Ein Ritter der zögerlichen Gestalt: Dev Patel als Gawain in David Lowerys "The Green Knight".

Foto: Eric Zachanowich/A24

Unter den Ritter der Tafelrunde wird Gawain als der Gütige geführt. Er ist der Lieblingsneffe von König Artus, und viele wählten ihn später deshalb zum Vorbild, weil ihn besonders viel Sagenhaftes umgibt. In The Green Knight genügt ihm schon eine einzige Tat, um zur Berühmtheit vom Hörensagen zu werden. Die kleinen Handpuppentheater auf den Straßen spielen das Spektakel nonstop nach. Ein gezielter Schlag mit dem Schwert, und der Kopf seines Gegenübers ist ab: Der Grüne Ritter scheint geschlagen (ist er freilich noch lange nicht).

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David Lowerys The Green Knight beginnt mit diesem Heldenstück, allerdings wird es uns mehr wie ein mysteriöses Initiationsritual präsentiert. Der moribunde Artus will zum Weihnachtstag etwas geboten bekommen, da erscheint der Grüne Ritter (eindrücklich animiert wie eine lebendig gewordene Wurzel) wie gerufen in Camelot und fordert die Legenden auf, sich mit ihm zu messen. Nur Gawain (Dev Patel) pirscht vor, weil er der naivste der Runde ist. Anders als die Ritter um ihn herum hat er noch nichts zu erzählen. Anders als diese muss er sich seine Meriten erst verdienen.

Dass zwischen der eigentlichen Tat und deren Nacherzählung viel Raum für Spekulation liegt, davon weiß dieses so ungewöhnliche Ritterdrama einiges zu berichten. Im modernen Verständnis müsste man von einem postheroischen Helden sprechen, der auf seiner Queste nicht nur mit Gefahren und Versuchungen zu kämpfen hat, sondern mit seinem eigenen Selbstverständnis ringt. Warum überhaupt nimmt er die Herausforderung des Grünen Ritters an, der ihn in einem Jahr in der Grünen Kapelle wiedersehen will? Genügt "goodness" nicht, wie Gawains Geliebte Essel (Alicia Vikander) diesem noch im Zuge eines Heiratsantrags zuraunt, braucht es wirklich auch "greatness"? Man ahnt schon, wie das gemeint ist.

Überkommener Großmut

Ritterliche Tugenden stehen in David Lowerys Lesart der Legende als überkommene Vorstellungen männlichen Großmuts mithin unter Verdacht. Mit dieser Skepsis steht der Film des US-Regisseurs ganz auf der Höhe der Zeit: In seiner Version der Queste, die dem Vorlagenstoff aus dem 14. Jahrhundert erstaunlich nahekommt, muss sich der Held erst einmal darüber klar werden, wer er sein will – und welche Ideale er vertreten will.

Das bedeutet allerdings nicht, dass The Green Knight auf die wildromantischen Qualitäten der Saga, deren Verquickung von kosmischen und individuellen Fragen vergisst, ganz im Gegenteil. Schon mit A Ghost Story, den Lowery außerhalb des Studiosystems realisiert hat, nahm er den übersinnlichen Teil der Geschichte beim Wort und ließ das Gespenst vollkommen unironisch in klassischer Leintuchmontur auftreten. Ähnlich ist es hier, Lowery konnte, unterstützt vom cinephilen Autorenlabel A24 (und verzögert durch Corona), recht ungestört seiner eigenen Vision der Saga folgen.

Bilder, die Welten verbinden

Es gibt etliche staunenmachende Szenen, die sich nicht eindeutig auflösen lassen. In einer 360-Grad-Kamerabewegung durchbricht der Film die Grenzen zwischen Leben und Tod, der von Räubern überwältigte Gawain liegt gefesselt auf dem Waldboden, scheint zum Skelett zu werden, nur um sich im nächsten Moment wieder eigenmächtig zu befreien. An einer anderen Stelle begegnet er einer Frau, die behauptet, ihr von einem Vergewaltiger abgetrennter Kopf liege in der Tiefe eines nebligen Teichs verborgen; ihr Retter Gawain wird in dessen Tiefe einen Augenblick lang auch ins Universum abtauchen. The Green Knight benutzt im Grunde keine Metaphern, sondern löst sie alle auf, indem er seine Bilder einer einzigen Welt (und Vorstellung) zuordnet.

Lowery schreckt auch nicht davor zurück, nahe an den Kitsch heranzumanövrieren, weil er das Pathos des Erhabenen sucht. Der Film schwelgt in seinen Bildern und will doch Perspektiven umkehren. Einmal lässt er an der Spitze eines Hügels eine riesige Hand ruhen, die sich als einem Giganten zugehörig entpuppt. Oder ein Fuchs bietet sich als Lotse an. Auf der anderen, weniger ruhmreichen Seite steht die Verwüstung aus menschlicher Hand, ganze Hänge aus gerodeten Wäldern oder Felder, in denen die Toten einer Schlacht wie Fallobst herumliegen.

Die digitalen Mittel stehen hier im Dienste der Verzauberung und Betörung, einer Poetik, die verführen will und doch sehr gegenwärtig bleibt. Gawain muss lernen, die Zeichen in Verbindung zu setzen. Die Zögerlichkeit des Helden findet in einer Erzählhaltung ihre Entsprechung, die weiß, was sie nicht will: ein altes Epos noch einmal als Ode an fragwürdige Fähigkeiten umzusetzen. Ritterlichkeit beweist sich auch im Bruch mit der Tradition. Nicht das Schwert wiegt hier so viel als die Frage, wofür man überhaupt bereit ist, seinen Kopf hinzuhalten. (Dominik Kamalzadeh, 25.8.2021)