-Bahn-Anschluss der U2 angeknüpft werden. Die Trasse der U2 war in der Errichtung um ein Vielfaches (pro Längenmaß) günstiger als die für die Anrainer belastende und teure Neuerrichtung des innerstädtischen U-Bahn-Kreuzes U2/U5 beim Rathaus.

Durch das von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler verfügte Moratorium entsteht auch für diesen neuen Stadtteil eine Zwangslage, da es die Stadt nicht in der Hand hat, Ersatz zu schaffen. Raumordnung ist zwar Landessache, und die Flächenwidmung wird im Gemeinderat beschlossen. In Wien gibt, anders als in den acht anderen Ländern, die Bauordnung selbst Planungsziele, Widmungskategorien sowie Verfahrensregeln vor, die eingehalten wurden. Doch die höherrangigen Planungen der Verkehrswege wie Eisenbahnhochleistungsstrecken, Autobahnen und Schnellstraßen sowie Luftfahrt fallen allesamt in die Fachplanungskompetenz des Bundes. Damit entsteht im Konfliktfall ein Dilemma, das der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in anderen Fällen wie einen gordischen Knoten zu durchschlagen hatte.

Bund gegen Land

Nun entsteht auch im Fall Aspern ein Planungs- und Normenkonflikt. Land beziehungsweise Stadt sagen Ja, der Bund sagt nun aber Nein und schiebt seinen Part aus allgemeinen Klimaschutzerwägungen hinaus. Das klingt zunächst nachvollziehbar, bewirkt aber, wie im Fall Semmering-Basistunnel, wo der landesgesetzliche Naturschutz eine Rolle spielte, dass ein Großprojekt für lange Zeit steht oder wie im Fall Aspern nur suboptimal verwirklicht werden kann.

Wenn aber eine Gebietskörperschaft Planung und Maßnahmen der anderen konterkariert, dann kann dies zur Aufhebung der "hemmenden" Maßnahme, zum Beispiel einer Planungsverordnung, führen. Der VfGH hat dies erstmals in einem Fall zu klären gehabt, in dem das allgemeine Betretungsrecht der Wälder durch überschießende jagdrechtliche Einschränkungen beeinträchtigt wurde. Seither wurde das Jagd- und Forstrechtserkenntnis zu einer Leitlinie und einem Präjudiz dafür, dass Bund und Länder einander wechselseitig achten und die jeweiligen Planungen und Maßnahmen berücksichtigen müssen.

"Der Bund darf nicht auf die Verzögerung eines Projekts dringen."

Das Projekt Seestadt ist nahe vor der Fertigstellung und wird nun durch ein Planungsmoratorium der Klimaschutzministerin von einer wichtigen Bundesplanung "abgekoppelt". Dass die Donauquerung statt durch den bereits akkordierten und auch von der Stadträtin Maria Vassilakou evaluierten Lobautunnel weiter im Osten erfolgen soll, ist aus planerischer Sicht eine denkbare Alternative. Aber sie sollte den zuständigen Expertinnen und Experten überlassen bleiben.

Die Planungen der Asfinag waren bereits auf eine Donauquerung und Nordostumfahrung abgestimmt, ausgegliederte Rechtsträger wurden deshalb gegründet, damit eine Verwaltungsaufgabe effizienter, unabhängig von tagespolitischen Einflüssen und Ad-hoc-Schwenks erfüllt wird. Im Fall der Asfinag hat der VfGH klargestellt, dass diese den gesamten Verwaltungsbereich des höherrangigen Straßenverkehrs hinsichtlich Finanzierung, Planung und Mautbewirtschaftung innehat. Sie kann sogar, wie Bund und Länder, selbst im Finanzausgleich als Prozesspartei auftreten.

Unzulässiges Moratorium

Ob ministerielle Weisungen an ausgegliederte Rechtsträger wie die Asfinag zulässig sind, ist höchst fraglich, der Vorstand agiert nach gesetzlichen Vorgaben frei, und selbst die vom Bund nominierten Aufsichtsräte können nur den Standpunkt der Ministerin "vortragen". Daher kommt auch ein Gutachten, das die Wiener Wirtschaftskammer anfertigen ließ, zum Schluss, das Moratorium sei unzulässig.

Aus Sicht des Verwaltungsrechts dürfen Bundesplanungen Landesplanungen oder bereits akkordierte Projekte nicht konterkarieren. Das gebietet das vom VfGH herausgestellte Berücksichtigungsgebot im Bundesstaat. Somit darf der Bund als Gebietskörperschaft auch nicht auf die Verzögerung oder gar Vernichtung eines Projekts dringen, das zwingend zum Anschluss und zur Versorgung eines urbanen Quartiers der Stadt Wien im Bezirk Donaustadt notwendig ist. Im Fall der nunmehr "aufgeschobenen" Stadtstraße könnte auch dieses Verfassungsprinzip im Streitfall herangezogen werden. (Gerhard Strejcek, 25.8.2021)